Wiens »Chinesische Mauer«
Besprechung von »Stadtraum Gürtel. Wien-Natur, Kultur, Politik« herausgegeben von Christina VeiglChrista Veigl (Hg.).
Stadtraum Gürtel. Wien -
Natur, Kultur, Politik. Wien 1999.
Promedia, 156 Seiten
ATS 290.-
Als einen »Gürtel grünen Angers«, als eine Art Korrektiv für die nicht mehr rückgängig zu machende dichte Verbauung der Vorstädte, so sah Eugen Fassbender die Ausgestaltung des ehemaligen Territoriums des Linienwalles. Diese Grünflächen stünden somit »der armen, der arbeitenden Bevölkerung« zur Verfügung, die sich Ausflüge in Naherholungsräume schlichtweg nicht leisten konnten.
Fassbender erhielt einen der beiden zweiten Preise, die im Zuge des Generalregulierungs-Wettbewerbes 1892/1893 vergeben wurden. Obwohl die Forderung Fassbenders nach mehr Grün im dicht bebauten Stadtgebiet Wiens in den letzten Dekaden immer mehr an Brisanz zugenommen hat, wurde der Name dessen, der bereits vor über Hundert Jahren auf diese Problematik hingewiesen hat, vergessen. Nicht so der Otto Wagners, der sich architektonisch in Wien eingeprägt hat und der bei besagtem Wettbewerb einen der beiden ersten Preise gewann.
Doch dieser Themenkreis ist nur ein Teil des Buches »Stadtraum Gürtel. Wien« von Christa Veigl, das unter der Schirmherrschaft von Bernhard Frankfurter hätte entstehen sollen. Frankfurter starb im Winter 1999 als einer der treusten Besucher des Café Carinas. Das Buch ist jedoch trotzdem zustande gekommen und kann als eine Hommage an den Gürtel verstanden werden bzw. als eine neu entbrannte Liebe zu einem Stadtteil, dessen Opfer die Autorinnen und Autoren vor der Idee Frankfurters noch nicht waren.
Den Großteil des Buches nimmt die Geschichte von der Entstehung des Linienwalles über die Verwirklichung der oberirdisch gelegten Stadtbahn bis hin zum Gürtel des 21. Jahrhunderts ein.
Der Linienwall selbst, der ja eigentlich zum Schutz der Vorstädte vor den aufständischen Ungarn, den Kuruzzen, im Jahre 1704 gebaut wurde, der aber schon bald (als es eben keine »aufständischen Ungarn« mehr gab) zu einem Fiskal-Wall umfunktioniert wurde, muss als Ausgangspunkt des heutigen Gürtels gesehen werden.
Als Abwehrwall verschlang er das was er als Steuergrenze einbrachte, nämlich Geld. Geld, das bei der Einfuhr von Waren in Form von Steuern dem Staat zufließen sollte. Bis ins 18. Jahrhundert bedeutete das für die städtebauliche Entwicklung Wiens noch kein Hindernis.
Im Zuge der ersten Stadterweiterung 1850 begann man mit der Eingemeindung von 34 Vorstädten (Bezirke 2-8) und 1857 gab Kaiser Franz Josef die Festungsmauer rund um die Innenstadt zum Abbruch frei und Wiens große Repräsentationsstraße, die Ringstraße, wurde angelegt. Die zweite Stadterweiterung, die die Schleifung des Linienwalles bedeutete, stieß auf weitaus größerer Schwierigkeiten, weil Interessen unterschiedlichster Art aufeinanderprallten: zum einen die Angst der Vorstädte vor höheren Lebenshaltungskosten und den Rückgang des Tourismus durch die Städter, zum anderen die Befürchtungen des Wiener Gemeinderates, den Aufbau der fehlenden Infrastruktur in den Vorstädten mitfinanzieren zu müssen.
