» Texte / Stadtplanung als politische Strategie im Nationalsozialismus

Gerhard Rauscher


Nach 1945 war die Auseinandersetzung mit NS-Planung und -Architektur in Österreich (wie bei vielen anderen Themen auch) von Verdrängung gekennzeichnet. Eine Aufarbeitung begann im Verhältnis zu anderen Bereichen sehr spät. Im September 2007 fand im Wiener Architekturzentrum (Az W) das erste Symposium zum Thema statt (»Erbe verweigert, Österreich und NS-Architektur«). Mit der Ausstellung zu den Hitlerbauten in Linz wurde 2012 im Linzer Nordico ein weiterer Schritt zur Aufarbeitung geleistet. Die aktuelle Beschäftigung mit der Wiener NS-Planungsgeschichte setzt diese begonnene Arbeit nun fort.
Die aktuelle Ausstellung im Architekturzentrum besteht zu einem großen Teil aus Beständen des Privatarchivs von Klaus Steiner, der dieses seit 1961 aufgebaut hat und es 2011 zur wissenschaftlichen Bearbeitung dem Az W übergab. Klaus Steiner ist einer derjenigen, die seit Jahrzehnten versuchen, Licht ins Dunkel der Wiener Stadtplanung in der NS-Zeit zu bringen. So schrieb er über die Pläne der Nazis den (jüdisch geprägten) zweiten Wiener Gemeindebezirk mehr oder weniger zu planieren und von der Innenstadt bis zur Donau eine repräsentative Aufmarschachse für die NSDAP mit abschließendem Parteigebäude zu bauen. Oder über die neuen reichsrechtlichen Bau- und Planungsvorschriften, mit denen der NS-Staat beispielsweise auch neue Möglichkeiten der Enteignung einführte, die mittels geänderter Flächenwidmungs- und Bebauungspläne unmittelbar auf den jüdischen Immobilienbesitz angewandt werden konnten.
Klaus Steiner wies auch auf die für ein Verständnis von Baukunst so wichtige Werk-Umwelt-Beziehung hin, deren Beachtung verhindere, dass Architektur und Planung als von der Geschichte losgelöste rein ästhetische Phänomene betrachtet werden können. Im Spannungsverhältnis zwischen Architektur- und Planungsfragen und der Politik führe eine Dekontextualisierung von baulichen Objekten und eine Unterschlagung von politischen Umständen ihrer Errichtung zu einer Entpolitisierung. Politische Ziele werden nicht nur mit politischen Mitteln verfolgt, sondern auch mit einer symbolisch aufgeladenen Bau- und Planungstätigkeit, die »entsprechend disponierte und dressierte Architekten« (Klaus Steiner in seinem Textbeitrag im Katalog zur Ausstellung Kunst und Diktatur, Wien, 1994) braucht. NS-Bauwerke seien normalerweise nur im Zusammenhang mit den Umständen der Planung und Entstehung eindeutig identifizierbar, es gibt keine spezifische NS-Architektur. Unter Rückzug auf ihre wissenschaftlich-technische Ausgangsposition seien viele Personen unterschiedlichen politischen Strömungen dienlich gewesen, das Naheverhältnis von Planung und Politik sei frappant.
Die Unterlagen der Wiener Stadtplanung während der NS-Zeit sind nicht mehr verfügbar. Die Planungsgeschichte aus dieser Zeit hat nur in Gerüchten, Erzählungen und teilweise in Archiven überlebt. Die Nachwirkungen der Planungstätigkeit aus dieser Zeit sind jedoch in vielfältiger Weise spürbar – sei es in ideeller, sachlicher oder personeller Hinsicht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und zu Beginn der Zweiten Republik können für Österreich vielfältige personelle Kontinuitäten im Bereich der in der Planung Tätigen festgestellt werden.
Die biographischen Skizzen im Katalog zur Ausstellung können als Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit den Lebensläufen dieser Personen dienen. Eine Arbeit, die Werner Durth für Deutschland in seinem Buch Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900-1970 (1986) geleistet hat. In der Stadtplanung, an den Universitäten, in den Architekturzirkeln: Überall waren Menschen zu finden, die die Entnazifizierung überstanden hatten und nach dem Krieg ihren Lehrstuhl oder ihr Büro lukrativ weiterführen konnten – auch in Wien.
Die Kuratorinnen der Ausstellung, Ingrid Holzschuh und Monika Platzer, weisen darauf hin, dass es schwer war, an Primärquellen heranzukommen. In einer Datenbank wurden nun 455 Projekte und etwa 4.000 Einzeldokumente aus dem Archiv von Klaus Steiner mit Schwerpunkt auf Groß-Wien erfasst. Die Ausstellung ist als ein erster Einblick in die Thematik zu betrachten und soll nicht nur eine historische Darstellung der NS-Zeit sein, sondern diese Zeit – die oft in der Architektur- und Planungsgeschichte ausgeblendet wird – in die Geschichte einbetten um zu verdeutlichen, wie Planung und Architektur als Machtinstrumente verwendet werden können.
Die Ausstellung besteht aus neun Schwerpunkten. Im Kapitel Wien im Großraum Europa wird gezeigt, wie die Stadt aufgrund ihre geographischen Nähe zu den südosteuropäischen Ländern gestärkt und wirtschaftlich ausgebaut werden sollte. Hitlers Ausspruch von Wien als Perle des Reiches löste in der Planungs- und Architekturszene eine wahre Euphorie aus, großflächige, kahlschlagartige Umgestaltungsvorschläge wurden erstellt. Das Kapitel Rasse und Raum erläutert die bevölkerungspolitischen Vorhaben des NS-Regimes und die räumliche Ausweitung der Stadt unter der Bezeichnung Groß-Wien. Dem Zusammenhang zwischen autokratischen Regimen und symbolisch aufgeladener Architektur- und Planungstätigkeit widmet sich der Schwerpunkt Macht- und Symbolpolitik. Das Kapitel Monumentalisierung thematisiert die beabsichtigte Umgestaltung Wiens zu einer Gauhauptstadt nationalsozialistischer Prägung. Nach dem Anschluss sollte Wien nach militärischen und ökonomischen Vorgaben in das Netz überregionaler Infrastrukturen des Reiches eingebunden werden – der Abschnitt Reaktionärer Modernismus widmet sich diesen Überlegungen. Die Ausweitung und Durchgrünung der Stadt in Zusammenhang mit der NS-Wohnungspolitik behandelt der Schwerpunkt Die neue Stadt. Als das Kriegsgeschehen immer näher an Wien heranrückte, wurden nur noch kriegswichtige Gebäude errichtet – das Kapitel Totaler Krieg setzt sich mit dieser Periode auseinander und erinnert an die ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen, die dafür eingesetzt wurden. Der Abschnitt Planungsgebiet Ost beschäftigt sich schließlich mit NS-Planungen in Bratislava, Krakau und Prag.
Die Ausstellung wird von einem Symposium und diversen Veranstaltungen begleitet. Besonders hinzuweisen ist auf die Diskussion Wie »politisch« ist Architektur? am 6. Mai. Eine der Grundsatzfragen für alle PlanerInnen und ArchitektInnen, wie sich zuletzt etwa an der Diskussion rund um das Schubhaftgefängnis Vordernberg zeigte.


Ausstellung
»Wien. Die Perle des Reiches«
Planen für Hitler
Kuratorinnen: Ingrid Holzschuh, Monika Platzer
Architekturzentrum Wien
19. März 2015 – 17. August 2015


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