Robert Temel

Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.


Der aktuellen Diskussion zu Architektur, Architekturfotografie und Rechten an geistigem Eigentum folgt mit dem Band „Architektur und Urheberrecht“ von Thomas Höhne ein praxisnaher Leitfaden zur österreichischen Rechtslage. Das Buch stellt die Situation in Österreich und Deutschland dar und gibt eine Menge praxisnaher Tipps von der Verwertung von Urheberrechten bis zur Vertragsgestaltung mit Auftraggebern, Miturheberinnen und Mitarbeitern. Insofern ist es eine hervorragende Basis für die tägliche Arbeit und für die weitere Debatte über Urheberrechte, die derzeit in vielen Sektoren kulturellen Schaffens geführt wird. Ausgangspunkt dafür waren die neuen digitalen Technologien, die es ermöglichten, bestehende Bilder, Texte und Musik, aber auch Software so einfach wie nie zuvor zu benützen und weiterzuverarbeiten. Den neuen Möglichkeiten der kulturellen Produktion wurde jedoch sehr schnell eine zunehmende Verschärfung des Urheberrechts sowohl in der legistischen Basis als auch in der Anwendungspraxis entgegengestellt, was wiederum zu Bewegungen wie open source und creative commons führte, also zur Idee, Werke unter bestimmten Bedingungen frei nutzbar zu machen. So sehr die legitimen Schutzbedürfnisse von Urhebern auch zu achten sind, sind die Argumente dieser Bewegungen gegen ein allzu enges Urheber- und Patentrecht und für größere Freiheit der kulturellen Produktion durchaus nachvollziehbar – man überlege nur, wie die heutige Situation bei Informations- und Kommunikationstechnologien aussähe, wenn die Urhebern von Internet und World Wide Web diese Erfindungen geschützt hätten und damit die Benützung dieser Technologien ihrem Gutdünken unterläge.

An dieser Diskussion beteiligt sich der vorliegende Band in keiner Weise, was ihm natürlich auch nicht vorzuwerfen ist. Allerdings übernimmt er genau diejenige Perspektive, die bei der aktuellen Auseinandersetzung mit Architektur und Urheberrecht immer im Mittelpunkt steht: nämlich die, wie Architekten ihre Werke vor Missbrauch schützen können; und nicht die, wie der Austausch und die Weiterverwendung von Ideen unter Urheberinnen im Bereich der Architektur vorangetrieben werden kann. Ausgangspunkt dafür war die (berechtigte) zunehmende Thematisierung des Urheberrechts in der Architekturfotografie, die die ArchitektInnen aus ihrem Dornröschenschlaf schreckte und auf die Idee brachte, dass ja auch sie als kulturelle ProduzentInnen aus ihren Werken mehr Ertrag schlagen könnten als nur durch die Honorierung ihrer Leistungen durch Auftraggeberinnen. Für den für Architekten sicherlich wichtigsten Bereich, nämlich das Urheberpersönlichkeitsrecht, also das Recht, als Urheber eines Werkes genannt zu werden, gibt es laut Thomas Höhne allerdings keine allzu guten Nachrichten: Die Frage, ob der Architekt eines Gebäudes, das auf einer Fotografie abgebildet ist, bei einer Veröffentlichung auch genannt werden muss, ist aufgrund der schwammigen Rechtslage nicht so klar. Höhne meint zwar, dass die Nennung jedenfalls dann verpflichtend wäre, wenn das Bauwerk Gegenstand der Betrachtung in einer Berichterstattung ist – doch er bezeichnet die Regelung als „knieweich“. Für eine deutliche Klärung wäre wohl ein einschlägiger Musterprozess nötig, am Besten betrieben von der Architektenkammer. Abgesehen vom Namensnennungsrecht wird die Verwendung von Fotografien seiner/ihrer Werke einem Architekten/einer Architektin meist keine Honorare bringen – in Österreich gilt die Freiheit des Straßenbildes, das heißt jedes Foto eines Gebäudes, das vom öffentlichen Raum aus aufgenommen wurde, ist frei verwendbar (was nicht vom Recht auf Namensnennung befreit!). Diese Freiheit wird hierzulande – anders als in Deutschland – sehr weit interpretiert, sie umfasst auch dem Publikum nicht zugängliche Ansichten von Bauwerken, ja sogar Innenarchitektur. Für Bauwerke ist also die Vervielfältigung grundsätzlich frei, nicht aber die Bearbeitung.

