Wiens Stadterneuerung zwischen Staat und Markt?
Stadterneuerung gibt es, seitdem es Städte gibt. Schon immer waren diese gezwungen, sich neuen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen anzupassen. Die europäische Stadt nahm diese Entwicklungen auf, lieferte sich ihnen aber nie völlig aus; neue Schichten städtischen Lebens überlagerten die älteren, ohne diese komplett zu zerstören. So präsentiert sich die europäische Stadt heute als Bilderbuch gesellschaftlicher Strukturen und ihrer Veränderungen, zugleich aber auch des Widerstands gegen diese. Stadterneuerung, ob geplant oder zufällig, ob öffentlich reguliert oder rein privatwirtschaftlich, ist nur ein anderer Ausdruck für solche Strukturveränderungen und für die stete Gratwanderung zwischen Modernisieren und Bewahren, die Europas Städte – im krassen Unterschied etwa zu den asiatischen Metropolen – prägt.
Wenn Stadterneuerung heute dennoch als relativ neues und zudem von der gesamtstädtischen Entwicklung scheinbar abgekoppeltes Phänomen empfunden wird, so liegt dies vermutlich primär am zunehmenden Tempo der sich in den Städten manifestierenden gesellschaftlichen Umwälzungen. Globalisierung und internationale Verflechtungen setzen Europas Großstädte heute mehr denn je unter Zugzwang: Einerseits müssen sie in der zunehmenden Städtekonkurrenz bestehen und – z.B. durch Deregulierung – die notwendigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen; andererseits war und ist es Aufgabe der Stadterneuerung, das spezifische kulturelle Erbe zu bewahren, ohne dadurch eine Stadt zu »musealisieren« oder soziale Verdrängungsprozesse auszulösen. Nicht alle Städte in Europa – und noch weniger außerhalb Europas – haben diese Aufgaben wirklich bewältigt.
Wiens Stadterneuerung spiegelt in vielfacher Hinsicht die städtebauliche Entwicklung der europäischen Großstädte in den letzten 50 Jahren wider. Die Erneuerung der alten Stadtviertel konzentrierte sich zunächst auf kulturhistorisch wertvolle Zonen im Zentrum wie im Blutgassenviertel, erst später auf die Gründerzeitbezirke mit ihrer (noch) wenig geschätzten Architektur. Allerdings kam es in Wien kaum zu Flächensanierungen, d.h. zu großflächigem Abbruch und Neubau. Wieder einmal stellte sich die »verspätete« Entwicklung Wiens – diesmal bedingt durch die geopolitische Randlage und eine daraus resultierende geringere wirtschaftliche Dynamik – als Chance heraus. Die Stadt konnte aus Fehlentwicklungen in anderen europäischen Großstädten lernen und sukzessive ihr Instrumentarium einer »sanften Sanierung« aufbauen. Da nach Jahrzehnten intensiver Neubautätigkeit – 1950 bis 1980 wurden rund 300.000 geförderte Wohnungen vorwiegend am Stadtrand errichtet – der quantitative Wohnungsfehlbestand weitgehend beseitigt war, erfolgte ab Mitte der 1970er-Jahre eine deutliche Verlagerung der öffentlichen Investitionen in das dichtbebaute Gebiet.
Die Jahre 1974 und 1984 markieren wichtige Wendepunkte der Wiener Stadterneuerung. 1974 war auf Bundesebene – weitgehend nach dem Vorbild des deutschen Städtebauförderungsgesetzes – das Stadterneuerungsgesetz (StEG 1974) beschlossen worden. Dieses Gesetz stellte im Prinzip ein »hartes« Instrument dar, das auf Flächensanierung in verordneten »Assanierungsgebieten«, auf Enteignung und die Bildung von Erneuerungsgemeinschaften setzte. In dieser Hinsicht blieb es weitgehend totes Recht. Allerdings führte das StEG auch zur Festsetzung eines Untersuchungsgebietes in Ottakring und in der Folge zur Einrichtung der ersten »Gebietsbetreuung«. Diese wiederum war maßgeblich an Vorarbeiten zur Entwicklung einer geförderten Wohnhaussanierung in Wien beteiligt.
Neben Ottakring wurde das »Planquadrat« im 4. Bezirk zum Testfall einer erfolgreichen, von umfangreicher Medienarbeit begleiteten Stadterneuerung – und zu einem Vorläufer der heutigen »Blocksanierung«. Bestehende Instrumente, wie das Wohnungsverbesserungsgesetz (Förderung der mieterseitigen Modernisierung mit Rechtsanspruch gegenüber dem Hauseigentümer) oder das Altstadterhaltungsgesetz wurden weiterentwickelt. Hier konnte auch auf Erfahrungen anderer europäischer Großstädte – insbesondere von Rotterdam und West-Berlin – zurückgegriffen werden.
