»Unter Hitler war nicht alles schlecht«
Besprechung von »Architekturen des Nationalsozialismus. Ein konzeptkünstlerisches Forschungsprojekt« von Maria Theresia Litschauer… eine Einschätzung, die 42 Prozent aller ÖsterreicherInnen teilen, wie eine unlängst von der Tageszeitung Der Standard dem Marketinstitut in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage ermittelte. Landläufig wird in diesem Zusammenhang stets auf den Reichsautobahnbau verwiesen, welcher für die »Ostmark« tatsächlich nahezu unbedeutend war, da lediglich knapp 20 km davon vor Kriegsbeginn gebaut werden konnten. Während außerdem 61 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, die Nazizeit wäre hierzulande ausreichend aufgearbeitet, spürt die Künstlerin Maria Theresia Litschauer in ihrem im vergangenen Herbst erschienenen Künstlerbuch Architekturen des Nationalsozialismus der zeitgeschichtlichen, baukulturellen Realität nach. Die Debatte über NS-Bauten kam erst spät in Gang, und in Österreich ist sie praktisch ausgeblieben. Wurden in den Jahren nach dem Krieg zunächst ausschließlich Repräsentationsbauten aus kunsthistorischer und ideologiekritischer Sicht betrachtet, so folgte seit den 1980er Jahren eine auf formalästhetische Einordnungen in Stilepochen reduzierte Herangehensweise, welche sich auf die Interpretation der Funktion der Bauten und deren Katalogisierung beschränkte und sich somit einer vermeintlichen »Wertfreiheit« verschrieb. Schon Winfried Nerdinger betonte die darin enthaltene Schiefheit, dass dadurch erst die »architektonischen Qualitäten« dieser Gebäude entdeckt werden und Hitlers Haus- und Hofbaukünstler Albert Speer zum zweitgrößten Architekten Deutschlands stilisiert werden konnte. Genau an dieser Stelle egalisierender Einordnung sowie archivaler Systematik, welche nachträglich die Konstruktionen einer Stilepoche ermöglichte, hakt Litschauer ein. Sie möchte den »Topos einer vorgeblichen Bauepoche suspendieren.« Es war schon Adolf Hitler selbst, der die Ausbildung eines homogenen Kanons unterband und seinen Gestaltungsvorbehalten den Bauwillen entgegen hielt. Zwar distanzierten die Nazis sich von allem, was als Moderne daher kam, bezogen sich aber in der von Hitler favorisierten staatstragenden Architektur explizit nicht auf heimatschützlerische Prinzipien und Blut-und-Boden-Ideologie. Diese blieb in erster Linie des Führers baulichem Stiefkind vorbehalten: dem Siedlungsbau. Gerade jene Architekten der Heimatschutzbewegung, welche sich schon in den Jahren vor dem Nationalsozialismus nicht auf regional-traditionelle Vielfalt der Bauweisen, sondern auf Bodenständigkeit und Deutschtum beziehen wollten, fanden hier ihre baulich-ideologische Heimat. So konnten sie später, wenn nicht gleich in der Ausführung, so etwa im Amt Schönheit der Arbeit der Deutschen Arbeitsfront der Erstellung von Konstruktionsnormen und Gestaltungsvorgaben oder von Richtlinien für eine völkische Architektur frönen. Bekanntermaßen bediente sich die Staatsarchitektur des Dritten Reiches eines überzogenen Neoklassizismus und auch bei Industriebauten war noch, obwohl weniger an zentralistische Amtsregulative gebunden und an den verpönten Funktionalismus angelehnt, die nationale Selbstdarstellung zu merken. Im Städtebau war ein totaler Umbau der historisch gewachsenen Städte, welche sich dauerhaft in die Stadtarchitektur einschreiben sollte, geplant. Viele dieser Vorhaben verblieben natürlich, kriegsbedingt, auf dem Papier. Im Sinne einer sich abzeichnenden »formensprachlichen Heterogenität im Bezug auf das gesamte Bauvorhaben« im Nationalsozialismus, argumentiert Litschauer, könne daher nur im Plural, also von Architekturen, gesprochen werden. Anknüpfend an neuere Forschungsweisen und -ergebnisse legt Maria Theresia Litschauer nun eine dokumentarische Arbeit vor, welche sich, gerade angesichts der problematischen Darstellung der nationalsozialistischen Bau- und Planungstätigkeit in Österreich, nicht den Prestigeobjekten, sondern dem