Für Planer beginnt das Problem mit dem Urheberrecht bei der Definition dessen, was ein „Werk“ ausmacht: das entscheidende Kriterium dafür ist das der „Eigentümlichkeit“. Es geht heute nicht mehr um eine bestimmte künstlerische Bedeutung („Werkhöhe“) oder um Originalität, sondern vorrangig um „Werkindividualität“, also um die Einzigartigkeit, die das Werk von anderer Architektur unterscheidet. Um ein Werk im Sinne des Urheberrechtes zu sein, muss es nicht Kunst sein – der Grad des ästhetischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Werts ist für diese Qualifikation bedeutungslos, was die Werkdefinition doch einigermaßen absurd macht.

Dabei stellt sich die Frage, wie man neue Werke schaffen kann, ohne das Urheberrecht zu verletzen, weil ja jede Art der kulturellen Produktion, und so auch Architektur, immer zu einem großen Teil die Verwendung dessen ist, was vorher bereits da war – also der Ideen und Umsetzungen anderer Architekten, ergänzt durch eigenes Neues oder die besondere Kombination des bereits Dagewesenen. Höhne stellt fest, dass sich eine Urheberin zwar von anderen Werken beeinflussen lassen kann, sich aber durch Übernahme fremder Werke nicht eigenes persönliches Schaffen ersparen darf. Das ist ein löblicher Ansatz, aber sicherlich fern jeder Praxis. Wie jeder weiß, der schon Architektur entworfen hat, besteht die Praxis zu einem guten Teil auch darin, andere Architektur zu studieren und zu analysieren. Nicht zuletzt deshalb sind Werkvorträge von bekannten Architekten und Monografien über ihre Arbeit nicht wegzudenkende Informationsquellen. Es geht dabei nicht darum, von anderen Entworfenes einfach zu kopieren, sondern Ansatzpunkte für das eigene Entwerfen zu bekommen. Aber bei jedem aktuellen Gebäude kann man Bezüge zur heutigen Architekturproduktion und Übernahmen von anderen Realisierungen erkennen, und dabei geht es natürlich auch darum, sich eigenes Schaffen zu ersparen. Jeder Urheber weiß das, und bisher war das auch kein Problem – doch die zunehmende Verschärfung des Urheberrechts in der jüngsten Zeit lässt hier Unangenehmes für die Zukunft erwarten. Aus dieser Perspektive ist auch die immer wieder auftauchende Diskussion um Patentschutz für Architektur zu sehen, dem Architektinnen meist ablehnend gegenüber stehen. Dazu muss aber gesagt werden, dass Patentschutz teuer ist und maximal zwanzig Jahre dauert, während der urheberrechtliche Schutz gratis ist und bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors währt. Höhne bringt das absurde Beispiel, dass eine „Strategie am Grundstück“, also ein Konzept für eine Grundstücksnutzung ein Werk sein kann – wenn dieses Konzept in die Flächenwidmung aufgenommen wird und diese nur eine einzige Möglichkeit der Bebauung erlaubt, kann diese Bebauung eine Verwertung der Strategie sein und somit die Erwirkung einer Werknutzungsbewilligung beim Urheber notwendig machen. Wichtig ist das auch deshalb, weil eine Auftraggeberin zwar kein Recht auf Schaffung eines Werkes im Sinne des Urheberrechts hat, wohl aber hat sie das Recht, dass sein Gebäude frei von Rechten Dritter ist. Beim Urheberrecht gibt es nämlich keinen „gutgläubigen Erwerb“, und die Architektin muss den Bauherrn in einem solchen Fall schad- und klaglos halten.

Ein Fall wie der des Architekten Meinhard von Gerkan, der in Bezug auf seinen neuen Berliner Hauptbahnhof gegen die Deutsche Bahn in erster Instanz Recht bekommen hat, weil diese seinen Entwurf eigenmächtig abänderte, wäre laut Höhne in Österreich jedenfalls nicht denkbar: Der Urheber ist hier bei Werken der Baukunst gegen Änderungen machtlos – die einzige Eingriffsmöglichkeit ist es, ein Schild anbringen zu lassen etwa in dem Sinne, dass der Bau nach einem Werk des Urhebers hergestellt wurde, diesem Werk aber nicht mehr entspricht. Ob von Gerkan in Deutschland nach dem Weg durch die Instanzen letztlich Recht behalten wird, ist derzeit noch nicht absehbar.


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