Allerdings fehlte in Wien noch ein dem Neubau vergleichbares Förderinstrument für die Wohnhaussanierung. Erst die Gemeinderatswahlen 1983 brachten hier einen neuen Schub: Im folgenden Jahr wurden nicht nur vier neue Gebietsbetreuungen (Karmeliterviertel, Margareten-Ost, Innerfavoriten, Neulerchenfeld) beauftragt, sondern mit dem Wohnhaussanierungsgesetz (WSG) und der Gründung des Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds (WBSF) die Grundpfeiler für ein erfolgreiches, mittlerweile weltweit führendes Wohnhaussanierungsprogramm gelegt.
Wohnhaussanierung: Weltrekord?
Mit dem WSG 1984 (später: WWFSG 1989) wurde der entscheidende Schritt vom kleinteiligen Untersuchungsgebiet zu einer großflächigen Stadterneuerung gesetzt. Im internationalen Vergleich wird diese eigenständige Wiener Entwicklung deutlich: Denn im Unterschied etwa zum deutschen Städtebauförderungsgesetz oder zum durchaus beispielhaften »Bauen für das Quartier« in den Niederlanden war nun nicht die Lage eines Wohnhauses in einem ausgewiesenen Sanierungsgebiet Bedingung für eine Förderung, sondern ausschließlich das Alter und die überwiegende Ausstattungskategorie des Hauses selbst. Dem WBSF kommt seither die Vorbereitung und Begleitung der Wohnhaussanierungsmaßnahmen, insbesondere die Beratung von EigentümerInnen und BewohnerInnen, die Prüfung der projektierten Maßnahmen auf Zeckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Förderbarkeit und soziale Verträglichkeit und die Kontrolle des widmungsgemäßen Einsatzes der Fördermittel zu.
Im Sinne der »sanften Stadterneuerung« werden vor allem bewohnte Häuser in Zusammenarbeit mit den MieterInnen saniert. Die so genannte »Sockelsanierung« baut auf dem Grundsatz der Priorität sozialer Kriterien in der Stadterneuerung auf: Vorrang der Bestandsschonung und –erhaltung vor Abbruch und Neubau, Vermeidung von Verdrängung und sozialer Segregation, Einbeziehung der Bewohnerwünsche in das Sanierungskonzept, Bewahrung einer kleinteiligen Nutzungsmischung und – als mittelfristiges Ziel – eine Verbesserung der städtebaulichen Struktur und der Umweltqualität im dichtbebauten Gebiet.
Das dafür entwickelte Maßnahmenpaket beinhaltet Förderungen für haus- und wohnungsseitige Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten, Zubauten und Dachgeschossausbauten, thermische Wohnhaussanierungen (seit 2000), Ersatzwohnungen für umsiedlungsbereite MieterInnen, den Einsatz von Mieterbetreuungsteams und Wohnbeihilfen für einkommensschwache Haushalte. Obwohl bewusst keine gebietsmäßigen Einschränkungen bestehen, bleibt ein weiteres Ziel natürlich die Lenkung der Fördermittel primär in die schlechtesten Viertel. Auf Basis einer von der Stadtplanung erstellten Übersicht der erneuerungsdringlichsten Zählgebiete, die sowohl technische als auch soziale und umweltrelevante Kriterien berücksichtigt, wird jedes Projekt an Hand eines Punktesystems gereiht. Sanierungsprojekte in schlechteren Stadtvierteln kommen damit schneller zur Förderung – ebenso solche mit einem höheren Verbesserungsanteil oder einer umfassenden Mieterinformation und -partizipation.
Neben privaten Miethäusern werden im Rahmen dieses Programms auch die kommunalen Wohnbauten der Zwischenkriegszeit und in zunehmenden Maße der Nachkriegszeit durchgreifend saniert und modernisiert. Durch Zusammenlegungen und Dachgeschoßausbauten sollen in diesen Bauten auch größere Wohnungen für junge Familien entstehen; sämtliche Leitungen, Fenster, Fassaden und Dachflächen werden erneuert, Aufzüge eingebaut und die Wohnhausanlagen an das Fernheizsystem der Stadt Wien angeschlossen. Fallweise werden auch Sozialeinrichtungen oder Garagen errichtet. Zu den bemerkenswertesten Stadterneuerungsprojekten gehört die Sanierung stadtbildprägender Bauten des »Roten Wien« wie des Karl-Marx-Hofs, Washington-Hofs, Rabenhofs, Reumann-Hofs oder Sandleitenhofs.
