Space.ing
Gebaute Räume und Sozialräume in der Wiener Stadterneuerung»Was ist Raum?« Wird diese Frage an verschiedene Disziplinen gestellt, kann davon ausgegangen werden, dass die Antworten vielfältig, verschieden oder sogar konträr sein werden. Beschäftigt man sich nun mit dem Maßstab Stadt wird die Komplexität von Stadtraum als gebauter Raum, als Reflexionsraum, als Reaktionsraum und als Handlungsraum deutlich und zu einem zentralen Thema der Stadterneuerung. In einem interdisziplinären Seminar, das das Institut der Soziologie für Raumplanung und Architektur (ISRA) gemeinsam mit dem Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen an der TU Wien unter dem Titel »Wechselwirkungen von gebauten Räumen und Sozialräumen« angeboten hat, haben sich Studierende mit der Beziehung von baulichen Räumen zu nur bedingt planbaren Handlungswelten im Rahmen der Wiener Stadterneuerung beschäftigt.
Als Aktion des Raumergreifens, Raumgestaltens und der Raumwahrnehmung sowie der transdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Thema Wechselverhältnis von gebauten Räumen und Sozialräumen haben sich Studierende der Architektur, der Raumplanung, der Soziologie und der Psychologie neue Sichtweisen auf Orte und Räume, auf Planbarkeit von sozialen Strukturen und auf lebensgeschichtliche Bedeutungen von Stadträumen erarbeitet.
Raum wird von uns in Anlehnung an Martina Löw als relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern gedacht. Die Entstehung von Räumen ist ein Prozess des Errichtens, Bauens oder Positionierens, der aktiv durch Menschen sozial konstruiert wird. In diesem Prozess des »Spacing« werden Objekte oder Dinge mit anderen Elementen bzw. mit Menschen verknüpft und Platzierungen vorgenommen. (Löw 2001: 158) Orte werden zu Räumen, gestaltende Handlungen verändern bauliche Strukturen und deren Wahrnehmungen. Die Stadt oder vielleicht präziser ausgedrückt die unterschiedlichen Stadträume entwickeln sich in einem kontinuierlichen Wandel: Durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse verändern sich Lebensweisen, Lebensstile, Wirtschafts- und Regulationsformen, durch Zu- und Wegzüge verändert sich die Bevölkerung, durch Abriss, Neubau, Modernisierung, Umbau und Stadterweiterung verändern sich die baulichen Substanzen und die raumfunktionalen Bezüge. Die Veränderungen des gebauten Raumes wie die des Sozialraumes sind wechselseitig miteinander verknüpft. Im Zuge dieser Veränderungen erneuern sich Stadträume in einem dynamischen Anpassungsprozess: Notwendiges wird Gedachtes wird Gebautes wird Benutztes wird Umgebautes wird wieder Gedachtes und Stadterneuerung ist Raumbildung ist Lernen ist Raumbildung ist ein sozialer Prozess.
Ausgangslage und Fragestellung
Vornehmlich die raumgestaltenden Disziplinen Architektur, Städtebau und Raumplanung werden im Auftrag der Gesellschaft und ihrer politischen VertreterInnen mit der Planung dieses Wandels und der Steuerung dieses Prozesses räumlicher und sozialer Neustrukturierung beauftragt: Stadterneuerung stellt einen staatlich initiierten und gesteuerten Prozess dar, der bestimmte städtische Teilräume in ihrer Bausubstanz und/oder in ihrer sozialräumlichen Funktion verbessern will (vgl. Semsroth & Tomaselli 2002). Dabei hat die Stadterneuerung sowohl architektonische, städtebauliche wie auch raumplanerische Ziele: In der Objektstruktur liegende bauliche, die lokale und regionale Ebene betreffende städtebauliche sowie vor Ort befindliche und strukturelle soziale »Missstände« sollen in diesem Prozess beseitigt werden. Der Umbau der bestehenden Stadtstruktur soll dazu beitragen, dass Stadträume den gegenwärtigen Anforderungen an Leben und Umfeld gerecht werden.
