Für eine neue Kultur des Entwerfens
Besprechung von »Kulturtechnik Entwerfen« herausgegeben von Daniel Gethmann und Susanne Hauser und »Creating Knowledge« herausgegeben von Hille von Seggern, Julia Werner und Lucia Grosse-BächleAusgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs
als Geniestreich – durch göttlichen Funken
inspiriert. Diese Grundhaltung eint zwei Publikationen, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Intentionen sowie mit Kulturen räumlichen Entwerfens befassen.
»Der Prozess des Entwerfens gilt gemeinhin als geheimnisumwitterte Technik zur Konzeption von zukunftsweisenden Gestaltungsvorschlägen in Architektur und Design. Eher selten wird er [...] in Hinblick auf die Techniken, Verfahren, Regeln, Prozesse und Praktiken untersucht, die für das Entwerfen konstitutiv sind.« Um dies zu leisten, haben die Herausgeber Daniel Gethmann und Susanne Hauser in ihrem Buch zur Kulturtechnik Entwerfen Beiträge von Theoretikern und Praktikern des Entwerfens in Architektur und Design versammelt. Nicht das Resultat, sondern der Prozess des Entwerfens wird in einem historischen Querschnitt von der Renaissance bis in die Gegenwart darauf befragt, wie sich Entwerfen und unterschiedliche Kulturtechniken wechsel-seitig beeinflussen und etwas zum Ent-stehen bringen.
Dieser Frage widmet sich auch die Publikation Creating Knowledge und fokussiert auf ein hochaktuelles Thema, auf »Innovationsstrategien im Entwerfen urbaner Landschaften«, so der Untertitel. Dass dieses Buch ein Anliegen hat, zeigt sich schon im Layout. Markante Grafik, Paperbackformat und PVC-Umschlag bringen zum Ausdruck, dass das Buch intensiv benutzt werden will, um Eingang zu finden in Planungspraxis und Lehre. Und das wünscht man ihm auch!
Die Kernaussage, dass neue Entwurfsstrategien vonnöten seien, um mit der hohen Komplexität großräumiger urbaner Landschaften gestalterisch umzugehen, wird aus zwei Richtungen gespeist. Während im ersten Teil Exploration. Kreativität, Verstehen und Idee Experten zu Wort kommen, die den Kreativitätsprozess in grundsätzlicher Weise beleuchten, bildet Teil zwei den Fokus. Urbane Landschaften, Entwerfen und Innovationsstrategien. Scharnierartig verbunden werden beide Teile durch den Beitrag von Hille von Seggern, der die im Studio Urbane Landschaften an der Leibniz Universität Hannover entwickelte Entwurfsphilosophie darlegt. Der Titel »Ohne Verstehen keine Entwurfsidee« enthält von Seggerns Kernthese, die diese unter Rückgriff auf den Philosophen Gadamer auf das Entwerfen von Landschaften überträgt. Die (nicht ganz neue) Erkenntnis, dass sich Analyse und Entwurf nicht voneinander trennen lassen, ist folgenreich für Planungspraxis und Lehre. Das spezifische Lehrkonzept, das im Studio Urbane Landschaften angewandt bzw. kontinuierlich weiterentwickelt wird, erläutert Julia Werner. Lucia Grosse-Bächle weist die Notwendigkeit spezifischer Entwurfsstrategien im Umgang mit dem dynamischen Medium Landschaft nach. Der Beitrag von Thomas Sieverts
ermöglicht eine Verortung in der aktuellen Debatte um die fragmentierten urbanen Landschaften, ein Begriff, der die Zwischenstadt mittlerweile abgelöst hat. Dass nicht alle Beiträge eins zu eins den Grundthesen des Herausgebertrios folgen, tut der Konzeption des Buches keinen Abbruch, im Gegenteil. Der Leser wird herausfordert, gegenüber den vorgebrachten durchaus streitbaren Thesen selber Position zu beziehen.
Dass die interdisziplinäre Konzeption von Creating Knowledge aufgeht, liegt an der klaren Fragestellung »Wie kommt Wissen in die Welt?«, die konkret auf das Entwerfen großräumiger urbaner Landschaften angewandt wird. So gelingt es, dass sich die auch in ihrer Methodik so unterschiedlichen Disziplinen, von Hirnforschung über Psychologie, Kunstwissenschaft bis hin zu den raumgestaltenden Fächern, ergänzen, den Faden der anderen Beitragenden aufnehmen und weiterspinnen, so dass sich dem Leser schließlich ein zwar nicht einheitliches, aber doch kohärentes Ganzes darbietet. Was zu kurz kommt, ist eine kritische Reflexion der eigenen Position. Vielleicht ist das auch zuviel verlangt von einem Buch, das im Feld der Entwurfsforschung eine Bresche schlagen will.
Wer eine eher historisch-kritische Sichtweise auf das Forschungsthema Entwerfen richten möchte, dem sei das Buch Kulturtechnik Entwerfen zur ergänzenden und vertiefenden Lektüre empfohlen. So lässt sich die Verve, mit der Creating Knowledge heute für die Anerkennung des Entwerfens als Forschung kämpft, besser verstehen, wenn man in der stärker kulturwissenschaftlich ausgerichteten Anthologie verfolgt, wie man sich etwa in den sechziger Jahren bemüht hatte, räumliches Entwerfen im Sinne naturwissenschaftlicher Methodik zu formalisieren. Im Abschnitt Praktiken, der Entwurfsprozesse der Gegenwart untersucht, fragt die Philosophin Elisabeth List aus phänomenologischer Sicht nach den Bedingungen und Strukturen die Neues entstehen lassen. In Abkehr von einer reinen Objektsicht beschreibt sie Entwerfen als Produkt eines physischen Tätigseins, aus menschlichen Praktiken und deren Bezogenheit auf eine eigene Leiblichkeit. Damit unterstützt sie wiederum eine Grundthese von Creating Knowledge, Entwerfen als ganzheitlichen Vorgang zu begreifen, der »mit Kopf, Herz und Verstand die Welt verstehend verändert«, wie es der Generalsekretär der Volkswagenstiftung Wilhelm Krull im dortigen Vorwort emphatisch formuliert.
Stefanie Krebs