gesamten Spektrum der Planungs- und Bautätigkeit im architektonischen und städtebaulichen Sinne im Untersuchungsgebiet Waldviertel widmet. Sie hegt darin den Anspruch einer vollständigen Erfassung der raumordnerischen Tätigkeiten. Die Autorin rekonstruiert damit die Planungs- und Baugeschichte einer ganzen Region zwischen 1938 und 1945 anhand von etwa 200 realisierten und etwa halb so vielen im Planungszustand verbliebenen Einzelobjekten, Ensembles, ganzen Siedlungen und dergleichen. Zuweilen fallen Akribie und Vollständigkeitsanspruch leider der Langatmigkeit und Wiederholungen zum Opfer, und sprachliche Vertracktheit hätte durch ein Lektorat gewiss vermieden werden können. Dies soll jedoch nicht die Leistungen dieses im Eigenverlag erschienenen Werkes schmälern. Eindrucksvoll bebildert mit Planmaterialien, historischen und aktuellen Fotografien, ist ihr Buch daher nicht nur ein wortreicher historischer Beleg, sondern funktioniert darüber hinaus als visualisierte Zeitgeschichte. Als Begleiterin des Buches dient ein Lesezeichen: eine Karte des Waldviertels, welche neben den gebauten auch nicht realisierte oder mittlerweile nicht mehr vorhandene Bauprojekte in ihrer räumlichen Verteilung und Zahl zeigt und trotz ihrer Simplizität darauf verweist, wie der Umfang nazistischer Bautätigkeit grafisch repräsentiert werden kann. Auf 432 Seiten, angeordnet nach verschiedenen Baugattungen – Industriebauten, Elektrizitätsversorgungsbauten, Truppenübungsplätze, Wohn- und Siedlungsbauten, bäuerliche Siedlungen, Barackenbauten, öffentliche Gebäude und städtebauliche Planungen – verquickt die Autorin Bestandsaufnahmen mit biografischen Verwicklungen von ca. 20 Architekten und Künstlern zu Partei, Industrie und Staat und verflechtet diese mit akribisch recherchierter Hintergrundinformation zu Bau-Genealogie, Investoren, Bescheiden, Leitbildern, Bauverzögerungen, Einsatz von ZwangsarbeiterInnen, Absiedelungen sowie den Entwicklungen nach Kriegsende. Dabei weist sie darauf hin, worauf man nicht oft genug hinweisen kann, dass die Nazis gewiss nicht auf einen sinnvollen, dem Kontext angemessenen architektonischen Regionalismus, sondern auf »reichsdeutschen« Einheitsbrei setzten. Und auf die besonders in den Planungsdisziplinen wenig reflektierten personellen und strukturellen Kontinuitäten nach der angeblichen Stunde Null: wonach bauliche Verordnungen, Grundlagenliteratur und Sprachpraxen – man denke an »sozialen Wohnbau«, »Kunst am Bau« und »landschaftsgebundenes Bauen« – einfach weiter existierten. Mehr noch als bei ideologisch motivierten Begriffen und Richtlinien jedoch stellt sich das Problem, dass anders als bei Werken der bildenden Künste, welche einfach verhüllt, verstaut oder als kunsthistorisch irrelevant erledigt werden können, die gebaute Realität nicht einfach aus dem Blickfeld verschwindet und als Teil des öffentlichen Raums und Ortsbildes bestehen bleibt. Dies ist auch der Grund, warum – und zwar als Voraussetzung einer Aufarbeitung der nazistischen Vergangenheit – Fragen nach dem Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe keine einfachen Antworten bieten. Eine Herangehensweise, welche jeweils die Grenzen eines rein künstlerischen oder rein wissenschaftlichen Zugangs überschreitet, ist deshalb wichtig, weil jede für sich genommen Gefahr läuft, entweder in begrifflicher Abstraktion oder aber in Ästhetisierung zu verweilen. Mit den Möglichkeiten des heutigen Umgangs befasst sich die Künstlerin in ihrem Buch nur am Rande. Als Grundlage für jedwede Beschäftigung mit dem nationalsozialistischen baulichen Erbe im Waldviertel ist diese Arbeit jedoch unerlässlich und sollte als Beispiel für zukünftige und andersartige Erforschungen in diesem Bereich dienen. Die Aufarbeitung endet dennoch nicht hier. Es bleibt zu hoffen, dass »Herr und Frau Österreicher« einmal nicht mehr dem Geschichtsrelativismus und seinen Mythen unterliegen, sondern dass 42 Prozent das Schlechte auch erkennen können.
Nicole Theresa Raab