Wie die stadträumlichen Rahmenbedingungen haben sich auch die Aufgaben der Stadterneuerung gewandelt: Zur Gründungszeit des »Wiener Modells der Stadterneuerung« in den frühen 1970er-Jahren waren das überwiegende strategische Ziel die Wohnhaussanierungen (Sockelsanierung). Mit der Konzentration auf die einzelnen baulichen Objekte sollte den in die Kritik geratenen Flächensanierungen entgegengetreten werden. Der Wiener Weg der »sanften Stadterneuerung« wurde um eine lokalräumliche Komponente erweitert. Mit der Einführung der Konzeption der Gebietsbetreuung seit 1974 weitet sich das Tätigkeitsfeld um die Aufwertung des Wohnumfeldes (Blocksanierung) aus. Dabei spielt die Gestaltung des öffentlichen Raumes unter Einbezug der Bewohnerschaft eine stärkere Rolle. Gegenwärtig rücken, vor dem Hintergrund umfassender Substanzverbesserungen im baulichen Bestand und zunehmender sozio-ökonomischer Problemstellungen, die Verflechtung von baulicher Struktur, sozialem und ökonomischem Handeln mehr und mehr in den Fokus der Stadterneuerung (Grätzelmanagement) (vgl. Pleiner & Thies 2002).
Aus dieser Ausgangslage erwächst die Frage, wie Architektur, Städtebau und Raumplanung im Handlungsfeld der Stadterneuerung auf den gesellschaftlichen Wandel und die neuen spezifischen Anforderungen und Bedingungen an die Gestaltung der Stadträume reagieren können und müssen. Schon immer arbeiten Architektur, Städtebau und Raumplanung mit ihren je spezifischen Kompetenzen im Tätigkeitsfeld der Stadterneuerung Hand in Hand. Gleichwohl sind die AkteurInnen dieser Professionen von eben ihren spezifischen Kompetenzen geprägt: In Kooperationsprozessen werden unterschiedliche Konzeptionen und Referenzsysteme offenbar. Es drängt sich angesichts der gemeinsamen Aufgabenstellung die Frage auf, wie die Kooperationen zwischen den beteiligen Disziplinen Architektur, Städtebau, Landschaftsplanung und Raumplanung mit Erkenntnissen der Soziologie verknüpft werden können.
Seminarkonzeption
Die Seminarkonzeption beinhaltete eine inter- und transdisziplinäre Sichtweise auf das Wechselspiel zwischen gebautem und sozialem Raum. Der Stadterneuerungsprozess sollte in einer interdisziplinären Kooperation in den gesellschaftlichen Kontext eingeordnet werden. Hierzu wurden diejenigen Strategien der Stadterneuerung analysiert, die das Wechselspiel zwischen baulichen und sozialen Faktoren in Stadträumen stärker ins Blickfeld nehmen. Im Zentrum der Auseinandersetzung standen Stadträume, die sich durch aktive Eingriffe transformieren. Der Fokus wurde dabei gezielt auf den »Doppelcharakter« von Orten als öffentlichen Stadträumen gelegt:
-
Der Ort als öffentlicher Raum als gebauter Raum im Sinne einer Objekthaftigkeit von Bebauung, Infrastruktur und urbanem Zeichensystem. Diese stehen im Zentrum der Diskurse in Architektur und Stadtplanung.
-
Der Ort als öffentlicher Raum als Sozialraum im Sinne einer Subjekthaftigkeit von Verhalten, Kommunikation und der Positionierung des Individuums. Diese Perspektive wird in der Stadtsoziologie, der Sozialgeografie, den Kulturwissenschaften und der Anthropologie thematisiert.
