Stadterneuerung – postmodern
Sowohl von bürgerlich-konservativer als auch von links-alternativer Seite formierte sich in der BRD Widerstand gegen die von Kahlschlagsanierung und Zwangsbeglückung gekennzeichnete Stadterneuerung der 1960er- und 1970er-Jahre. Die »erhaltende Erneuerung« war Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Das Ende der DDR hinterließ einen riesigen Bestand an (Alt-)bauwohnungen in denen seit Jahrzehnten keine Instandhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen vorgenommen worden waren. Privates Kapital war für die Sanierung nötig, Mieterschutz sollte die soziale Zusammensetzung der Quartiere erhalten.
In den 1960er- und 1970er-Jahren bildete die Stadterneuerung eine heiße politische Arena. Die großen Städte erlebten wegen eines allgemein dynamischen Wirtschaftswachstums eine starke Expansion. Innerstädtische Altbauquartiere wurden entweder in City-Erweiterungsgebiete umgewandelt, fielen verkehrstechnischen Ausbaumaßnahmen zum Opfer oder wurden Gegenstand einer Sanierungspolitik, die die Beseitigung von Armutsgebieten bzw. von Unternutzungen zum Ziel hatte. Eine kapitalstarke Modernisierungspolitik folgte in ihren sozialen und stadtstrukturellen Zielen der Tradition eines rabiaten Stadtumbaus, wie er im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Paris unter weltweiter Bewunderung vollzogen worden war.
Widerstand gegen Kahlschlagsanierung und Zwangsbeglückung
Doch nach dem Zweiten Weltkrieg stieß diese Politik zunehmend auf Widerstand von zwei Seiten: Zum einen seitens der bürgerlich-konservativen Stadtpolitik, die sich unter der Flagge des Denkmalschutzes vor allem gegen die Enttraditionalisierung des Stadtbildes und gegen die phantasielose moderne Serienarchitektur wandte; auf der anderen Seite formierte sich in den innerstädtischen Altbaugebieten eine Oppositionsbewegung, die – getragen vor allem von einem intellektuellen Publikum – sich zum Fürsprecher der Arbeiter- und Armutsbevölkerung machte und dem Widerstand gegen die Kahlschlagsanierung eine antikapitalistische Stoßrichtung gab. Der Widerstand richtete sich zwar gegen den Staat, der als Hauptakteur der Stadterneuerung auftrat, aber dieser galt nur als Handlanger von kapitalistischen Verwertungsinteressen – was ja insofern richtig war, als damit eine Wachstumsentwicklung organisatorisch und finanziell unterstützt wurde, die vor allem den GrundeigentümerInnen in den Sanierungsgebieten nützte. Der antikapitalistische Widerstand sah in der Stadtplanung eine Repräsentantin der »Spekulanten«. Legitimiert war diese Politik jedoch (auch) mit der Beseitigung »unzureichender« Wohnbedingungen und »rückständiger« Sozialverhältnisse, die unter dem Begriff »städtebaulicher Missstände« zusammengefasst wurden, und deren Beseitigung zum Sanierungsziel erklärt wurde. Was als Missstand galt, wurde von staatlicher Seite mit Hilfe von StadtplanerInnen und SoziologInnen entsprechend einem fordistisch inspirierten Modernisierungskonzept festgelegt. An dieser Zwangsbeglückung setzte die Opposition an und hielt dieser Strategie die »wirklichen« Bedürfnisse der BewohnerInnen von Sanierungsgebieten entgegen, die im Sanierungsprozess über Beteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren zur Geltung kommen sollten. Mit dem Rückenwind der bürgerlichen Verteidigung der »alten Stadt« konnten – zum Teil in heftigen Straßenkämpfen – der Sanierungsplanung Verfahren der kollektiven Bürgerbeteiligung abgetrotzt werden: »Betroffenenvertretungen« wurden zu FürsprecherInnen eines Sanierungsgebiets und traten als VerhandlungspartnerInnen den SanierungsträgerInnen gegenüber, die, ausgestattet mit umfassenden Vollmachten und großen finanziellen Ressourcen, als Treuhänder des Staates fungierten. Diese Konstellation führte zu staatlich finanzierten Kompromissen und schließlich zur »erhaltenden Erneuerung«, die nach und nach als allgemein akzeptierte Strategie an die Stelle der Kahlschlagsanierung trat. Obwohl nun der Erhalt von historischer Bausubstanz und der Verbleib der anwesenden BewohnerInnen zu mit der Modernisierung gleich berechtigten Zielen wurden, blieb der Grundkonflikt bestehen: Wer kann mit welchem Recht darüber entscheiden, wie sich die Wohnverhältnisse in einem Quartier entwickeln sollen? Der Staat? Die EigentümerInnen? Die BewohnerInnen? Dabei ging es um bezahlbaren Wohnraum und um eine Machtfrage.