In den Jahren 1892/93 kam es schließlich zu dem in der Einleitung erwähnten Wettbewerb der den Teilnehmern (von Frauen wird hier nicht berichtet) folgende Diktionen auferlegte:
nämlich die »systematische Ausbildung des Verkehres durch die auszuführenden Ergänzungsbahnen und Stadtbahnlinien, in Verbindung mit allen weiteren Verkehrsmitteln zu einem einheitlichen Verkehrsnetze«, die funktionelle Stadteinteilung, die Regulierung des vorhandenen Straßennetzes und seine künftige Erweiterung sowie die Ausgestaltung der Verkehrsanlagen und einen »Verbauungsplan für den Stadttheil am Wienflusse von der Schikanederbrücke bis zum Donaukanale« im Detail.
Der Gürtel wurde in all den Überlegungen, die dieser Wettbewerb anstellte - im Gegensatz zur Ringstraße -, ausschließlich hinsichtlich seiner Bedeutung für den Verkehr betrachtet. Und genau diese Problematik zieht sich wie ein roter Faden durch die »Erfolgsstory« Gürtel, die es zum EU-Fördergebiet Nummer eins geschafft hat. Dieser »Riesng'schicht« werden auch im hinteren Drittel des Buches von Gabriele Philipp Lorbeeren gestreut. So auch Silja Tillner, der »Erneuerin« der Stadtbahnbögen. Kritische Töne gegenüber der architektonischen wie sozialen Konzeption (Stichworte Transparenz/Gentrifikation) bleiben allerdings ausgespart. Die im und am Gürtel arbeitenden Gruppen werden zwar vorgestellt, aber Kontaktadressen für Interessentinnen und Interessenten sind nicht vorgesehen.
Ein ganz anderes Thema wird, um den Gürtel in seiner »Gesamtheit« erfassen zu können, vom Botaniker Wolfgang Holzner bearbeitet, der sich mit dem floristischen Part des Buches beschäftigt und sein ganzes großstadtindianerisches Können dafür einsetzt, kein Pflänzchen und Kräutchen zu übersehen. Natürlich ist es immer wieder verblüffend auf die Artenvielfalt von Würstelbudendächern hingewiesen zu werden, auf die Verbereitungsmechanismen dieser Großstadtnomaden und die Überlebensstrategien in einem für Pflanzen doch so feindlichen Umfeld. Der Plauderton und die sehr populärwissenschaftliche Abhandlung dieses Bereiches ist, vielleicht berufsbedingt für die Autorin dieser Zeilen, schwer zu goutieren. Der bemühte Ton, anekdotenhafte Beschreibungen des »Schliaf-Hansls«, Waggerl-Zitate und Verniedlichungen machen es für die »rastlosen« GroßstadtbewohnerInnen schwer, sich mit dieser Thematik anzufreunden. Und dass wir vom Amazonas-Urwald mehr beeindruckt sind als von der Wildnis vor unserer Haustüre, dazu braucht es nicht extra eines Hinweises eines Herrn Holzners.
Trockener und sachlicher hingegen Erhard Christian mit seinem faunistischen Streifzug in und um den Gürtel - weniger Indianer, mehr Wissenschaftler, gibt er einen interessanten Überblick von Rattus norvegicus (Wanderratte) angefangen über Culex pipiens (Stechmücke) bis hin zu Lepisma saccharine (Silberfischchen).
Das Buch »Stadtraum Gürtel. Wien« ist im Hirn von Bernhard Frankfurter entstanden. In bestem Wissen und Gewissen haben die von ihm zur Mitarbeit bewegten Autorinnen und Autorinnen diese Idee posthum in Form dieses Bandes veröffentlicht. Ein schöner Versuch, der aber nur allzu oft in eine allgemeine Lobhudelei abdriftet und wenig Raum für kritische Überlegungen offen lässt.
Christa Veigl (Hg.).
Stadtraum Gürtel. Wien -
Natur, Kultur, Politik. Wien 1999.
Promedia, 156 Seiten
ATS 290.-
Daniela Hohenwallner