Geography matters for innovation
Besprechung von »Stadtpolitik« von Hartmut Häußermann, Dieter Läpple und Walter SiebelDie Darstellung der Geschichte der Stadtentwicklung seit Beginn der industriellen Urbanisierung in Deutschland, die Wandlungen der Stadtpolitik und einzelne Problemstellungen (Sanierung, Integration, Globalisierung, Schrumpfung u.v.m.) sowie eine Darstellung des begrifflichen Instrumentariums sind die Ziele die sich die drei Autoren Hartmut Häußermann, Walter Siebel und Dieter Läpple mit ihrem gemeinsam verfassten Buch Stadtpolitik gesteckt und – wie ich gleich vorausschicken kann – erreicht haben.
Stadtpolitik ist in erster Linie als Einführung in das Thema zu gedacht. Die historische Darstellung der Stadtentwicklung (leider ausschließlich) in Deutschland nimmt einen großen Teil des Buches ein und bietet in einer klaren Sprache einen sehr informativen Einblick in das Thema. Die zahlreichen Literaturangaben ermöglichen Interessierten eine vertiefende Beschäftigung mit einzelnen Aspekten, die in einer Überblicksdarstellung gezwungenermaßen nicht im Detail ausgeführt werden können. Sehr interessant und kompakt ist in diesem Teil beispielsweise die Entwicklung der Urbanität und ihre Ausbreitung aufs Land, die sich in einer Annäherung der Lebensstile und in der Angleichung der infrastrukturellen Versorgung zeigt, beschrieben. Wichtig ist auch der Verweis auf den Einfluss von Grundbesitz, der in vielen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städten eine radikale Neugestaltung verhindert hat oder einen nicht zu unterschätzenden Einfluss den steuerliche Absetzmöglichkeiten und Transferzahlungen wie Eigenheimzulagen oder Pendlerunterstützungen auf die Stadtentwicklung hatten und haben.
Zwei der interessantesten Themen, die im zweiten Teil des Buches behandelt werden, sind Sanierung und Integration. Die Autoren zeigen an etlichen Beispielen, dass sich gerade bei Sanierungsmaßnahmen immer wieder der bewahrheitet, dass gut gemeint das Gegenteil von gut ist. Dass Kahlschlagsanierungen negative Auswirkungen zeitigen ist jedem klar. Wie schwierig es ist, ein Viertel zu sanieren, ohne Grundstücksspekulation Vorschub zu leisten, BewohnerInnen durch höhere Mieten zu vertreiben und schließlich für die große Mehrheit dieser die Wohnsituation nachhaltig zu verbessern, zeigt sich meist erst im Detail. Gegenwärtig ist oft auch die soziale und kulturelle Kompetenz der BewohnerInnen ausschlaggebend, um bei Sanierungen die individuellen Wünsche durchsetzen zu können. In vielen deutschen Kommunen reicht der Handlungsspielraum der Verwaltungen offenbar nicht aus, um bei Sanierungen in erster Linie die Verbesserung der Lebensumstände der Menschen und nicht die Verwertungschancen der Haus- und Grundbesitzer im Auge zu behalten. Die Autoren weisen auch auf einen in Planungsabteilungen von Städten leider weit verbreiteten grundsätzlichen Irrtum hin: Die Verwechslung von Erscheinungsformen sozialer Probleme (herabgekommene Wohnviertel) mit den Ursachen derselben. Was dann dazu führt, dass die Symptome behoben werden (durchSanierung), die Ursachen sich jedoch nun weit schlimmer auswirken, weil das Angebot an billigem Wohnraum verknappt wurde. Gerade hier wäre es interessant gewesen, die Erfahrungen von Wien als Vergleich heranzuziehen und den Einfluss des Mietrechts zu berücksichtigen, was wegen der Konzentration auf die Situation in Deutschland im Buch jedoch nicht passierte.
Integration ist ein Thema, das die Zukunft der Städte mitentscheiden wird. In vielen Städten stammt ein immer höherer Prozentsatz der BewohnerInnen in erster oder zweiter Generation aus anderen Ländern und dieser Trend wird sich eher noch verstärken, nicht zuletzt deswegen, weil viele Kommunen aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen auf die Einwanderung angewiesen sind. Die Autoren betonen, wie wichtig es ist und sein wird, MigrantInnen zu vollwertigen und gleichberechtigten BürgerInnen zu machen bzw. ihnen alle Chancen zu geben, welche zu werden. Als Mindestvoraussetzung sehen sie einen gesicherten Aufenthalt, weil nur dieser eine berufliche und private Perspektive erlaubt. Um die Chancen, die die neue Gesellschaft bietet, auch ausschöpfen zu können, ist es allerdings auch notwendig, dass die MigrantInnen die „wichtigsten Qualifikationen erwerben“ und die „geltenden Regeln und Normen der Mehrheitsgesellschaft übernehmen“.
Die Vorstellung einer Integration in eine homogene Kultur ist „überholt“. „Integration kann in modernen sozial und funktional differenzierten Gesellschaften nur als ausgehaltene kulturelle Differenz gedacht werden. (...) Die Kreativität der Stadt, die Legitimität der Politik und die Produktivität der Wirtschaft beruhen auf der Fähigkeit dieser Systeme, Integration bei zunehmender Differenz zu gewährleisten.“ Häußermann, Läpple und Siebel sprechen sich gegen die verbreitete Vorstellung aus, es dürfte keine MigrantInnenviertel geben, weil die Gefahr einer Parallelgesellschaft droht. Eine nicht ganz unberechtigte Annahme in einer Zeit, in der es kein Problem ist, z.B. türkische Fernsehkanäle in deutschen Städten zu empfangen, türkische Zeitungen zu lesen und engsten Kontakt mittels Telefon und Internet zur Heimat zu halten, oder auch – ermöglicht durch Billigairlines – öfter eine „Heim“reise anzutreten, als das noch vor wenigen Jahren möglich war. Sie reden einer „Integration durch Segregation“ das Wort, die sie natürlich nicht als völlige Abkapselung verstanden wissen wollen, sondern als Möglichkeit eines Rückzuggebietes, eines „Brückenkopfes in der Fremde“. Es ist sicherzustellen, „daß die Individuen sich nur vorübergehend darin aufhalten bzw. aufhalten müssen.“ Damit die Segregation eine freiwillige und nicht eine erzwungene ist, muss garantiert sein, dass die MigrantInnen ihren Wohnort selber wählen können.
Für die Autoren ist klar, dass „Städte künftig weniger um Investitionen sondern verstärkt um gut ausgebildete Menschen konkurrieren“ werden. MigrantInnen nicht zu integrieren und ihnen die Chance an der vollständigen Teilhabe an der Gesellschaft zu verweigern, wird sich bald keine Stadt mehr leisten können.
Den TheoretikerInnen der Enträumlichung im Zeitalter des Internets halten die Autoren die neue Bedeutung von „räumlicher Nähe für den Transfer von Wissen entgegen“ und sehen für Städte eine wichtige Rolle in der Wissensgesellschaft. Statt einer Auflösung der Städte ist vielmehr eine „neue Form städtischer Zentralität“ zu konstatieren. Die Stadtsoziologie wird uns also auch in Zukunft erhalten bleiben.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.