Eine produktive Fiktion
Besprechung von »Team 10 East. Revisionist Architecture in Real Existing Modernism« herausgegeben von Łukasz StanekDas Buch Team 10 East. Revisionist Architecture in Real Existing Modernism, herausgegeben von Lukasz Stanek, weist gleich in der Einführung darauf hin, dass es sich bei der Bezeichnung »Team 10 East« um ein fiktives Konzept und nicht etwa um einen osteuropäischen Zweig des Team 10 handelt. Im Unterschied zur CIAM, die in nationalen und regionalen Gruppen organisiert war – österreichische, tschechoslowakische, ungarische, polnische und jugoslawische ArchitektInnen riefen sogar kurzzeitig das CIAM-East ins Leben –, waren die osteuropäischen Mitglieder des Team 10 abgeneigt eine einheitliche Haltung einzunehmen und somit die ideologische Spaltung des Eisernen Vorhangs zu bestätigen. Sie fühlten sich mit ihren Kollegen und Kolleginnen im Westen stark verbunden in dem Bestreben dem technologischen und sozialen Paradigmenwechsel nach dem Wiederaufbau mit erneuerten architektonischen und urbanistischen Herangehensweisen und Konzepten gerecht zu werden. Sie waren sich einig darüber, dass eine neue avantgardistische Architektur die technokratische, funktionalistische Massenarchitektur der Nachkriegszeit überwinden, Veränderbarkeit und Wachstum ermöglichen und den Menschen in den Mittelpunkt stellen müsse. Die Bezeichnung East im Titel der Publikation bekräftigt entsprechend nicht etwa eine Dichotomie der Architekturideologien des Kalten Krieges, wie so oft am Beispiel Ost- und Westberlins vollzogen, sondern – und dies wird durch das Hinzufügen zweier Staaten zum Team 10 East deutlich: Finnland, einem westlichen, militärisch neutralen Wohlfahrtsstaat, sowie Jugoslawien, nach dem Tito-Stalin-Bruch Gründungsmitglied der Blockfreien Staaten – rückt zum ersten Mal die Vielfalt sozialistischer Auslegungen und Ausprägungen der Neuausrichtung der Nachkriegsmoderne in den Vordergrund. Der Diskurs des Team 10 beruhte demnach keinesfalls auf einem klaren Konsens sondern entsprach der Komplexität der politischen und wirt-schaftlichen Landschaft zur Zeit des Kalten Krieges. In den zwölf Texten werden ausgewählte Projekte des Team 10 East im Zusammenhang mit politischen Gegebenheiten und Produktionsbedingungen und auch als Teil eines internationalen Netzwerks und Diskurses thematisiert. Dabei wird nicht selten deutlich, wie unterschiedlich die Team 10 Postulate »openness«, »greatest number« und »participation« ausgelegt wurden, aber auch, wo diese Konzepte aufgrund der spezifischen politischen Bedingungen besonders wirksam Anwendung fanden. Das Prinzip der offenen Form und Unfertigkeit (»openness«), die durch den Einsatz von additiven Strukturen und funktionaler Flexibilität realisierbar wurde, kam beispielsweise in Jugoslawien besonders zum Tragen, da die Bauvorhaben nicht selten durch die finanziellen Engpässe des real existierenden Sozialismus nur teilweise fertiggestellt werden konnten. Auch das Konzept der Partizipation (»participation«) hatte in Jugoslawien einen erhöhten Stellenwert und eine besondere Reichweite, da diese als architektonische Version des Prinzips der dort gängigen Selbstverwaltung ausgelegt wurde und den Nutzern und Nutzerinnen eine maximale Mitbestimmung und Beteiligung ermöglichte. Oskar Hansens Projekt »Linear Continuous System« stellt die radikalste Auslegung des Umgangs mit der Masse (»greatest number«) dar – es provozierte nicht nur im Kontext des Team 10 sondern auch in polnischen Regierungskreisen. Sein Konzept berief sich zum einen auf eine marxistische Deutung der Masse und beruhte entsprechend auf einer großmaßstäblichen landesweiten