Seit Beginn der großen Stadterneuerungsoffensive 1984 wurden mehr als 8.400 Häuser zur geförderten Sanierung eingereicht; für etwa 4.700 wurden bereits Förderungsmittel zugesichert. Diese betreffen rund 201.000 Wohnungen – im Durchschnitt 10.000 pro Jahr und bereits mehr als ein Fünftel des gesamten Wiener Wohnungsbestandes. Einem dadurch ausgelösten Investitionsvolumen von 4 Milliarden Euro steht ein nichtrückzahlbarer Landeszuschuss von 3,1 Milliarden Euro gegenüber. Statistiken der UNO und anderer internationaler Organisationen legen den Schluss nahe, dass es sich damit um das weltweit größte Wohnhaussanierungsprogramm überhaupt handelt.
Testfeld Blocksanierung
Eine besondere Bedeutung kommt der seit 1989 entwickelten Blocksanierung zu. Im Sinne einer umfassenden, über das Einzelobjekt hinausgehenden Verbesserung der städtebaulichen Situation in dicht bebauten Stadtteilen werden Wohnbauunternehmen oder private Architekturbüros mit der Ausarbeitung von Blocksanierungskonzepten beauftragt. Blocksanierung zielt daher nicht nur auf mehr und qualitativ hochwertige Sanierungen in den erneuerungsdringlichsten Stadtteilen, sondern auch auf Verbesserungen im privaten und halböffentlichen Raum durch Teilentkernungen und Begrünungen, eine gleichzeitige Aufwertung des öffentlichen Raums und – damit zusammenhängend – Lösungen für den ruhenden Verkehr, die Erhaltung einer kleinräumigen Nutzungsmischung durch Sicherung des Gewerbes und der Nahversorgung sowie auf Verbesserungen der technischen und sozialen Infrastruktur.
Außerdem erwies sich die Blocksanierung als ideales Testfeld für neue Entwicklungen in der Stadterneuerung: So wurden erstmals in geförderten Sanierungsprojekten passive und aktive Solarenergie sowie Brauchwasserleitungen und Regenwasserversickerung getestet; die aktive Einbeziehung vorhandener Gewerbebetriebe in das Sanierungskonzept ermöglicht die Erhaltung einer mit dem Wohnen verträglichen Nutzungsmischung; so genannte Kombi-Projekte verbinden Sanierungen mit geförderten Neubauwohnungen; soziale Infrastruktur und Integration werden durch den Ausbau vorhandener bzw. die Neuschaffung von wohnungsnahen Sozialeinrichtungen, Behindertenwohngemeinschaften und verschiedenen Betreuungsstellen ebenso gefördert wie durch den Einsatz mehrsprachiger Berater in Blocksanierungen mit hohem MigrantInnenanteil; Teilabbrüche zur Schaffung von größeren Hofinnenflächen werden durch geförderten Dachgeschossausbau kompensiert; usw.
Als Experimente konzipiert, sind viele dieser Erfahrungen heute bereits in den »Normalfall« der Stadterneuerung eingeflossen. Darüber hinaus trägt die Blocksanierung zur Lenkung der öffentlichen Investitionen in die erneuerungsdringlichsten Gebiete sowie zur Entwicklung neuer Modelle des private public partnership entscheidend bei. Rund 80 Millionen Euro werden dadurch zusätzlich in die städtebaulichen Problemzonen – vor allem in die Bezirke 5, 10, 12, 15 bis 18 und 20 – gelenkt, wobei auch noch die »Echoeffekte«, d.h. die im privaten Bereich ausgelösten Investitionen zu berücksichtigen sind. Nicht zufällig war daher diese Sanierungsstrategie auch Kernbestandteil des von der EU unterstützten Urban-Projekts »Gürtel plus«.
Von Partizipation zu empowerment: Gebietsbetreuungen
Den von BauträgerInnen bzw. ArchitektInnen im Auftrag der Stadt Wien geführten Gebietsbetreuungen kommt eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Stadterneuerung in Wien zu. Nach dem Vorbild der ersten, 1974 in Ottakring eingerichteten Gebietsbetreuung sind heute solche Einrichtungen in allen Wiener Bezirken tätig – als Vermittlerin zwischen Bevölkerung und Politik, als niedrigschwellige Anlaufstelle für alle Anliegen und Interessen der BewohnerInnen und anderer AkteurInnen im Gebiet, nicht zuletzt als Testgebiet für neue Planungsansätze. Waren in den Gebietsbetreuungen anfangs vor allem TechnikerInnen beschäftigt, so zeichnen sie sich heute durch eine interdisziplinäre Vorgehensweise aus, die Wohnhaussanierungen ebenso miteinschließt wie soziale und kulturelle Aktivitäten.
