Ich seh, ich seh,was du nicht - mehr - siehst
»Von Ort zu Ort«, ein Projekt der KünstlerInnengruppe WochenKlausur zur innovativen Kommunalentwicklung.Von Ort zu Ort, durch sieben österreichische Gemeinden, zogen drei KünstlerInnen der WochenKlausur gemeinsam mit einem wechselnden Team aus jeweils fünf WissenschaftlerInnen von Mitte August bis Mitte September 2001. Der Beitrag war Teil eines Forschungsschwerpunktes des Wissenschaftsministeriums, der Kulturlandschaftsforschung, in deren Rahmen auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft untersucht werden.
»Von Ort zu Ort«, ein Projekt der KünstlerInnengruppe WochenKlausur zur innovativen Kommunalentwicklung.
Von Ort zu Ort, durch sieben österreichische Gemeinden, zogen drei KünstlerInnen der WochenKlausur[1] gemeinsam mit einem wechselnden Team aus jeweils fünf WissenschaftlerInnen[2] von Mitte August bis Mitte September 2001. Der Beitrag war Teil eines Forschungsschwerpunktes des Wissenschaftsministeriums, der Kulturlandschaftsforschung[3], in deren Rahmen auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft untersucht werden.
Statt Pinsel und Farbe zu verwenden und Objekte zu hinterlassen, beschreitet die WochenKlausur unkonventionelle Wege und setzt mit konkreter Intervention Prozesse in Gang. Bei diesem Projekt entwickelte die WochenKlausur das Konzept und wählte sieben Gemeinden, die bereit waren, sich von WissenschaftlerInnen unter die Lupe nehmen zu lassen. Projektleiterin Pascale Jeannée und zwei weitere Künstler begleiteten die ForscherInnen durch die Gemeinden, waren verantwortlich für Organisation und Ablauf und gestalteten in jedem Ort einen Beitrag aus ihrer Sicht. Die Fachleute aus den Disziplinen Raumplanung, Landschaftsplanung, Kulturtechnik, Tourismusforschung, Kunstgeschichte, Historik und Gartenkunst arbeiteten in den Gemeinden – mit dem Blick von Außenstehenden – Besonderheiten, Mängel, Potenziale heraus.
Das Team hielt sich an jedem Ort vier Tage auf. Am ersten Tag lernten alle auf ihre Art die Gemeinde kennen: Pläne wurden studiert, ausgedehnte Erkundungsgänge und -fahrten durch die Gemeinde unternommen, Kontakt mit der Bevölkerung aufgenommen. Am Abend traf sich das Team, diskutierte und verglich die Beobachtungen. In gemeinsamer Absprache wählten die Forschenden unterschiedliche Themenschwerpunkte, um Doppelgleisigkeit zu vermeiden und eine breite Streuung an Aussagen zu gewährleisten. Der zweite Tag wurde für vertiefende Recherchen genutzt, am dritten Tag war Redaktionsschluss: Die WissenschaftlerInnen fassten ihre Erkenntnisse in Form eines kurzen Textes zusammen, der vom Team gegengelesen wurde. Die Präsentation der Ergebnisse fand jeweils am vierten Tag vor dem Gemeinderat, der interessierten Öffentlichkeit und VertreterInnen der regionalen und lokalen Presse statt. Es wurden Mappen mit den Resümees zum Nachlesen verteilt und bis auf eine Ausnahme – als ein Bürgermeister von vornherein darauf bestanden hatte, die Präsentation unter Ausschluss der Öffentlichkeit, im Gemeinderat abzuhalten – bestand ein Großteil der Abende in regen Diskussionen mit der Bevölkerung, die im kleineren Kreis oft bis spät in die Nacht fortgesetzt wurden.
Die Forschenden sollten mit ihrem Blick von außen neue Sichtweisen und Perspektiven aufwerfen. Wer jeden Tag damit konfrontiert ist, dass die Gehsteigkante zu hoch und die Straße zu breit ist, nimmt solche Mängel irgendwann als gegeben hin, obwohl Verbesserungen oft ohne großen Aufwand zu erreichen wären. Da bei den Präsentationen stets lokale EntscheidungsträgerInnen anwesend waren, lag der Ball, Anregungen und Kritik der Forschenden aufzugreifen, nun bei den Gemeinden.
