Die selbstgemachte Stadt, Teil 2
Besprechung von »Selfmade City Berlin. Stadtgestaltung und Wohnprojekte in Eigeninitiative« herausgegeben von Kristien Ring, AA Projects und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, BerlinZeitgleich mit Urban Catalyst, der Publikation zu jenem Forschungsprojekt, das vor zehn Jahren erstmals systematisch das Phänomen der Zwischennutzungen in Berlin (und anderen Städten) untersuchte, erschien Anfang 2013 der Band Selfmade City Berlin. Der Inhalt des Bandes dreht sich – wie der Name schon sagt – ebenfalls um die Stadt, die von ihren BewohnerInnen selbst produziert wird; allerdings in diesem Falle in Form von dauerhaften Realisierungen, temporäre Projekte sind hier dezidiert ausgeblendet.
Die Herausgeberin Kristien Ring kuratierte vor sechs Jahren die Ausstellung auf.einander.bauen im Deutschen Architekturzentrum Berlin, die zu einem für dieses spezifische Phänomen sehr frühen Zeitpunkt die Berliner Baugruppen dokumentierte und verglich. Nun legt sie eine von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung finanzierte, umfangreiche Dokumentation von »Wohn- und Stadtgestaltungsprojekten« vor, die einen aktuellen Überblick gibt, was in den letzten
15 Jahren in Berlin in diesem Sektor entstanden ist – und welche Bedeutung solche Projekte für die Stadt insgesamt, über ihre unmittelbaren NutzerInnen hinaus,
haben können.
Die 1990er Jahre waren in Berlin nicht nur die Hochzeit der Zwischennutzungen, sondern auch der Hausbesetzungen, die nach ihrer ersten Blüte in den 1980ern durch den Fall der Mauer und das plötzliche opulente Angebot von leerstehenden Altbauten und ungenutzten Grundstücken in Ostberlin und am Mauerstreifen einen neuen Schub erlebten. Anders als bei den vielen – zu einem guten Teil in Folge der IBA Alt – legalisierten Hausbesetzungen im Westen ging es jedoch bei den steuerschonenden Sanierungen in Mitte, Prenzlauer Berg und Umgebung nicht darum, Wohnraum für die vorhandene Bevölkerung zu sichern. Vielmehr wurden die BewohnerInnen hier weitgehend ausgetauscht, somit konnten sich auch nicht viele der Nach-Wende-Hausbesetzungen in die Gegenwart retten.
Obwohl bereits in den 1990er Jahren kleine Genossenschaften entstanden, die in Eigeninitiative kostengünstigen Wohnraum schufen, sind die heute so genannten Baugruppen in Berlin vorrangig ein Phänomen der 2000er Jahre. Als sich im ehemaligen Osten nach und nach die Besitzverhältnisse klärten, die leerstehenden Häuser und ungenutzten Grundstücke weniger wurden und somit der Nutzungsdruck wieder stieg und als schließlich 2002 die Stadt Berlin ihre gesamten Wohnbauförderprogramme einstellte und damit auch die Wohnbautätigkeit außer im Luxussegment fast zum Erliegen kam, war die Zeit für dieses neue Modell gekommen: Es ging darum, urban denkenden StadtbewohnerInnen den langfristigen Verbleib in der Stadt zu ermöglichen, indem sie die Sache selbst in die Hand nahmen. ArchitektInnen entdeckten die Projektentwicklung für sich, entwarfen Bebauungskonzepte für ein Grundstück ums Eck und suchten damit Interessierte, die es mit ihnen wagen wollten, dort zu bauen und schließlich zu wohnen. Das erste im Buch dokumentierte Projekt in Mitte wurde 2001 fertig gestellt, insgesamt sollten es bis zum Erscheinen 119 dokumentierte Wohnprojekte sowie ein paar wenige ausschließlich andere Nutzungen werden. Nach und nach entstand eine überaus aktive und differenzierte Szene von Dienstleistern, Informationsangeboten im Web und Methoden. Aus den anfangs recht kleinen Objekten mit ein paar Wohnungen wurden schließlich ganze Stadtentwicklungsprojekte wie der Möckernkiez in Kreuzberg, wo ab 2014 über 1.000 Menschen wohnen sollen.
