… »hinter dem nylonvorhang«? Architektur und Urbanismus Südosteuropas
Besprechung von Büchern über Architektur in Süd-Ost-EuropaAuch in den letzten Monaten zeigen mehrere Neuerscheinungen, dass das Interesse an Architektur und Urbanismus der jugoslawischen Nachkriegsmoderne ungebrochen ist. Dabei lässt sich erfreulicherweise beobachten, dass eine fundierte Auseinandersetzung zunimmt. Die in den letzten Jahren auch auf Englisch publizierten Ergebnisse mehrerer wissenschaftlicher Forschungsprojekte dürften den romantisch-mystifizierenden Zugang beendet haben, der bei der »westlichen« Betrachtung des früheren »Ostblocks« (dem auch Jugoslawien oft pauschal zugeschlagen wurde) und seiner baulichen Hinterlassenschaften zuweilen, und meist wohl einfach aus Mangel an Sprach-, Orts- und Geschichtskenntnissen, festzustellen war. Mit postsozialistischen urbanistischen Transformationen in Südosteuropa – vor allem den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, aber auch Albanien, Rumänien, Bulgarien, der Türkei und Zypern – beschäftigt sich der von Kai Vöckler herausgegebene, als zweiter Band einer Publikationsreihe der ERSTE Stiftung erschienene Sammelband SEE! Urban Transformation in Southeastern Europe. Neben Vöckler selbst, der sich bereits 2008 in der Ausstellung und mit dem Katalog Balkanology mit Ex-Jugoslawien befasst hat, kommen vor allem Beteiligte aus den jeweiligen Ländern zu Wort. Dabei wird eine Vielfalt an Vereinigungen, lokalen Initiativen und Forschungsprojekten zu Landschafts- und Raumplanung, Architektur und künstlerischen Interventionen u. a. in Zagreb, Pula, Split, Kotor, Belgrad, Mostar, Skopje und Prishtina vorgestellt. Der »Blick von außen«, der alle hier besprochenen Publikationen kennzeichnet, besteht in diesem Fall vor allem in der kompilatorischen Funktion des Herausgebers – und natürlich in der englischen Sprache, die die Texte einem internationalen Fachpublikum zugänglich macht. Ergänzt wird die Textsammlung u. a. durch einen Fotoessay des Wiener Fotografen Wolfgang Thaler zu Novi Beograd.
Holidays after the Fall – Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and CroatiaFotografien von Wolfgang Thaler finden sich auch in der von Elke Beyer, Anke Hagemann und Michael Zinganel herausgegebenen Publikation Holidays after the Fall – Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and Croatia, der erweiterten Version der von Michael Zinganel 2012 kuratierten Ausstellung die sich mit Bau, Verfall, Neuübernahmen, Um- und Neubau von Urlaubsresorts der 1960er und 1970er Jahre an der kroatischen Küste beschäftigte. Das um einen von Hagemann und Beyer bearbeiteten Teil zu Feriensiedlungen an der bulgarischen Schwarzmeerküste ergänzte Buch befasst sich einerseits mit der Typologie der Hotels, andererseits mit deren Zustand und Nutzung seit den 1990er Jahren. Der Titel Holidays after the Fall ist dabei durchaus verwirrend insofern als es keineswegs nur um die Zeit nach dem »Fall« geht. Da in Jugoslawien keine Mauer gefallen ist wie in Deutschland und auch der Eiserne Vorhang sich gerade zwischen »Westeuropa« und Jugoslawien eher als »Nylon-Vorhang« darstellte, wird der Begriff kurzerhand auf den Fall der Nächtigungszahlen beim Beginn des Jugoslawien-Krieges bezogen. Dass Jugoslawien und Bulgarien mit dem Buch mehr oder weniger in einen Topf geworfen werden, stößt vor allem kroatischen Forschern und Forscherinnen unangenehm auf, hat aber eine gewisse Berechtigung in der Tatsache, dass sich die beiden sozialistischen Länder im Ausbau ihrer Tourismus-Infrastruktur stark auf den kapitalistischen Westen als Zielgruppe konzentrierten.
