The Infrastructural City
Besprechung von »The Infrastructural City. Networked Ecologies in Los Angeles« herausgeben von Kazys VarnelisEs ist das Cover-Foto, das die Imagination bedrängt. Es ist das Cover-Foto, das das Reale einfängt. Es ist das Cover-Foto, das die nahe Zukunft als verlängerte Gegenwart begreifbar werden lässt und zugleich den Status des Urbanen zeigt, in dem einander Fremdes, auch in unerwarteter Weise, begegnet und neue Verbindungen eingeht. Palme trifft Mobilfunk. In frühen stadtsoziologischen Texten wird Fremde mit Urbanität gleich gesetzt. Für Park ist es der Fremde, der die Stadt ausmacht. Für Simmel ist die Stadt jener Ort, an dem einander Fremde potenziell begegnen. Das Fremde, das einander begegnet, nicht nur zwischen menschlichen Akteuren, sondern auch zwischen natürlichen und technoiden Akteuren, führt zur Produktion von neuen Formen des Austausches und der Konnektivität.
Die Spitze der Palme ist zugleich auch die Spitze der Telekommunikation. Die Spitze der Telekommunikation hat die Baumkrone erreicht. Die Palme wurde zu einem Knoten im System der Palmen, die miteinander ein Netz bilden. Das Bild der Palme erzählt zugleich die Stadt, um die es in den Networked Ecologies geht. Die Palme, langjährig kulturell eingelernte Ikone der Stadtsilhouette von Los Angeles, wurde zu einem Mobilfunksendemast. Natur und Infrastruktur sind einander aufs Engste verbunden worden. Die Hybridität von zeitgenössischen Infrastrukturen zwischen den natürlichen Ressourcen, den je spezifischen stadthistorischen Gewordenheiten und neuen Verbindungen verlangt nach einer neuen urbanistischen Forschungs- sowie Planungsperspektive auf die Bedingungen des Städtischen. Die komplex voneinander abhängigen Ökosysteme, die ungelösten Fragen des Umweltschutzes, die Neudefinition und langfristige Transformation von vorhandenen städtischen Infrastrukturen sowie die weitreichende Verzweigtheit des Ineinanderwirkens und der sensiblen Abhängigkeiten der Netzwerke von Ressourcen, Industrien und Infrastrukturen in großem Maßstab bilden das intellektuelle Gerüst von The Infrastructural City. Networked Ecologies in Los Angeles. Um das Bauen von neuen Infrastrukturen kann es nicht gehen. Vielmehr muss es um das Entwickeln ganzheitlicher, netzwerksensibler Zugänge gehen.
Herausgeber Kazys Varnelis, der Leiter des Network Architecture Lab an der Columbia University Graduate School of Architecture, Planning and Preservation, war sowohl 2004 als auch 2006 der Präsident des Los Angeles Forum for Architecture and Urban Design. Im Vorwort zu diesem Band beschreibt er ihn folgendermaßen: »This book is an atlas, but it is also a manual, something that might be found on the floor of a yellow pick-up truck parked next to the Los Angeles River channel, next to some rubber boots. As such, it could be used as a guide to the city, however incomplete, but it also might be for another audience, for a future kind of urban planner, designer, architect or resident. This new kind of urbanist might very well resemble a hacker, in the best sense,
re-imagining how to appropriate the codes, rules, and systems that make up the contemporary city and manipulate them …« Die Analysen und Beschreibungen der elf Essays in diesem Band sind im besten Sinne aufeinander verweisend, nicht aufeinander aufbauend, aber inhaltlich wie strategisch vernetzt, analytisch wie planungspraktisch aufeinander bezogen und so einander ebenso bedingend wie durchdringend. Wasser, Verkehr, Öl, Telekommunikation, Verteilungssysteme und Lagersysteme sind die großen Themen des Buchs.
Die 1850 gegründete Stadt Los Angeles hat in der Entwicklung der urbanistischen Theoriebildung immer eine herausragende Rolle gespielt, z.B. für den »marxist-environmentalist« Mike Davis oder den kritischen Postmodernen Edward Soja. Dort, wo eine Stadt eigentlich nichts zu suchen hat, da es an natürlichen Ressourcen mangelt, wuchs Los Angeles sich auf das Life-Support-System Infrastruktur stützend zur zweitgrößten Metropole in den USA. Im kollektiven Gedächtnis der Stadt, in den Namen seiner Straßen ist die Überlebenswichtigkeit der Infrastruktur omnipräsent, so ist beispielsweise der Mulholland Drive nach dem Wasserbauingenieur William Mulholland, der im späten 19. Jahrhundert hierherzog, benannt. Als Autodidakt stieg er zum Leiter des Los Angeles Department of Water and Power auf und verwandelte die von dürrem Unterholz bedeckte abweisende Wüstenlandschaft durch die ausgeklügelte Konzeption der Planung eines öffentlichen Wasserkanalsystems in jene Stadtlandschaft, die sich für Wohnen und Expansion eignet. Insofern ist Los Angeles die komplexe Idealsituation für urbanistische Case Studies, die sich mit der nahen Zukunft des Urbanen recherchierend, forschend und planend auseinandersetzen. In drei großen Themenbereichen strukturiert, mit den Titeln Landscape, Fabric und Objects, werden die unterschiedlichen Ressourcen und Infrastrukturen in ihren Bedeutungen und möglichen Zukunftsperspektiven vorgestellt. Genauso wichtig wie die textuellen Analysen sind die photographischen Analysen, die von Lane Barden stammen. Bereits 2005 hatte Barden sein Fotorechercheprojekt The Los Angeles River: 52 Miles Downstream an der SCI-Arc, dem Southern California Institute of Architecture, in einer Einzelausstellung präsentiert. Für dieses Buch wurden drei verschiedene Los-Angeles-spezifische Raumtypologien untersucht, der Los Angeles River, der Wilshire Boulevard und der Alameda Corridor. Neben der textuellen und der fotographischen Ebene bestimmt eine dritte das Buch als Atlas. Diese dritte Ebene besteht aus Karten, die von Leah Meisterlin verfasst wurden. Sie verstehen sich als Fortsetzung und Pendants zu Mary Banhams Karten, die in Reyner Banhams Los Angeles: The Architecture of Four Ecologies, das 1971 erstmals publiziert wurde, veröffentlicht sind. Das dicht gewobene Ensemble aus Texten, Fotografien und Bildern erzeugt einen Atlas als Urban Case Study, die dem Materiellen und seinen Bedingungen, den Fragilitäten und ihren Rechten, den AkteurInnen und ihren Verantwortlichkeiten, den Ökonomien und ihren ökologischen Implikationen, den vorhandenen Ressourcen und ihren Transformierbarkeiten und Hybriditäten nachgeht.
Elke Krasny ist Kuratorin, Stadtforscherin und Professorin für Kunst und Bildung an der Akademie der bildenden Künste Wien.