Der Erfolg der Gebietsbetreuungen führte mittlerweile zur flächendeckenden Ausdehnung auch auf städtische Wohnhausanlagen (»Gebietsbetreuung Neu«). Hier wiederholt sich die positive Erfahrung mit Konfliktlösungsansätzen in – oft problematischen – Großwohnanlagen, die in Wien erstmals bei der Sanierung der Fertigteilbauten am Rennbahnweg und am Schöpfwerk erprobt wurden. Dabei geht es neben der notwendigen technischen Sanierung auch um die Bewältigung sozialer Probleme und »alltäglicher« Nachbarschaftskonflikte. Die Erfahrung zeigt, dass durch solche Plattformen zur lokalen Konfliktlösung die Wohnzufriedenheit steigt, Beschädigungen durch Vandalismus und Nachlässigkeit abnehmen und Kosten eingespart werden können. Vor allem aber geht es um ein empowerment der lokalen Bevölkerung, um deren Problemlösungskapazität zu steigern und sie möglichst unmittelbar in die lokale Entwicklungsprozesse betreffenden Entscheidungsfindungen einzubinden.
Exportartikel Stadterneuerung?
Der Erfolg der Wiener Stadterneuerung – vor allem der geförderten Wohnhaussanierung und der Gebietsbetreuungen – wurde und wird in den letzten Jahren international stark beachtet. Schon 1994 empfahl die Europäische Wirtschaftskommission der UNO in ihrem Bericht »Vienna Paper on Urban Renewal« zahlreiche Elemente der Wiener Stadterneuerung explizit als Vorbild für Europas Städte und entwickelte darauf aufbauend Fallberichte mit konkreten Handlungsempfehlungen für die Städte Bratislava, Budapest und Ljubljana. Wien wurde zudem von mehreren Städten als Konsulent bei der Entwicklung von Stadterneuerungsprogrammen eingeladen; Budapest entwickelte unter Wiener Mithilfe ein an Wien angelehntes Sanierungsmodell mit Förderungen aus einem neu gegründeten Stadterneuerungsfonds. In Zukunft sollen außerdem die Erfahrungen des Gürtelsanierungsprogrammes mit seiner erfolgreichen Mischung aus Kultur, Sozialeinrichtungen, Integrationsmaßnahmen sowie Wohnhaussanierung und Wohnungsneubau für die ungarische Hauptstadt genutzt werden.
Internationale Anerkennung kam auch durch die bereits zweimalige Auszeichnung der Wiener Stadterneuerung als weltweit bestes Beispiel (best practice) mit dem von UNO-Habitat verliehenen Dubai-Awards. Daraus ergaben sich mittlerweile konkrete Kooperationen auf dem Gebiet der Stadterneuerung mit zahlreichen europäischen Städten.
Stadterneuerung wird damit auch zunehmend zu einem »Exportartikel« – nicht zuletzt mit bedeutenden Zukunftschancen für die Wiener Wirtschaft; dies mittelfristig insbesondere in den osteuropäischen Ländern, wo ein enormer Nachholbedarf – z.B. bei der thermischen Sanierung der Nachkriegsbauten - besteht. Außerdem ist die Wohnhaussanierung arbeitsintensiv: Sie schafft bei jeweils gleichem Investitionsvolumen rund 1,5mal so viele Arbeitsplätze wie im Wohnungsneubau bzw. doppelt so viele wie im Tiefbau. Mindestens 6.000 Dauerarbeitsplätze im Bau- und Baunebengewerbe können so im Wiener Raum gesichert werden.
