Erinnerungspolitiken
»Geschichtsort Olympiagelände 1909 – 1936 – 2006«, Ausstellung im DHM, BerlinWährend München statt seinem 1972er-Olympiastadion von Günter Behnisch und Frei Otto die neu gebaute Allianz Arena zum Spielort der WM 2006 bestimmte, entschied sich Berlin für die Modernisierung und Weiternutzung seines 1936er-Olympiastadions von Werner March – durchaus entgegen einiger Positionen, die ebenfalls einen zeitgemäßen Fußball-Hexenkessel in Berlin favorisierten. Das Münchner Olympiastadion, das als demokratisch-libertärer Gegenentwurf zur monumentalen NS-Architektur des Berliner Stadions zu lesen ist, wurde zu einem reinen Baudenkmal mit gelegentlicher kultureller Bespielung degradiert. Das Berliner Olympiastadion hingegen wurde für 242 Millionen Euro aus überwiegend öffentlichen Mitteln modernisiert und von der UEFA als 5-Sterne-Arena honoriert.
Analog zu den personellen Kontinuitäten – unter anderem der Sport- und Olympiafunktionäre von 1936 – wurde die NS-Architektur im Nachkriegs-Berlin nahtlos übernommen. Das Olympiastadion wurde durch fortwährende Nutzung seit den 1950er Jahren in den städtischen Alltag integriert. Es verlor seine ideologischen Konnotationen und wird heute von den Fans liebevoll als „Olly“ bezeichnet. Eine Aufarbeitung der Entstehungsbedingungen des immerhin größten nationalsozialistischen Bau- und Flächendenkmals und seiner politischen Instrumentalisierung hatte vor Ort bislang nicht stattgefunden.
Bei seiner Modernisierung (2000-2004) bestand die Auseinandersetzung mit dem neoklassizistischen Baudenkmal vorwiegend darin, dass der Denkmalschutz eine entscheidende Rolle in der Planung einnahm. So erhielt das Büro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) 1998 den Zuschlag im Wettbewerb, weil es als einziger Bewerber eine symbolische Öffnung des geplanten Dachringes über dem Marathontor vorsah. Damit wurde die Axialität der Gesamtanlage betont und der Sichtbezug vom Stadioninnern durch das Marathontor auf den Aufmarschplatz Maifeld und den Glockenturm als Fluchtpunkt freigehalten, der den ehemaligen Führerstand auf der Maifeld-Tribüne überhöhte. Für diese Geste wurden erhebliche konstruktive und funktionale Nachteile in Kauf genommen. Der fast unterwürfige Respekt gegenüber der historischen Bausubstanz lässt Zweifel aufkommen, ob es hier in erster Linie um den verantwortungsbewussten Umgang mit einem unbequemen Teil deutscher Geschichte ging oder vielleicht eher noch um die Wertschätzung ihrer baukünstlerischen Qualität.
Dieser möglichen Auffassung wird nun mit der Ausstellung „Geschichtsort Olympiagelände 1909 – 1936 – 2006“ ein Kontrapunkt gesetzt und durch die deutsche Presse geht ein erleichtertes „Endlich!“. Es ist ungewöhnlicherweise der Initiative des Architekten Volkwin Marg zu verdanken, dass es überhaupt noch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des „Reichssportfeldes“ gekommen ist. Ort der Ausstellung, die vom Kulturstaatsminister beauftragt und vom Deutschen Historischen Museum durchgeführt wurde, ist die Maifeld-Tribüne unterhalb des Glockenturms. Hier befindet sich auch die so genannte „Langemarckhalle“: Direkt hinter dem „Führerstand“, der das Maifeld überblickt, wurde 1936 auf Initiative des Sportfunktionärs Carl Diem ein Kriegsdenkmal für die verlustreiche Schlacht nahe Langemarck (Flandern, 1914) in die Olympiabauten integriert. Mit der Mythisierung des Heldentods tausender junger Kriegsfreiwilliger überschneiden sich in dieser Architektur auf eindrückliche Weise die sportlichen und militärischen Ambitionen des Nationalsozialismus.
Die Ausstellung dokumentiert in verschiedenen Strängen die Bau- und Nutzungsgeschichte des Olympiageländes, die Olympischen Spiele 1936, den historischen Zusammenhang von Sport und Politik sowie die Geschichte des Langemarck-Mythos. Leicht kann sich dabei der Eindruck einstellen, dass mit der Betonung einer geschichtlichen Kontinuität, die schon bei Turnvater Jahn oder beim kaiserlichen Deutschen Stadion einsetzt und bei der Besatzung durch die Britischen Alliierten, bei Papstbesuchen oder Champions-League-Spielen noch nicht aufhört, die NS-Zeit in ihrer Bedeutung für Stadion und Reichssportfeld historisch eingereiht und damit relativiert wird. Das Stadion verkörpert eben nicht nur die Nazi-Vergangenheit, möchte man uns mitteilen.
Leider beschränkt sich die Ausstellung auf leicht rezipierbare bebilderte Info-Paneele, eine mit sphärischen Klängen unterlegte CAD-Computeranimation der Bauwerksgeschichte und auf einen TV-gerechten Filmzusammenschnitt. Auf Originaldokumente oder Möglichkeiten zur Vertiefung wird komplett verzichtet. Auch die begleitende Publikation unterfüttert dies nur wenig, da sie hauptsächlich die Bilder und Infotexte der Ausstellung wiedergibt. Lediglich in drei knappen, aber prägnanten Aufsätzen nähert man sich der Geschichte des Geländes von Seiten der Architektur (Jürgen Tietz), von Seiten der Erinnerungspolitik in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus (Ursula Breymayer, Bernd Ulrich) und von Seiten der Funktionalisierung des Sports und der Olympischen Spiele durch die NS-Organisationen (Hans Joachim Teichler).
So bleibt die Ausstellung vor allem eine notwendige Kommentierung des restaurierten Kriegsdenkmals – und hier liegt auch ihre Stärke: Die Entwicklung des Langemarck-Mythos und dessen Instrumentalisierung im Nationalsozialismus, die exemplarisch für die gesamte Verquickung von Sport, Politik und Krieg steht, ist gut aufbereitet und weniger bekannt als die üblichen Bilder der Olympischen Spiele von 1936. Der Totenkult sollte die jungen SportlerInnen schon bei der Wehrertüchtigung auf ihren möglichen Opfertod für das Vaterland vorbereiten. Die Hitler-Jugend, die regelmäßig zu 1. Mai- und Sonnenwendfeiern im Olympiastadion aufmarschierte, wurde hier noch 1945 zur aussichtslosen Verteidigung des Reichssportfeldes gegen die Rote Armee mobilisiert.
Immerhin kann man mit dieser „pflichtschuldigen Aufarbeitung“ (taz) nun jeden Vorwurf einer kommentarlosen Assimilierung der Nazi-Architektur zurückweisen.
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Ausstellung
Geschichtsort Olympiagelände
1909 – 1936 – 2006
- April bis 31. Oktober 2006
Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM), Berlin
Anke Hagemann ist Architektur- und Stadtforscherin in Berlin.