Doch im Unterschied zu den früheren Hausbesetzungen und durchaus in
Parallelität zu den Wohnbauförderprogrammen, die es anderswo nicht häufig, aber manchmal doch noch gibt, geht es bei den Baugruppen nicht mehr nur
um extrem kostengünstiges Wohnen (auch wenn es das durchaus auch gibt), sondern eher um ein Mittelklassemodell. Dem entsprechend ist der Vorwurf der Gentrifizierung nicht weit: Nachdem die möglichen Bauplätze in Mitte und Kreuzberg weniger werden, wandern die Baugruppen weiter nach Neukölln und Treptow, wo die bereits etliche Jahre vor den hohen Mieten dorthin ausgewichenen GentrifizierungspionierInnen ihnen nun vorwerfen, die steigenden Wohnpreise in die bisher billigen Stadtviertel mitzubringen.
Rings Publikation umgeht diese Diskussion großräumig, sie differenziert kurz am Schluss zwischen jenen Projekten, die sich zur Stadt abschotten, und jenen, die sich öffnen – was sicherlich ein wichtiger Faktor ist, aber hinsichtlich der Gentrifizierungseffekte wohl kaum einen Unterschied macht. Der Band konzentriert sich stattdessen auf die direkt erkennbaren Effekte der Baugruppenprojekte: nachbarschaftliche Angebote, öffentlich zugänglicher Grünraum, Bestandsaktivierung, Nutzungsmischung. Die Projekte wurden hinsichtlich acht Kernqualitäten bewertet und verglichen, etwa Gemeinschaftsflächen, architektonische Qualität und Ökologie. Während etwa die Hälfte aller analysierten Projekte eine Gemeinschaftlichkeit innerhalb des Hauses anstrebt, versuchen immerhin 20 Prozent, BewohnerInnengruppen über die Baugruppe hinaus anzusprechen, etwa durch Integration sozialer Träger oder das Angebot besonders kostengünstiger Wohnungen. Auch wenn viele Projekte dezidiert die Mischung mehrerer Generationen anstreben, ist der Anteil der Über-65-Jährigen mit 3,5 Prozent sehr niedrig – 70 Prozent der Berliner Baugruppen basieren auf Wohnungseigentum, und die dafür nötigen Kredite sind für Ältere schwierig zu bekommen. Etwa die Hälfte der analysierten
Projekte bietet ergänzende Nutzungen im Erdgeschoß (Büros, Gewerbe, Gastronomie), ebenfalls die Hälfte öffnet ihre Grünflächen für die Öffentlichkeit. Da jedoch aus der Gesamtzahl nur die besten genauer untersucht wurden, sind die realen Verhältnisse wohl etwas trister.
Abschließend formuliert Ring, dass es nötig sei, zwischen Typen von Baugruppen zu differenzieren – nicht überall, wo Baugruppe draufsteht, ist Selfmade drinnen, und die größten positiven Effekte für die Stadt haben, so schließt sie aus ihrer Analyse, jene Projekte, in denen auch Partizipation und interne gemeinschaftliche Ausrichtung besonders wichtig sind. Und es sei wichtig, Selfmade-Modelle zu schaffen, an denen Menschen mit wenig Eigenkapital partizipieren können. Die Herausgeberin schlägt dafür die Vergabe von städtischen Grundstücken im Erbbaurecht vor, da auch in Berlin mittlerweile die Grundstückskosten sehr hohe Anteile an den Gesamtkosten ausmachen. Das wäre sicherlich wünschenswert, aber dafür bräuchte es einen Paradigmenwechsel in der städtischen Liegenschaftspolitik.
Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.