Zwischen Markt und Staat: Wiens Stadterneuerung vor neuen Herausforderungen
Stadterneuerung stellt einerseits einen kontinuierlichen Prozess dar, der durch öffentliche Investitionen nur teilweise gelenkt werden kann. Andererseits wird Stadterneuerung – hier im Sinne einer Erneuerung städtischer Gebiete insgesamt und folglich als politische Querschnittsmaterie – immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Heute betreffen diese im Wesentlichen zwei Bereiche: Einerseits entsteht ein zunehmender Sanierungsbedarf an Bauten der 1960er- bis 1980er-Jahre. Da in Wien nach 1945 rund eine halbe Million Wohnungen errichtet wurden – ca. 60 % des gesamten Wohnungsbestandes –, ist bei einem angenommenen Reparaturzyklus von 25 bis 30 Jahren ein enormes Potenzial für Sanierungsaktivitäten gegeben, insbesondere auch bei der thermisch-energetischen Sanierung. Gleichzeitig nimmt die gesellschaftliche Polarisierung zu. Wird hier nicht rechtzeitig gegengesteuert, droht eine verschärfte sozialräumliche Segregation. Wien muss darauf Antworten finden:
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Mit der thermischen Wohnhaussanierung (Thewosan) werden zehntausende Wohnungen aus den Jahren 1960 bis 1980 verbessert. Damit leistet die geförderte Stadterneuerung einen gewaltigen Beitrag zum Klimaschutzprogramm (KLIP) und zur Erreichung der Kyoto-Ziele. Die Förderung ist mit maximal einem Drittel der Gesamtsanierungskosten relativ sparsam, für die öffentliche Hand also auch bei größerem Fördervolumen finanzierbar. Aufgrund der messbaren Einsparung bei den Energiekosten ist im Allgemeinen auch eine hohe Akzeptanz der BewohnerInnen gegeben. Die Thewosan-Schiene könnte daher in Zukunft weiter ausgebaut werden, etwa in Richtung einer umfassenden Wohnqualitäts- und Wohnumfeldverbesserung.
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Die zunehmenden – oder jedenfalls nun stärker wahrgenommenen – Disparitäten in der Gesellschaft verlangen umfassende Erneuerungsstrategien in »Problemgebieten«. Ansätze sind z.B. mit Modellen wie dem Grätzelmanagement im Ziel 2-Gebiet (2. und 20. Bezirk) oder dem Gebietsmanagement Arnethgasse (16. Bezirk) vorhanden. Wird im 16. Bezirk die Veränderung, ausgelöst durch zahlreiche große Neubauten, als Chance für eine nachhaltige Stadtentwicklung verstanden, die eines gezielten Monitorings durch das Gebietsmanagement bedarf, so sollen im Grätzelmanagement Wallensteinplatz/Alliiertenviertel vor allem wirtschaftspolitische und beschäftigungswirksame Initiativen umgesetzt werden.
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Offen bleibt die Frage nach der Rolle Wiens in der neuen geopolitischen Landschaft Europas. Während die Ostöffnung nach 1989 Wien einen deutlichen Bevölkerungszuwachs und eine neue wirtschaftliche und kulturelle Dynamik bescherte, die die Stadt nach Jahrzehnten der Isolation wieder zur »Metropole Mitteleuropas« zu machen schien, sind die Folgen der EU-Erweiterung vorläufig unklar. Zwar haben sich mittlerweile zahlreiche internationale Unternehmen und Konzernzentralen in Wien angesiedelt, doch legen Forschungsergebnisse den Schluss nahe, dass mittelfristig nur mit einer geringen Zuwanderung aus Osteuropa zu rechnen ist – und zwar eher von sozial Schwächeren. Dies würde eine – von der derzeitigen Bundesregierung abgelehnte – aktive Einwanderungspolitik bedingen. Für die Stadterneuerung ist daraus jedenfalls kein Paradigmenwechsel ablesbar, d.h. sie muss auch weiterhin übergeordneten sozialen Überlegungen mit ausreichenden öffentlichen Investitionen Priorität einräumen.
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Auch die älter werdende Gesellschaft wird neue Herausforderungen an Wohnbau und Wohnhaussanierung stellen. Wien fördert daher schon heute verstärkt den Einbau von Aufzügen und die behindertengerechte Adaptierung von Althäusern. In Zukunft werden aber auch andere Lösungen gefragt sein – etwa in Richtung von »smart homes« mit intelligenten technischen Zusatzeinrichtungen oder die Verbindung von Wohnraumangebot mit diversen Serviceeinrichtungen. Dazu bedarf es einer genauen Beobachtung der technischen Entwicklung und der Durchführung von Pilotprojekten.
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Betrachtet man die bauliche und demographische Entwicklung in Wien, so stellt sich zudem die Frage nach den Sanierungsgebieten der Zukunft. Diese werden vermutlich weniger in den Gründerzeitvierteln als vielmehr in den Stadterweiterungsgebieten der 1960er- bis 1980er-Jahre liegen. Zwar gibt es bereits Erfahrungen mit der Sanierung einzelner Großsiedlungen, doch gilt es erst, adäquate Modelle für die Bewältigung der komplexen Problemlagen in solchen Stadtteilen zu entwickeln. Dabei kann, was die Rolle der öffentlichen Hand und die Priorität sozialer Zielsetzungen betrifft, auf die Erfahrungen der Gebietserneuerung im innerstädtischen Bereich zurückgegriffen werden.
Wolfgang Förster