Last Exit Disneyland?
Besprechung von »Die Disneyfizierung der Städte« von Frank RoostFrank Roost
Die Disneyfizierung der Städte. Großprojekte der Entertainmentindustrie am Beispiel des New Yorker Times Square und der Siedlung Celebration in Florida
Stadt, Raum, Gesellschaft Band 13
Opladen 2000
161 S. ATS 241.-
Urban Entertainment Destinations und Städte nach den Vorstellungen des New Urbanism sind laut dem Architektursoziologen Frank Roost die beiden derzeit bedeutendsten Trends im Bereich Stadtplanung. In beiden Bereichen sind die Konzepte des Disney-Konzerns dominierend. Frank Roost plädiert dafür die soziale Polarisierung der Städte, die Privatisierung des öffentlichen Raumes und die Mechanismen der Abgrenzung und Ausgrenzung als die wichtigsten Begriffe im Diskurs über die Zukunft der Städte zu verankern, um eine weitere soziale und räumliche Fragmentierung der Städte zu verhindern.
Frank Roost analysiert in seinem Buch die zwei Paradebeispiele für Urban Entertainment Destinations und New Urbanism in den USA, den Times Square und Celebration, die von Disney gebaute Siedlung in Orlando Florida. An der Wandlung der Bedeutung des Times Square im 20. Jahrhundert lassen sich die urbanen Entwicklungen sehr schön darstellen. Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete die New York Times ihr Headquarter an dem Platz, der ab diesem Zeitpunkt den Namen der Zeitung trug. In den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts war der Times Square mit seinen Theatern, Restaurants, Geschäften und Hotels »das bedeutendste Vergnügungsviertel der USA und ein Synonym für die amerikanische Großstadtkultur geworden«. Der Platz trug sogar den Spitznamen »Crossroads of the World«. Ein offenes Geheimnis war auch, dass es trotz offiziellen Verbots nirgends in New York mehr Prostitution gab als am Times Square, ähnliches galt für den Drogenhandel. Gleichzeitig war der Platz lange Zeit beliebter Treffpunkt von Homosexuellen. Ab den Fünfzigerjahren änderte sich die Charakteristik des Platzes, die MitteleschichtsbürgerInnen verließen die Stadtzentren und siedelten in die Suburbs und das Fernsehen wurde zum übermächtigen Konkurrenten für die Theater und Kinos am Times Square. Die bisher im Untergrund agierende Sexindustrie eroberte den Platz und wurde zum »vorherrschenden Merkmal des Vergnügungsviertels«. Die Legalisierung des Handels mit pornographischen Erzeugnissen in den 60er-Jahren verstärkte diesen Trend weiter. Der Times Square wurde immer mehr ein Zentrum für marginalisierte Gruppen und in den Augen der Öffentlichkeit ein Zentrum der Kriminalität. Nachdem die Stadt New York ihre schwere finanzielle Krise der 70er-Jahre überwunden hatte, gab es Anfang der 80er-Jahre erste Konzepte für eine Umgestaltung des Times Square. Durch die Errichtung von Bürogebäuden sollte die bisherige soziale und ökonomische Struktur des Viertels verändert werden. Die Stadt kam damals vielen Unternehmen finanziell entgegen, wenn sie ihre Büros in der Stadt errichteten und nicht in Businessparks außerhalb der Stadt übersiedelten. Das für den Times Square ausgewählte Projekt, ein Entwurf von Philip Johnson und John Burgee, erblickte jedoch nie das Licht New Yorks. Kritik, Widerstand und Rechtsstreitigkeiten rund um die von der Stadt beinhart durchgezogenen Enteignungen verzögerten die Umsetzung des Projekts derart, dass die Investoren ihr Interesse daran verloren.
Einen erheblichen Einfluss auf die Atmosphäre des Times Squares und die Lebensbedingungen von dort aufhältigen, marginalisierten Personen hatte die Einführung der Business Improvement Districts (BID). Diese Privat-Unternehmen werden und wurden von den Geschäftsleuten und GrundbesitzerInnen der jeweiligen Viertel finanziert und sind in Form eines public-private partnerships tätig. Private Sicherheitskräfte patrouillierten von nun an Tag und Nacht durch das Viertel und meldeten Personen, die sich der kleinsten Vergehen schuldig machten, sofort der Polizei, die diese aus dem Verkehr zog. Ein eigens für Bagatelldelikte im Times Square-Viertel gegründetes Gericht verurteilt seit einigen Jahren Prostituierte, Taschendiebe, Straßenhändler und Drogenhändler und -abhängige in einem Schnellverfahren meist zu »Gemeinschaftsdiensten«. Besonderen Wert legt der Times Square BID auch auf die Reinigung des Platzes, die oft zu sehr niedrigen Löhnen von Obdachlosen erledigt wird.
Der entscheidende Einschnitt für den Times Square passierte 1992 mit der Beteiligung von Disney am »Redevelopment Project«. Mit dem Projekt wurde der Architekt Robert Stern beauftragt, der ungefähr zur selben Zeit Mitglied im Aufsichtsrat von Disney wurde. Frank Roost schildert sehr gut wie Disney durch seine Disneylands bereits seit Jahrzehnten die Ansichten der US-amerikanischen Mittelklasse, wie eine Stadt auszusehen hat, prägte. Heute ist der Times Square eine extrem beliebte Sehenswürdigkeit für StädtetouristInnen und lockt mit seiner Betonung auf Sauberkeit und familiengerechte Unterhaltung auch die BewohnerInnen der Suburbs wieder an den einst verruchten Platz. Nicht nur das, seit dem Einstieg des Disney-Konzerns dient der Times Square weltweit als Modell für unterhaltungsorientierte Stadterneuerungsprojekte.
Die Vorgeschichte zur New Urbanism Siedlung Celebration, beginnend mit Walt Disneys EPCOT-Projekt, erzählt Roost ebenso spannend und faktenreich wie diejenige des Times Squares. Im Abschlusskapitel zeigt Roost wie sehr die Disneyfizierung auch auf andere Länder übergegriffen hat und führt als Beispiele u.a. den Potsdamer Platz und die von Rob Krier entworfene Siedlung Kirchsteigfeld an. Für Roost bleiben die von den BetreiberInnen versprochenen, positiven Wirkungen der urban entertainment destinations und der neotraditionellen Siedlungen marginal: »So können die Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen vielleicht eine leichte Belebung der kriselnden Stadtökonomien hervorrufen, und die neuen Vorstädte zu einem im Vergleich mit herkömmlichen suburbanen Siedlungmustern etwas geringeren Flächenverbrauch führen. Eine strukturelle Verbesserung und einen Ausweg aus dem Dilemma der zunehmend zersiedelten und gesellschaftlich wie ökonomisch gespaltenen Großstadtagglomerationen bieten sie aber nicht. Stattdessen sind sie Ausdruck des Versuchs der Mittelschicht, sich von den Verlierern der Polarisierung abzugrenzen und führen im Falle der urban entertainment centers sogar zu einer Privatisierung des öffentlichen Raums - als Inseln der Seligen im Meer der räumlich und sozial fragmentierten Stadtregionen.«
Alle Zitate im Text sind aus dem besprochenen Buch.
Frank Roost
Die Disneyfizierung der Städte. Großprojekte der Entertainmentindustrie am Beispiel des New Yorker Times Square und der Siedlung Celebration in Florida
Stadt, Raum, Gesellschaft Band 13
Opladen 2000
161 S. ATS 241.-
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.