Was den Jugoslawien-Teil des Buches betrifft, so stützt die Beschränkung auf Kroatien (mit dem Argument, dass etwa 85% der Küstenlinie Ex-Jugoslawiens zu Kroatien gehören) auch jene kroatische Sichtweise, die heute vielfach die anderen Teilrepubliken in der Aufarbeitung der Kulturgeschichte der Moderne ausblendet. So spricht auch der in der Ausstellung im Interview zu sehende, kürzlich verstorbene Boris Magas, Architekt zweier der größten, spektakulärsten und zugleich qualitätvollsten kroatischen Hotelanlagen, des heute wie zahlreiche Großhotels nach Flüchtligns-Belegung und langem Leerstand ruinösen Haludovo auf der Insel Krk und des Solaris-Resorts bei Sibenik, in seinen Erinnerungen an die architektonische Szene der 1960er und 1970er Jahre nur von »Kroatien«. Für eine Betrachtung des Phänomens jugoslawischen Küstenhotelbaus sind aber natürlich auch (im Buch teilweise angerissene) großräumliche Entwicklungen wie Edo Mihevc‘ Ausbau von Portoroz (Slowenien), Edvard Ravnikars urbanistische Pläne für den Küstenstreifen hinter dem Hoteldorf Sveti Stefan (Montenegro) oder auch das Phänomen des dicht bebauten Neum, des einzigen Badeortes an der kurzen bosnischen Küste, interessant.
Dennoch ist das Buch, das durch Essays zu architekturhistorischer Einbettung und postsozialistischer Privatisierung, eine historische Bildstrecke mit 1970er-Jahre-Imagefotografien aus dem Archiv der »Turistkomerc«-Agentur in Zagreb und einen aktuellen melancholischen Bildessay zur bulgarischen Küste ergänzt wird, eine empfehlenswerte Quelle mit sachlichem, kompetentem Zugang.
Eine Ergänzung zum Thema Montenegro bildet die jüngste Publikation der von Adolph Stiller kuratierten Reihe Architektur im Ringturm der Wiener Städtischen Versicherung. Hier wird ein Gesamtüberblick über die Architektur in der früheren jugoslawischen Teilrepublik seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts geliefert, nach einem Essay über vernakuläre Steinarchitektur im montenegrinischen Bergland angefangen mit den nach 1910 entstandenen Botschaftsgebäuden in der damaligen Hauptstadt Cetinje. Das Erbe Tito-Jugoslawiens ist mit qualitätvollen Bauten nicht nur im Tourismusbereich, sondern auch mit Schulen, Spitälern und Verwaltungsbauten u. a. im damaligen Titograd (Podgorica) ein wichtiger Teil der montenegrinischen Architekturgeschichte.
Montenegro, Mazedonien, Kosovo, Bosnien, Serbien und Kroatien umfasst das in der Art eines Reiseberichts konzipierte jüngste Buch von Friedrich Achleitner zu den Kriegs-, Faschismus- und Revolutions-Mahnmalen, die der 2010 in Wien verstorbene Bogdan Bogdanović zwischen 1951 und 1981 realisierte. Von Gabriele Lenz grafisch zurückhaltend und dem Thema angemessen gestaltet, listet es chronologisch alle von Bogdanovic realisierten Denkmäler auf, mit Vollständigkeits-, aber ohne wissenschaftlich-analytischen Anspruch, mit Fotostrecken vom Verfasser, wobei gelegentlich auch die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen seiner Reisen auf den Fotos zu sehen sind, ebenso wie zufällig anwesende Passanten und Passantinnen, manchmal auch Bogdanović selbst. Es ist ein sehr persönliches Buch, auch geprägt von der Freundschaft des Ehepaars Achleitner zum Ehepaar Bogdanović, und das Ergebnis ist ein unbedingt
empfehlenswerter Band, bei dem Autor und Gegenstand eine höchst fruchtbare Synthese eingehen.
Iris Meder