Das Erbe der DDR
Die Verhältnisse begannen sich in den 1980er-Jahren zu verändern: Das Wachstum von Wirtschaft und Staat geriet in eine Krise, und damit standen der Stadterneuerung auch nur noch begrenzte Mittel zur Verfügung. Einen radikalen Wandel im Sanierungsregime brachte schließlich die deutsche Wiedervereinigung mit sich, denn die Aufgaben der Stadterneuerung nahmen nun ganz andere Dimensionen an. In der DDR wurden Altbaugebiete lange Zeit vollkommen vernachlässigt, weil sie als Ausdruck eines kapitalistischen Städtebaus galten (was sie ja auch waren) und weil sich die meisten Häuser noch in Privateigentum befanden. Die wurden zwar vom Staat verwaltet, aber investiert wurde nicht. Sie waren zum Abriss vorgesehen, der gesamte Altbaubestand war – bis auf wenige Ausnahmen – gleichsam zum Sanierungserwartungsgebiet erklärt worden und wurde wie im Kapitalismus ökonomisch rational behandelt: Desinvestition, Restnutzung. Die Städte hatten also im Jahr 1989 einen riesigen Bestand an Wohnungen, in denen seit 50 Jahren kaum noch Instandhaltungs- und keine Modernisierungsinvestitionen vorgenommen worden waren und die Infrastruktur verfallen war – eine Aufgabe von gigantischen Dimensionen für die Stadterneuerung. Da der Verfall der Altbaugebiete einer der Gründe für die wachsende Opposition in der DDR gewesen war, war es keine Frage für die Regierung im vereinigten Deutschland, dass sie hier ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen musste. Diese Aufgabe stellte sich einem Staat, der sich aufgrund des sonstigen Investitionsbedarfs und aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels in einer akuten Finanzkrise befand. Die Stadterneuerung musste also anders organisiert werden: Die Mobilisierung privaten Kapitals für diese Aufgabe wurde zu einem zentralen Bezugspunkt. Gleichzeitig jedoch durften die sozialen Ziele nicht aufgegeben werden – gerade im Transformationsprozess des vormals sozialistisch organisierten Wohnungswesens[1], in dem die BewohnerInnen zwar wenig Einfluss auf die Qualität der Wohnungsversorgung hatten, aber das den MieterInnen historisch beispiellose Rechte hinsichtlich der Wohnsicherheit gegeben hatte und in dem das Wohnen fast nichts gekostet hatte.
