Im Süden von Ost-West
Besprechung von »Postmoderism is almost all right. Polish Architecture after Socialist Globalization« von Łukasz Stanek und »Cold War Transfer. Architecture and planning from socialist countries in the ›Third World‹« herausgegeben von Łukasz Stanek und Tom AvermateEiner der großen blinden Flecken in der Architekturgeschichte der Moderne ist das Verhältnis von Architektur und Planung des Westens und Ostens (also den kapitalistischen und staatssozialistischen Ausformungen) zum so genannten Süden: jenen Ländern, die sich als Blockfreie, als ehemalige Kolonien oder Dritte Welt der eindeutigen Zuordenbarkeit beider Blöcke entzogen. Der Süden als eine dem Osten wie dem Westen gegenübergestellte Zone nimmt schon die Rolle vorweg, die ihm im Kalten Krieg zukam: jene eines außenstehenden anderen, den es für die eigene Idee zu erobern, zu nutzen, zu instrumentalisieren galt. Für beide Blockmächte zählten die Staaten des Südens als so genannte Entwicklungsländer, und ihrem wirtschaftlichen Aufholen wurde große Aufmerksamkeit beigemessen. Der Süden war damit nicht nur potenzieller Austragungsort des militärischen Ost-West-Konfliktes; er fungierte auch als Territorium wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Expansion, als neo-koloniale Ressourcenquelle und Möglichkeit für lukrative Geschäfte sowie als Testfeld für eine ideologisch aufgeladene Modernisierung.
South of East-West widmet sich dem Transfer von Architektur und Planung und den damit verbundenen Technologie- und Wissensformen zwischen Ländern des Staatssozialismus, Afrikas und Asiens und seinen Auswirkungen. Von Łukasz Stanek ins Leben gerufen, soll South of East-West eine Plattform für den Austausch über die verschobenen Modernisierungsprozesse während des Kalten Krieges bieten. Die gemeinsam mit Tom Avermate herausgegebene Themenausgabe des Londoner Journal of Architecture (Cold War Transfer) versammelt Beiträge, die die Spuren planerischer Praxis dieses Südens verfolgen. In verschiedenen Maßstabsebenen, die von Infrastruktur, Masterplänen und Wohnbauprogrammen bis hin zum Bau einzelner Objekte reichen, zeichnen die Beiträge die Verflechtungen in der Produktion von Raum vor dem Hintergrund des Konflikts nach und beleuchten die Wechselwirkungen, die mit den Planungen entstanden sind. Denn es geht in dieser Annäherung eben nicht nur um den Export moderner Planungspraxis ins Neuland. Sie ergründet auch, wie Planung sich mit bestehenden kolonialen Verhältnissen und Strukturen überlagerte, wie eine mit neuen Herausforderungen konfrontierte Moderne sich adaptierte und neue Modernisierungsaspekte hervorbrachte, die in die einzelnen Verhältnisse zurückwirkten. In diesem Feld von heterogenen Modernen beginnen auch die Grenzen zwischen den Blöcken zu verschwimmen. Zwischen Ost und West etablierte sich ein Pragmatismus von Kollaborationen, der jenseits des Konfliktes und zwischen Marktwirtschaft und zentralisierter Planwirtschaft operierte.
Es sei eine sehr schöne Moschee, die er da gebaut habe, so der Kommentar von Kardinal Gulbinowicz zur fertig gestellten Marienkirche in Wrocław an den Architekten Wojciech Jarzabek. Der war in den Jahren 1980 bis 1992, als an der Kirche geplant und gebaut worden war, in Kuwait tätig. Jarzabek ist eine der zentralen Figuren in der polnischen Postmoderne, deren Spuren immer wieder auf die Projekte im Süden verweisen.
Die Ausstellung Postmodernism is Almost All Right und die begleitende Publikation geht den Linien und Querbeziehungen zwischen Moderne und Postmoderne, zwischen Osten und Süden anhand von Projekten polnischer ArchitektInnen, Planungs- und Consultinggruppen nach: im Süden wie im spät- und postsozialistischen Polen.
Der Export moderner Architektur und Technologie Polens sowie die Vermittlung von Wissen aus dem Wiederaufbau nahmen einen großen Stellenwert in der sozialistischen Globalisierung ein. Die Vorzeichen dafür änderten sich, als in den 1970er Jahren wirtschaftliche Motive und kommerzielle Interessen für die Volksrepublik in den Vordergrund traten. Hinzu kam eine wachsende Unzufriedenheit auf Seite der Planenden: Desillusioniert von einer »real existierenden Moderne« und rigiden Planungsschemata, machten sie den Nahen Osten und Nordafrika zu einem Testfeld, zum Ort ausgelagerter Modernisierung polnischer Architektur. Die so entstandenen Projekte markieren den Übergang zur einer Postmoderne, die sich vor allem über das eigene Verhältnis zur Moderne definiert: die Abkehr vom utopischen Projekt, eine individualisierte und kommerzielle Architekturpraxis, neue Planungsmethodiken und das Wiederentdecken von Geschichte – vor allem historischer Stadtstrukturen – als wiederkehrender Bezugspunkt in Abgrenzung zum ahistorischen Selbstverständnis einer technokratischen Ingenieursmoderne. Was wie eine Rückbesinnung auf eine vormoderne Architektur klingt, ist tatsächlich das Weiterführen moderner Themen – die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Bedingungen – in kommerzialisierter Form. Auf den liberalisierten Märkten im postsozialistischen Polen sollte sich diese Architektur als recht durchsetzungsfähig zeigen. Nicht umsonst paraphrasiert der Titel Postmodernism is allmost all right Robert Venturis »Main street is almost all right«, dem banale, kommerzielle Bauten Anlass für eine andere, neue Reflexion in der Architektur boten.
In Texten, Archivbildern und Zeichnungen zu einer Auswahl von Projekten untersucht die Publikation das Wirken der Moderne im Süden auf die jüngere Architektur Polens. Gerade die Zeichnung übernimmt es, die visuellen Aspekte dieser Landschaft herauszuarbeiten. Denn gegen eine raum- und organisationsorientierte Moderne glaubte sich die postmoderne Architektur als die Produktion von Bildern neu zu erfinden – im Süden wie in Polen: Die Kirche in Wrocław hat ein romanisches Portal, gotische Gestalt, ein barock-orientalisierendes Interieur und einen futuristischen Turm. Und sie steht inmitten einer Siedlung von Plattenbauten – für Jarzabek ist sie damit ein Stück Solidarnos´c´.
Der Fokus auf die Verflechtungen und Transferlinien zwischen Süden, Osten und Westen, zwischen Moderne und Postmoderne ist es, was South of East-West bedeutsam für die Annäherung an die Rolle der Architektur macht – in (post-)kolonialen Welten, in der Zeit des Kalten Krieges wie heute, sowie für die Moderne allgemein.
—
Research Platform South of East-West
www.south-of-eastwest.net
—
Michael Klein lebt und arbeitet in Wien. Er hat in Wien und Paris Architektur studiert und arbeitet als Lehr- und Forschungsbeauftragter an der TU Wien.