
Klaus Ronneberger (1950-2025)
Die Nachricht vom Tod Klaus Ronnebergers hinterlässt uns traurig und tief betroffen. Klaus Ronneberger war Stadtforscher in Frankfurt, Freund und langjähriger Autor von dérive. Er ist am 24. April mit 74 Jahren viel zu früh verstorben.
Klaus Ronneberger war ein profunder Analytiker und Kritiker gesellschaftlicher Verhältnisse. Im Fokus seiner Arbeiten stand die Auseinandersetzung mit der urbanen Gesellschaft, ihren Transformationen, ihren Machttechnologien, ihren Ökonomien, ihren Ideologien und Räumen. Angetrieben vom Anspruch, zu verstehen und zu erkennen, forschte, publizierte und lehrte er. Doch er war nicht nur Kritiker im besten Sinne, ebenso passioniert diskutierte er mit seinen Wegbegleiter:innen Möglichkeiten politischer Veränderungen und Alternativen und engagierte sich in zahlreichen Initiativen und Zusammenschlüssen.
Es ist genau 25 Jahre her, als ich Klaus Ronneberger das erste Mal getroffen habe. Ich war gerade dabei, gemeinsam mit Freunden die erste Ausgabe unserer neu gegründeten Stadtforschungszeitschrift dérive zusammenzustellen. Wenige Monate zuvor war das Buch Die Stadt als Beute von Klaus Ronneberger, Stephan Lanz und Walther Jahn (spacelab) erschienen. Die Idee, Klaus Ronneberger für ein Interview anzufragen, lag also auf der Hand. Wir fühlten uns als junge Zeitschriftengründer:innen sehr geehrt, als er zusagte. Es war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit, die durch seinen überraschenden Tod jäh unterbrochen wurde. Sein geplanter Artikel für die 100. Ausgabe von dérive kam krankheitsbedingt nicht mehr zustande.
Die Stadt als Beute, eine präzise und bis heute gültige Analyse der Auswirkungen neoliberaler Stadtentwicklung mit all ihren Privatisierungen, Kommerzialisierungen und Ordnungsfantasien, stieß damals nicht nur bei uns auf großes Interesse. René Pollesch nahm es als Grundlage für ein Theaterstück an der Berliner Volksbühne, 2005 erschien ein gleichnamiger Film von Irene von Alberti. Ausgangspunkt für eine große Karriere oder breite Bekanntheit war es trotzdem nicht. Entscheidend waren für Klaus der intellektuelle Austausch und kritische Aktivitäten mit Gleichgesinnten und Mitstreiter:innen. In Frankfurt am Main war er lange Jahre Mitglied der stadtkulturellen Gruppe Nitribitt, der InnenStadtAktion oder bei Kanak Attak; gleichzeitig war er in große Forschungsprojekte wie Shrinking Cities oder Local Modernities involviert, hatte Lehraufträge und war als Mitglied des Beirats der documenta 12 tätig. In den 1990ern forschte er als Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt. Gemeinsam mit Walter Prigge und Roger Keil sondierte er vor 35 Jahren das Potenzial eines Grüngürtels für Frankfurt oder kritisierte den Wandel der Stadt zu einer Global City im Buch Capitales fatales.
Trotz nicht vorhandener klassischer akademischer Karriere hatten seine Arbeiten im deutschsprachigen Raum großen Einfluss sowohl auf stadtaktivistische Gruppierungen als auch auf kritische Forscher:innen. dérive lud Klaus Ronneberger gerne zu Vorträgen nach Wien ein, das Publikum kam zahlreich und zeigte sich stets höchst interessiert. Ebenso penibel wie er seine Forschung betrieb, bereitete er auch seine Vorträge vor. Selbstinszenierung war ihm fremd, ihm ging es darum, sein Wissen und seine Erkenntnisse dem Publikum so gut und verständlich wie nur möglich zu vermitteln.
Ronnebergers Forschungsinteresse waren vielfältig, zeitgeistige Modethemen ließ er vorüberziehen oder unterzog sie einer kritischen Analyse. Er forschte und publizierte über Ökonomien und Infrastrukturen der Stadt, regelmäßig auch über seine Heimatstadt Frankfurt, über den fordistischen Alltag, über die Bildungsmoderne, über gesellschaftliche Ausschlüsse und Utopien oder sehr hellsichtig auch über die creative class, deren Proponent:innen er als einen »wichtigen Sozialtypus des gegenwärtigen Kapitalismus« bezeichnete. Unbestritten war ihm die Auseinandersetzung mit dem Werk des französischen Philosophen Henri Lefebvre, dessen Unkonventionalität und Originalität er schätzte, eine Herzensangelegenheit. Lefebvres Theorie der Autogestion als kontinuierlichen Kampf um kollektive Selbstverwaltung und der Demokratie als einer konstanten Bewegung in Richtung eines Horizonts strich Ronneberger nachdrücklich und zustimmend hervor.
Eine besonders schöne Publikation Ronnebergers ist Peripherie und Ungleichzeitigkeit. Pier Paolo Pasolini, Henri Lefebvre und Jacques Tati als Kritiker des fordistischen Alltags, die 2025 bei adocs erschienen ist. In seiner Einleitung schreibt Ronneberger, dass ihn die Kritik aller drei an der fordistischen Nachkriegsmoderne und der »wachsenden Entfremdung der Menschen von ihren Alltagsbedingungen durch den ›Konsumkapitalismus‹« sowie an dem damals weit verbreiteten Fortschrittsoptimismus interessiert hat.
In den letzten Jahren vertiefte er sich in dessen Schriften über die Pariser Commune, die ihn als erste urbane Revolution der Moderne besonders faszinierte: Daraus resultierte eine umfangreiche Schwerpunktausgabe für dérive ebenso wie der 2023 erschienene Band Baustelle Commune – Henri Lefebvre und die urbane Revolution von 1871, der im Rahmen eines von Jochen Becker mitinitiierten Programms für das Forum Freies Theater in Düsseldorf entstanden ist.
Gerne hätten wir noch viele neue kritische Texte von Klaus gelesen, mit ihm über Stadt und Gesellschaft diskutiert und seine Freude an Festen und Gastmahlen geteilt. Er wird uns und der kritischen Stadtforschung sehr fehlen.
Auflistung von Texten, Audio- und Videomitschnitten von Klaus Ronneberger für dérive und urbanize!
(Foto: Sarah Glück)
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
Klaus Ronneberger, Stephan Lanz, Walther Jahn
Die Stadt als Beute
Bonn: Dietz-Verlag, 1999
Rezension in dérive: https://derive.at/texte/die-stadt-als-beute/
Klaus Ronneberger
Peripherie und Ungleichzeitigkeit. Pier Paolo Pasolini, Henri Lefebvre und Jacques Tati als Kritiker des fordistischen Alltags.
Hamburg: adocs, 2015
Rezension in dérive: https://derive.at/texte/pasolini-lefebvre-tati-und-die-kritik-des-fordisitischen-alltags/
Moritz Hannemann, Klaus Ronneberger und Laura Strack (Hg.)
Baustelle Commune, Henri Lefebvre und die urbane Revolution von 1871
Hamburg: adocs, 2023
Rezension in dérive: https://derive.at/texte/die-commune-als-fest/