Mit einem mobilen Labor, einem blauen Mercedes Unimog und einem Zelt machte das Team an zentralen Stellen in den Gemeinden Station: am Hauptplatz, im Stadtpark, vor dem Gemeindeamt. Unimog und Zelt waren ein Signal für die Bevölkerung, dass in ihrer Gemeinde gerade etwas in Gang war. Interessierte und neugierig Gewordene konnten sich dort über das Projekt informieren. Diese Möglichkeit wurde vielfach in Anspruch genommen, so dass die Forschenden zur Produktion von Text und Präsentation auch an ruhigere Orte flüchteten.
Die Route führte durch sieben niederösterreichische und steirische Gemeinden: Hohenau an der March, Gleisdorf, Greinbach, Friedberg, St. Magdalena am Lemberg, Laa an der Thaya und Retz. Die Gemeinden unterstützten das Projekt insofern, als sie für Übernachtung und Frühstück des Teams und für ein Buffet bei der Schlusspräsentation aufkamen. Unterstützung gab es aber auch inhaltlich, indem die Gemeindebediensteten für Auskünfte zur Verfügung standen und Unterlagen bereitstellten. Meistens war es auch möglich, die Infrastruktur der Gemeindeämter zu nutzen.
Erste Station der Tour war Hohenau, das am Zusammenfluss von March und Thaya im Dreiländereck Österreich/Slowakei/ Tschechien liegt. Dort begrüßte nicht nur eine wohlwollende Bevölkerung das Team, sondern auch eine Schar von Gelsen, die allabendlich bei Einbruch der Dämmerung Einheimische und BesucherInnen plagten. Da sich keinE ZoologIn im Forschungsteam befand, beschäftigten sich die Beiträge der ExpertInnen mit der kompakten Siedlungsstruktur, dem fehlenden Ortszentrum, den öffentlichen Plätzen und ihrer Nutzung, den wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und den Vorteilen, die sich für Hohenau durch den Radtourismus ergeben könnten.
Ein Beispiel für die Einbeziehung von BewohnerInnen ist der Beitrag der Raumplanerin Andrea Mann in Gleisdorf, der zweiten Station von »Von Ort zu Ort«. Dem gesamten Team war aufgefallen, dass in Gleisdorf die Orientierung schwer fällt. Andrea Mann ließ daraufhin 14 GleisdorferInnen ein Bild der Stadt nach der Methode von Kevin Lynch zeichnen: die Befragten sollten einen Plan zeichnen, mit dessen Hilfe sich Fremde in der Stadt zurecht finden können. Die Studie zeigte, an welchen Punkten sich die befragten BewohnerInnen orientierten. Gleisdorf wird als eine für den motorisierten Individualverkehr gut erschlossene Einkaufsstadt mit zwei Wahrzeichen, Kirche und Rathaus, erlebt. Auffallend bei dem Experiment war, dass lediglich das Zentrum der Stadt, das etwa 5 % der Gemeindefläche einnimmt, dargestellt wurde. Wohnsiedlungen, Industriezone und das Gemeindegebiet südlich der Autobahn sind vergessene Stadtteile. Auch die zwei Hauptgewässer der Gemeinde, die Raab und der Gleisbach, fehlten in den Karten der GleisdorferInnen zur Gänze. Einer Pressemeldung der Kleinen Zeitung zufolge kündigte der Bürgermeister kurz nach dem Besuch der WochenKlausur an, das Leitsystem der Stadt verbessern zu wollen.
Die nächste Station war Greinbach bei Hartberg, eine ländliche Gemeinde, bestehend aus zahlreichen Ortsteilen und Streusiedlungen. Die Beiträge bezogen sich diesmal auf die Erhaltung der historischen Bausubstanz, das Abwassersystem, das weitläufige Wanderwegenetz und Potenziale für den Tourismus. Die Landschaftsplanerin Heide-Maria Schatzl sprach das Thema von fehlenden öffentlichen Räumen für Mädchen an, die WochenKlausur erarbeitete einen Vorschlag für die Einrichtung eines Ortszentrums.
