Verena Schäffer

Verena Schäffer arbeitet als Theaterhistorikerin, Bühnenbildnerin und Künstlerin in Wien.


Wie nähert man sich einem Forschungsgegenstand, der sich schon aufgrund seiner für Außenstehende wenig greifbaren Eigendefinition als »Szene« einer gängigen Kategorisierung und Lokalisierbarkeit entzieht? Man macht sich zuallererst einmal auf die Suche danach. So folgt denn die Leserschaft nach einem kurzen Ausflug in eine mögliche Methodologie der Stadt-ethnografie Anja Schwanhäußer auf ihrem Weg durch die Brachgebiete, leerstehenden Fabriksareale und dunklen Hinterhöfe des Berlin der Nachwende-Ära auf der Suche nach den locations einer Community, für die erst die Forscherin den Namen finden muss: Der von nun an so bezeichnete Techno-Underground bildet das Gebiet, in dem sich Schwanhäußer mehrere Jahre – besonders intensiv zwischen 2002 und 2003 – ausgedehnter Feldforschung widmen wird.
Anja Schwanhäußer folgt den NachtschwärmerInnen auf verwaiste Fabriksgelände, ausrangierte Flugzeug-Hangars und in abgehalfterte Kinderheime der Ex-DDR, an Seen und in Brandenburger Wald-stücke, die von ihren Forschungsobjekten für eine bestimmte Zeitdauer in Besitz genommen und, ihrem Zusammenhang als ausrangierte Orte der Gesellschaft enthoben, durch den kreativen Gebrauch der Akteure in locations umgewandelt werden. In der breit angelegten Studie, welche sämtliche Inszenierungspraktiken vom Bekleidungsstil bis zur bevorzugten Berufswahl, die Herkunftsmilieus und die von den handelnden Personen in Anspruch genommenen subkulturellen Traditionen umfasst, wird bereits eingangs dem etwas ungreifbaren Begriff der Szene als offeneres System gegenüber dem der in sich geschlossenen Subkultur der Vorzug gegeben. Dem fluiden Stadtraum entspricht die Fluidität und Offenheit der Szene.
Dabei stellen sich gleich zu Beginn die von der Autorin postulierten Charakteristika des Untersuchungsgegenstandes – das ephemere Dasein seiner locations und das Umherschweifen seiner AkteurInnen im Stadtraum auf der Suche nach immer neuen locations – als nicht ganz unproblematisch heraus. Die location, nach Schwanhäußer essentiell für die Existenz der Szene, muss von der zu Beginn ihrer Recherchen noch Uneingeweihten überhaupt erst gefunden werden. Durch die Verwendung überwiegend persönlich geprägter Netzwerke zur Informationsverteilung entziehen sich die OrganisatorInnen der Partys, die in den locations gemeinschaftlich gefeiert werden, üblichen Vermarktungsstrategien und kapitalistischem Nutzdenken. Nicht der finanzielle Ertrag einer Veranstaltung sei entscheidend, sondern ihr spirit und der gemeinschaftlich erlebte Moment. Neben der location stellt der Moment als einziges sinnstiftendes Element in Rückgriff auf Guy Debord und die Situationistische Internationale Schwanhäußers zweiten Modus Operandi dar.
Etwas verwunderlich bleibt hier allerdings die Konzentration auf die vor allem räumliche und zeitliche Dimension des beschriebenen Gegenstandes, der mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Mitteln aus Soziologie und Urbanismustheorie zu Leibe gerückt wird, sowie auf die Raumaneignungsstrategien seiner AkteurInnen und seine in den Subkulturen von Hippies, Punks und Hausbesetzerszene verorteten Wurzeln. Mit oftmals erhellender Akribie wird den an der Szene teilhabenden Milieus in Wagenburgen in den Brachen Berlins oder unter improvisierten Umständen aus Szeneaktivitäten entstandenen Kleinunternehmen und ihren Intentionen nachgespürt. Allen gemeinsam ist, so Schwanhäußer, ein Interesse an alternativen, nicht an finanziellen Interessen ausgerichteten Lebensentwürfen und ein Leben für den als befriedigend empfundenen Moment. Auch wenn die Techno-Partys sehr überzeugend als unfocused gatherings beschrieben und Techno dieser Logik entsprechend folgerichtig als »Musik ohne Zentrum« dargestellt wird, so sind sie auch vor allem eines: Techno-Partys, auf denen Techno gehört wird. Der Musikrichtung Techno, unter deren Schirmmantel sich die Feiernden für den Moment des Festes in der location versammeln, ist hier erstaunlich wenig Platz gegönnt. Dementsprechend werden ausschließlich Party-VeranstalterInnen, in der Mehrzahl als so genannte Party-collectives, zu den kreativen AkteurInnen der Szene gezählt, ohne auf MusikerInnen und DJs als aktive TeilhaberInnen an der Szene näher einzugehen.
Schwanhäußers im Stil klassischer Ethnografie ausführlich geführten Feldtagebuchnotizen geben dabei über weite Strecken nicht nur Einblick in die ästhetisierenden Raumpraktiken der beforschten AkteurInnen, deren Habitus und Denkweisen, sondern auch in die Verfasstheit der sich der Reise durch den Stadtraum anschließenden Autorin. Versucht man auch gewissenhaft der angestrebten Argumentation zu folgen, so lässt sich doch an manchen Stellen ein lautes Lachen beispielsweise angesichts der nüchternen Beschreibungen der äußeren Aufmachung der die Techno-Partys bevölkernden Personen nur schwer unterdrücken. Die in Bezug auf Pierre Bourdieu als Mitglieder eines »neuen Kleinbürgertums« definierten Szene-AkteurInnen werden – unabhängig von ihrer Herkunft aus Mittelstand oder Arbeiterschicht – als Angehörige einer creative class porträtiert, deren Verdienst es ist, Wunschvorstellungen nach einem gesellschaftlichen Aufstieg oder Ängste vor dem Abstieg ins finanzielle und gesellschaftliche Abseits als Daseinskategorien ausgeblendet zu haben.
Mit Siegfried Kracauer schließlich, der im lesenswerten Anhang neben anderen als einer der Wegbereiter urbaner Kulturtheorie zitiert wird, wird die Möglichkeit erschlossen »die gängige Rede von der Auflösung des Raumes nicht bloß als Zerfall zu sehen, sondern in eine positive kulturelle Praxis umzudeuten« (S. 274). Das Streben von Schwanhäußers Kosmonauten des Underground ist ähnlich jenem von Kracauers Angestellten einhundert Jahre zuvor auf das Vergnügen gerichtet, das jedoch nicht mehr einfach passiv konsumiert, sondern aktiv gestaltet wird. Ihr Lebensentwurf als ein permanentes Provisorium, dem Wandel und der Moment alles sind, der nicht danach trachtet, anzukommen, sondern unterwegs zu sein, ist nach Schwanhäußer ein selbstgewählter. Obwohl diese Interpretation, die vor allem auf der Selbsteinschätzung der Porträtierten beruht und anhand zahlreicher Interviews plastisch illustriert wird, etwas eindimensional bleibt, gibt der Text auf gelungene und anschauliche Weise Einblick in die Methode der Stadtethnologie und in die Praxis urbaner Feldforschung. In seiner umfassenden Darstellung der Berliner Techno-Szene und einiger ihrer Akteure ist er ein bisweilen erstaunliches Zeitdokument.


Heft kaufen