Enteignung von Land, um eine klassenlose, hierarchiefreie und egalitäre Versorgung zu ermöglichen – eine Maßnahme, die im Diskurs des Team 10 sicherlich kritisch diskutiert wurde. Im Zusammenhang mit seinem Manifest Open Form (1959) forderte zum anderen eine architektonische Form, in der die Individualität des Menschen mit all ihren Zufälligkeiten und Unvorhersehbarkeiten den Raum bereichern und zugleich formen kann. Hier wird deutlich, warum er in Polen auch durchaus als Dissident gesehen werden konnte: Seine Planung stellte die Autorität des Staates ganz im Sinne des »Absterben des Staates« in Frage. Der Kunstgriff des Herausgebers Lukasz Stanek, die Architekten und Architektinnen aus Polen, Finnland, Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei nach mehreren Jahrzehnten in der Theorie zu vereinen, erweist sich in diesem Buch als äußerst produktive Methode, eröffnet sie doch eine neue, differenzierte Perspektive auf die etablierte Narrative des Übergangs von CIAM zu Team 10. Dass ein radikaler Bruch mit CIAM bzw. ihre Auflösung, wie maßgeblich von den niederländischen und englischen Mitglieder forciert, von vielen Mitgliedern des Team 10 nicht befürwortet wurde, kommt in einem Brief von den polnischen Mitgliedern Oskar Hansen und Jerzy Soltan an die Ratsmitglieder der CIAM 1957 zum Ausdruck: Das Bewusstsein für die Errungenschaften der CIAM als Organisation, die einen breiten internationalen Diskurs etablierte und ermöglichte, war vor allem hinsichtlich der angespannten politischen Situation nicht nur für die osteuropäischen sondern generell für alle nicht-westlichen Mitglieder von besonderer Relevanz, da sie von einer organisierten Infrastruktur politisch und/oder baukulturell abhängig waren. Auch vertraten sie einen gemäßigteren Standpunkt, was das Verhältnis zur Moderne betraf. Soltan, ebenso wie viele andere Mitglieder des fiktiven Team 10 East, trat für eine Weiterführung der Moderne unter neuen Vorzeichen ein – einer »Moderne mit menschlichem Antlitz« –, anstelle ihrer radikalen, avantgardistischen Erneuerung. Doch das von den Smithsons angeregte Bestreben ab 1958 nur noch Mitglieder einzuladen, die der Team-10-Denkweise entsprachen, führte dazu, dass die Belange der Peripherie nicht mehr berücksichtigt wurden und der Diskurs um die Neuausrichtung der Nachkriegsmoderne wesentlich eingeschränkter geführt wurde. Der avantgardistische Anspruch, der sich inhaltlich um eine progressive Weiterentwicklung architektonischer Prinzipien wie Flexibilität, Mobilität, Offenheit und Partizipation bemühte, führte was den Diskurs betraf zu einer autoritären, dogmatischen und steifen Ausschluss-Dynamik, die den Eurozentrismus und Elitismus der Gruppe ins Extrem führte. Die subversive Leistung des Buches besteht darin, den Mythos des Konsenses innerhalb des Team 10 aufzuheben, die verschiedenen politischen Haltungen, die zweifellos im Kontext des Kalten Krieges zu verstehen sind, zu differenzieren und sie in einem direkten Zusammenhang mit den vielfältigen Haltungen und Ausprägungen des architektonischen Revisionismus zu untersuchen. Auch wird das vorherrschende Narrative des Team 10, das den Einfluss des Sozialismus kaum berücksichtigt, auf den Kopf gestellt: Indem er die Wirkungsmacht der Projekte und Ideen des Team 10 East in den Vordergrund stellt, bekräftigt Stanek, dass der Diskurs des Team 10 nicht nur mit sozialistischen Vorstellungen und Themen verwoben sondern, ebenso wie dies vor dem Zweiten Weltkrieg der Fall war, durch diese gesteuert wurde.
Niloufar Tajeri ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Bauplanung am Institut für Entwerfen, Kunst und Theorie in Karlsruhe.