Als erster Arbeitsschritt wurde auf der Basis stadtsoziologischer, stadtplanerischer und architektonischer Konzeptionen der Funktionswandel urbaner öffentlicher Räume u.a. anhand der Dimensionen Zugänglichkeit, Sichtbarkeit, Nutzungsformen, demokratische Repräsentanz, Kommunikation, Interaktion, Identität, Soziabilität, Soziales Lernen, Soziale Kontrolle und Sicherheit analysiert. So konnte eine theoretisch hergeleitete Konzeption für die disziplinenübergreifende Analyse der Stadträume begründet und in eine disziplinenübergreifende Untersuchungsmethode überführt werden.
Im zweiten Abschnitt wurden ausgewählte Projekte und Orte, in denen die Wiener Stadterneuerung tätig ist, bearbeitet. Um dem Doppelcharakter der Erscheinungsformen der Orte gerecht zu werden, wurden analytisch zwei Formen der Bearbeitung angewandt: Die Ortsanalyse und die Sozialraumanalyse, die jeweils gemäß der Kriterien und Grundlagen der beteiligten Disziplinen erfolgten (vgl. Schubert 2002).
Die größte Herausforderung war die Aufhebung der analytischen Trennung zwischen gebautem Raum und Sozialraum bzw. die Verknüpfung der fachspezifischen Betrachtungsebenen. Die bewusste Vernetzung dieser Ebenen sollte ein Verständnis von Stadträumen ermöglichen, welche der realen Komplexität urbaner Alltagswelten annähernd gerecht wird. Die Aufgabenstellung entpuppte sich als so komplex wie die Situationen an den ausgewählten Orten: Der gemeinsame Zugang über den Gegenstand Raum erwies sich als fruchtbare wissenschaftliche Auseinandersetzung. Unterschiedliche Verständnisse, Sichtweisen und Kommunikationsformen, Momente des Nichtverstehens, Beharrenwollens, scheinbarer Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten wurden in diskursiver Form verhandelt und in Verbindung gebracht.
Ergebnisse
Die Strategien der Stadterneuerung wurden zwischen zwei Polen verortet. Zum einen als eine Investition in die bauliche Struktur, mit dem Ziel Defizite der städtebaulichen Situation zu beseitigen und zum anderen als Investitionen in soziale Strukturen, mit dem Ziel soziale Prozesse der Erneuerung und der Stärkung sozialer Strukturen zu erreichen.
Themen der Arbeiten[1] waren z.B.:
- Die Konfliktkultur und die Auswirkung von Regeln auf Räume, sowie deren potenzielle Möglichkeiten für die Stadterneuerung.
- Die Veränderung von Raum innerhalb biografischer Erzählungen und die Vorstellungen, die von konkreten Orten, Plätzen, Straßen etc. bei den Menschen, die an diesen Orten arbeiten und leben, ausgelöst werden.
- Die Aneignung von öffentlichen Räumen als einem Prozess der Heranbildung eigener Identitäten und Persönlichkeitsstrukturen. Das Erfassen von Interaktionsmustern bildet die Basis für die Internalisierung der Leitbilder, Normen, Wertvorstellungen und Zielsetzungen der jeweiligen Gesellschaft.
- Die Rolle von Architektur als urbaner Symbolsprache, die im städtischen Raum strategisch eingesetzt wird, um Rahmenbedingungen materieller wie ideologischer Art zu konstruieren, die für eine Ökonomie der Symbole nutzbar werden. (Beispiel: neue Hauptbibliothek am Wiener Gürtel).
Stadterneuerung findet nicht in einem luftleeren Raum statt, ja sie findet nicht einfach nur statt, sondern wird vielseitig produziert. Die hinter den Strategien liegenden Ziele und Interessen sowohl von Individuen als auch von politischen Institutionen oder privaten Gruppen sind für das Ergebnis ausschlaggebend.
Fußnoten
Titel der Projekte bzw. Gruppen: »raum.erlesen« »urbane quellen« »freiraum=freiRAUM« »raum.alter« und »(alpt)raum« ↩︎
Mona El Khafif
Oliver Frey