In Friedberg, der nächsten Gemeinde, spürte Heide-Maria Schatzl eine Gruppe Jugendlicher auf, die sich seit drei Jahren mangels Alternativen regelmäßig am Spielplatz traf. Die Jugendlichen blickten auf eine Reihe bisher vergeblicher Versuche, einen Treffpunkt abseits von Gaststätten und traditionellen ländlichen Vereinigungen zu organisieren, zurück. Die Geschichte ihrer vergeblichen Bemühungen wurde bei der Präsentation erstmals und nachdrücklich in offiziellem Rahmen vor sämtlichen »Schlüsselpersonen« aufgerollt. Im Anschluss an die Präsentation wurde in konstruktivem Klima intensiv verhandelt. Plötzlich, waren drei neue Räume im Gespräch, Vermittlungspersonen bereit zu unterstützen, und ein Journalist der regionalen Presse erklärte sich bereit, den Bürgermeister regelmäßig zu etwaigen Fortschritten zu befragen.
Auch in St. Magdalena am Lemberg, Laa an der Thaya und Retz stießen die Forschenden auf zahlreiche Besonderheiten, Mängel, Potenziale. Interessierte können die Beiträge zu allen Gemeinden auf der Website der WochenKlausur wochenklausur.t0.or.at nachlesen.
Abschließend wollen wir, Autorinnen dieses Beitrages und Wissenschaftlerinnen, die am Projekt teilgenommen haben, noch das Lustvolle dieser Arbeitsweise reflektieren. Die Forschenden wählten ihre Themen ohne Einschränkungen und Forderungen von AuftraggeberInnen. Wir konnten somit alle Spuren, die unser Interesse erweckten, verfolgen. Damit war es möglich, auch Themen, die ansonsten von den Entscheidungsträgern bewusst ausgeklammert werden, in einem offiziellen und öffentlichen Rahmen zu besprechen.
In den vier Tagen, in denen wir kontinuierlich in den Gemeinden anwesend waren, konnten und mussten wir uns intensiv mit den lokalen Gegebenheiten auseinandersetzen. Da die Beiträge nach der Präsentation den kritischen Kommentaren der BewohnerInnen, ExpertInnen ihrer Lebenswelt, standhalten mussten, waren wir von vornherein bemüht, unsere Argumente konkret zu formulieren und sachlich zu untermauern. Nach der Präsentation hörten wir meist erstaunte Kommentare wie »In dieser kurzen Zeit habt ihr so viel erarbeitet?« oder »Bei anderen Studien ist nicht so viel herausgekommen.«
Die anschauliche Arbeit im mobilen Labor vermittelte eine An-Greifbarkeit und Transparenz und setzte Dynamiken in Gang: Martin Krusche, freier Schriftsteller und Künstler, bastelte beispielsweise während unseres Aufenthaltes in Gleisdorf spontan einen Beitrag für die Website <www.kultur.at>, wo unsere Arbeitsschritte und Ergebnisse nachgelesen werden können. Einige BürgerInnen besuchten uns sogar bei nachfolgenden Präsentationen in anderen Orten wieder und erzählten von den Folgen unseres Aufenthaltes.
In vier Tagen können keine tiefgehenden Analysen abgegeben werden; dafür kann es gelingen, neue Perspektiven und Wege aufzuzeigen und das Engagement bestehender Initiativen mit ein bisschen Zündstoff zu bekräftigen.
Fußnoten
teilnehmende KünstlerInnen: Pascale Jeannée (Projektleitung), Matthias Klos, Oliver Schmid. ↩︎
teilnehmende WissenschaftlerInnen: Norbert Bacher, Claudia Dankl, Andrea Hubin, Wolfgang Fichna, Helmut Lang, Andrea Mann, Alexander Risse, Heide-Maria Schatzl, Andreas Zinggl. ↩︎
weitere Information: www.klf.at. ↩︎
Claudia Dankl
Heidi Schatzl