Die österreichische Architektur im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit
Besprechung von »BauKultur in Wien 1938–1959« von Ingrid Holzschuh (Hg.) in Zusammenarbeit mit der Zentralvereinigung der ArchitektInnen ÖsterreichsIngrid Holzschuh (Hg.)
in Zusammenarbeit mit der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs
BauKultur in Wien 1938–1959
Basel: Birkhäuser Verlag, 2019
200 Seiten, 29,95 Euro
Mit dem Band Baukultur in Wien 1938–1959 leisten die Autorinnen einen wichtigen Beitrag zur österreichischen Architekturgeschichtsschreibung. Denn anhand des Vereins Zentralvereinigung der ArchitektInnen (ZV) mit seiner überschaubaren Mitgliederzahl – 1937 waren es österreichweit etwas mehr als 500 – lassen sich politische Übergänge wie in einem Brennglas beobachten und damit auch Rückschlüsse auf andere Berufsgruppen bzw. die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ziehen. Die versammelten Texte lassen einerseits ein umfassendes Zeitpanorama sowohl für die Epoche des Nationalsozialismus als auch der Nachkriegszeit entstehen und ermöglichen andererseits spezielle Vertiefungen zu ausgewählten Aspekten – etwa zur Rolle von Frauen in der Architektur, zum internationalen Architekturdiskurs, zur Bedeutung der Architekturpublizistik oder zum Schicksal
jüdischer Mitglieder.
Eine wichtige Quellenbasis bilden die bisher verschollen geglaubten Mitgliederakten der NS-Reichskammer der bildenden Künste, Fachgruppe Architekten, die 1945 zur ZV gelangten und von ihr weitergeführt wurden. Sie geben Einblicke sowohl in individuelle Lebenswege als auch den Berufsstand Architekt in seiner Gesamtheit. Auf grauem Hintergrund gedruckt durchziehen abfotografierte ausgewählte Schriftstücke, Dias, zeitgenössische Publikationen oder Plakate das gesamte Buch und verleihen ihm damit anschaulich Authentizität. Einmal mehr zeigt sich dabei, wie rasch der Übergang in die NS-Strukturen verlief: Bereits am 16. März 1938 wurde vom damaligen ZV-Präsidenten, dem Architekten Hans Jaksch, eine Versammlung einberufen und dabei Adolf Hitler als »Schutzherrn der bildenden Künste« gehuldigt. Seit 1936 fungierte Jaksch als Präsident und wurde als politisch derart zuverlässig angesehen, dass ihm Anfang April auch die kommissarische Leitung der Zentralvereinigung und ihre Überführung in die Reichskammer der bildenden Künste übertragen wurde. Negativ wirkte sich dies für ihn auch in der Nachkriegszeit nicht aus – beim Festakt anlässlich des 50-jährigen Bestehens der ZV im November 1957 wurde er als eines der ältesten Mitglieder offiziell geehrt.
Aufgezeigt wird auch, wie rasch jene Personen die Folgen des politischen Wechsels zu spüren bekamen, die entweder aus rassischen oder ideologischen Gründen nun an der Berufsausübung gehindert wurden: der geforderte Ariernachweis bis zu den Großeltern (ebenfalls von den EhepartnerInnen) sowie eine politische Beurteilung zwangen diese Menschen in die Emigration und viele, meist der älteren Generation, die sich nicht mehr verändern wollten oder konnten, fielen der NS-Vernichtungsmaschinerie zum Opfer. Aufnahme fanden nun aber auch ausführende Baumeister ohne akademische Ausbildung, womit Abstammung und politische Zuverlässigkeit mehr zählten als qualitative Kriterien – eine Entwicklung, die in der Nachkriegszeit bei der Wiederentstehung der ZV zu Konflikten führte.
Auch diese Neukonstituierung funktionierte überraschend schnell: trotz teilweise chaotischer Zustände fand bereits am 10. Mai 1945 die erste Sitzung der Kammer der bildenden Künstler statt und schon im September erhielt die ZV ein eigenes
Sekretariat. Tonangebend waren oftmals jene Personen, die bereits in der Ersten Republik und im Austrofaschismus wichtige
AkteurInnen gewesen waren und aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters vielfach vor Ort waren. Der ZV kam nun auch eine
Rolle bei der Entnazifizierung zu, die von ihr, wie allgemein, recht großzügig gehandhabt wurde.
Deutlich wird auch die Rolle, welche die ZV für die kulturpolitische Aufklärungsarbeit der Nachkriegszeit spielte: bereits Ende der 1940er-Jahre wurden erste Vorträge und Ausstellungen organisiert sowie die Zeitschrift Der Bau als wichtiges Architekturmedium herausgegeben. Damit konnte schnell an die frühere Bedeutung angeknüpft werden. Internationale Architekturstars, wie Alvar Aalto oder Richard Neutra, boten Einblicke ins aktuelle Architekturgeschehen und wurden damals sogar vom Wiener Bürgermeister empfangen. Als 1957 die Ziviltechnikerkammer als Berufsvertretung etabliert wurde und die ZV diese Aufgabe verlor, erfolgte 1959 die Neugründung als kulturelle Vereinigung, die für Architekturqualität eintritt und diesem Anliegen bis heute verpflichtet ist.
Es ist zu hoffen, dass weitere Archivrecherchen ebenso anregende Ergebnisse bringen werden – sehr zu bedauern ist
allerdings, dass für die Zeitspanne von der Gründung im Jahr 1907 bis zur Auflösung im Jahr 1938 keine Bestände erhalten
sind – diese hätten einen spannenden Einblick in die Kinderjahre der Architekturvermittlung ermöglicht.
Barbara Feller ist Geschäftsführerin der Architekturstiftung Österreich.