Vom fordistischen zum postfordistischen Sanierungsregime
Wenn man die oben skizzierte Stadterneuerungspolitik als ein »fordistisches Sanierungsregime« bezeichnet, kann man seit spätestens 1990 von einem »postfordistischen« Regime sprechen, das in Umrissen so aussieht: Der Staat gibt materielle Anreize für Erneuerungsinvestitionen in Form von Steuerverzichten und setzt gleichzeitig einen rechtlichen Rahmen, der die Sozial- und Stadtverträglichkeit dieser Eingriffe sicherstellen soll. Zentraler Akteur ist also nicht mehr ein allmächtiger Sanierungsträger, vielmehr wird ein dezentrales Akteurssystem installiert, für das die Sanierungsverwaltung gleichsam die Rolle eines Regisseurs übernimmt. Konkret sah das z.B. im »größten Sanierungsgebiet Europas«, im Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin, so aus: Die Höhe der Verkaufspreise bei Eigentümerwechsel musste vom Bezirksamt genehmigt werden, um spekulative Preise zu vermeiden. Erneuerungsinvestitionen waren durch die umfangreichen Möglichkeiten zu Steuerabschreibungen, die für das »Beitrittsgebiet« (früher: DDR) insgesamt galten, sehr attraktiv geworden. Die Erneuerungsmaßnahmen benötigten allerdings eine Genehmigung der Stadtplanungsbehörde, die u.a. davon abhängig gemacht wurde, dass eine zwischen MieterInnen und EigentümerInnen schriftlich fixierte Vereinbarung über den Umfang der Investitionen und über die spätere Miethöhe vorlag. Außerdem erließ die Sanierungsverwaltung eine Regelung zu den Obergrenzen der Mieten, die nach Abschluss der Sanierung für die Erstvermietung einzuhalten waren. Damit war also ein Rahmen gesetzt, in dem Art und Ausmaß von Modernisierung und Sanierung in individuellen Verhandlungen zwischen EigentümerInnen und MieterInnen festgelegt werden mussten. Theoretisch versetzte dieses Modell die MieterInnen in eine starke Position, denn ohne ihre Zustimmung konnten die EigentümerInnen nicht investieren. Der »Erhalt der sozialen Zusammensetzung« der Quartiersbevölkerung schien also gesichert, denn jeder, der in seiner Wohnung bleiben wollte, konnte die Bedingungen dafür gegen den Eigentümer durchsetzen – mit einer Ausnahme: Ein bestimmtes Mindestniveau an Modernisierung (Heizung, Sanitäreinrichtungen, Wärmedämmung) müssen die MieterInnen nach der allgemein gültigen Rechtslage »dulden«. Jegliche Investition abzulehnen und an der zwar nicht komfortablen, aber dafür sehr billigen Wohnung festzuhalten, war also nicht möglich.
Verdrängung trotz starker Mieterrechte
Sieht man sich die Daten zum Wandel der sozialen Zusammensetzung im Quartier während des Erneuerungsprozesses an, dann ist dennoch eine starke Veränderung festzustellen.[2] Hinsichtlich der Einkommensstruktur zeigt sich eine Polarisierung: Während der Bezirk bei den Durchschnittseinkommen im unteren Drittel der Rangfolge aller Bezirke liegt, sind die Anteile höherer Einkommen und die von sehr niedrigen Einkommen hoch. Bei den Bildungsabschlüssen weist Prenzlauer Berg inzwischen den höchsten Anteil auf – und gleichzeitig ist der Bezirk, gemessen am Altersdurchschnitt seiner BewohnerInnen, der jüngste Bezirk von Berlin geworden und hat die höchste Geburtenrate. Die soziale Zusammensetzung konnte also trotz der starken Mieterrechte nicht erhalten werden. Die Gründe dafür sind vielfältig, wobei sowohl endogener Wandel als auch Mobilitätsprozesse eine Rolle spielen. Die zwangsläufige Steigerung der Miete, auch wenn sie pro Quadratmeter moderat ist, bringt manche Haushalte an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten bzw. Zahlungsbereitschaft, wenn die Wohnung eine große Fläche hat – ein besonderer Vorzug von Altbauten. Angesichts der zu erwartenden Belästigungen durch die Bauarbeiten packen andere MieterInnen sofort ihre Sachen und fangen gar nicht erst an, über die Umbauten zu verhandeln. Und nicht selten schikanieren die EigentümerInnen die MieterInnen so lange, bis diese entnervt aufgeben. Dann kann bei der Neuvermietung Miete gleich an der Obergrenze der zulässigen Miethöhe angesetzt oder die Wohnung verkauft werden. Außerdem ließen sich viele MieterInnen ihre Rechte durch »Abstandszahlungen« seitens der EigentümerInnen abkaufen, wobei es sich je nach Durchsetzungskraft der Wegziehenden um erhebliche Summen handelte. Der dadurch mögliche Verkauf als modernisierte Eigentumswohnung erbrachte einen so hohen Profit, dass sich dieses »Herauskaufen« für den Eigentümer dennoch lohnte. Schließlich ist die kulturelle Entfremdung zu nennen, die manche »alteingesessenen« Haushalte dazu veranlasste, das Gebiet zu verlassen; die neu entstehende Infrastruktur aus Gastronomie und lebensstilspezifischem Einzelhandel sowie der Zerfall des gewohnten Milieus wurde als »Verwestlichung« und Kommerzialisierung erlebt. In den individuellen Aushandlungsprozessen zwischen EigentümerInnen und MieterInnen konnten vor allem diejenigen BewohnerInnen ihre Rechte wahren und Ansprüche durchsetzen, die rechtskundig waren oder entsprechenden Beistand mobilisieren konnten, die über die Fähigkeit verfügten, Forderungen in der direkten Konfrontation mit den VertreterInnen des Eigentümers durchzusetzen oder die die übrigen Hausbewohnerinnen mit gemeinsamen Positionen in einer kollektiven Aktion organisieren konnten. Kurz gesagt: Entscheidend war das soziale und kulturelle Kapital, über das die betroffenen MieterInnen verfügten.
Entpolitisierung durch Individualisierung
Gegenüber dem fordistischen Sanierungsregime ergab sich durch die Individualisierung der Entscheidungen und durch die Dezentrierung des Staates eine Entpolitisierung des Erneuerungsprozesses. Kollektive Auseinandersetzungen um das Quartier gibt es nicht mehr, weil es keine kollektiven AkteurInnen mehr gibt. In jedem Haus stellten sich andere Entscheidungsprobleme, die Mieter hatten heterogene Interessen, weil sie eine unterschiedliche Biographie hatten, eine unterschiedliche materielle Lage und unterschiedliche Lebensstile. Politische Auseinandersetzung über die Entwicklung des gesamten Quartiers hatten daher keine Grundlage in den heterogenen Problemlagen in nahezu jeder einzelnen Wohnung. Die Kahlschlagsanierungen der 1960er- und 1970er-Jahre hatten die Vertreibung der Wohnbevölkerung zur Folge, aber da die Neubebauung überwiegend als »sozialer Wohnungsbau« erfolgte, änderte sich die »soziale Zusammensetzung« insgesamt nur wenig: Es blieben Wohngebiete für Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Im postfordistischen Regime spielt das Einkommen der BewohnerInnen dagegen eine eher marginale Rolle – entscheidend für den Verbleib sind die kulturellen und sozialen Ressourcen, die über den Erfolg in individuellen Aushandlungsprozessen entscheiden. Damit verändert sich die symbolische und kulturelle Dimension des Sozialraumes, und dieser Wandel sortiert die Zu- und Wegzüge in das Quartier. So ist trotz des politischen Ziels »Erhalt der sozialen Zusammensetzung« der soziale Wandel auffällig und unaufhaltsam.
Fußnoten
Vgl. Häußermann, Hartmut; Siebel Walter, Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens. Weinheim: Juventa, 1996. ↩︎
Vgl. Häußermann/Holm/Zunzer, Stadterneuerung in der Berliner Republik. Modernisierung in Berlin- Prenzlauer Berg. Opladen: Leske + Budrich, 2002 ↩︎
Hartmut Häußermann