Strategien einer Normalisierung des Rechtsextremismus
Anmerkungen zum SchwerpunktAn einem verlängerten Wochenende im Frühling 2024 trifft sich eine Menge von wohlsituierten, ihrer Jugend entwachsenen Menschen zum gemeinsamen Feiern in der Pony-Bar auf Sylt – Inbegriff des deutschen Snobismus. Man tanzt, den Pullover lässig über die Schultern geworfen, zu Gigi D’Agostinos Y2K-Hit L’Amour Toujours, lacht in die Kamera – und grölt zum Song kollektiv die rassistische Parole: »Ausländer raus, Ausländer raus – Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!«. Ein Video davon geht viral, der Staatsschutz schaltet sich ein, der Bundeskanzler verurteilt die Parolen als »ekelig und nicht akzeptabel«, die Innenministerin als »Schande für Deutschland«. In den Tagen darauf tauchen zahlreiche weitere Aufnahmen ähnlicher Videos auf – auch aus Österreich. Dumme Kindereien? Faschist:innen in der Mitte der Gesellschaft?
Anpassungsleistung und Tabubruch
Seit geraumer Zeit findet sich L’Amour Toujours zum Träger einer rechtsextremen Normalisierungspraxis auserkoren: Das Lied wird für Postings von einschlägigen Accounts der extremen Rechten herangezogen und in Sozialen Medien gezielt positioniert, und zwar in zweifacher Form: in der rassistischen Umdichtung oder aber in der unschuldigen Originalversion – und dann vielfach als Hintergrund für rassistischen Bild- und Videocontent mit gezielten Desinformationskampagnen über Migrant:innen und Zuwanderung oder pathetisch-nationalistisch aufgeladenen Inhalten. Mit dieser doppelten Codierung werden Inhalte bisweilen klar markiert, ohne sie explizit zu benennen. Ziel ist dabei die Verankerung rechtsextremer Inhalte in der Mitte der Gesellschaft.
Der Weg ist nicht unbedingt neu: So sprach einer der frühen Einflüsterer der ›neuen‹ extremen Rechten, Karlheinz Weißmann, in der Jungen Freiheit in Bezug auf das rechte, nationalkonservative Lager nach 1945 von der Notwendigkeit, sich »in bestimmten Fragen bedeckt zu halten, so dass die eigentliche Auffassung nur ›per exclusionem‹ fassbar« werde – »also durch Wahrnehmung dessen, was man nicht sagt« (Weißmann 2010). Geprägt wurde von ihm in diesem Zusammenhang auch der Begriff der ›politischen Mimikry‹ – also die Strategie einer Anpassungsleistung über ein gezielt sich als harmlos und unbedenklich gebendes Auftreten, um weit rechte Inhalte im politisch etablierten Diskurs zu platzieren und zwischen konservativer und rechtsextremer Position zu vermitteln (vgl. Weißmann 1986). Die extreme Rechte changiert hier offenbar bewusst zwischen dieser gezielten und vorgeblichen Anpassungsleistung und dem Tabubruch als einem offenen Angriff auf die gesellschaftlichen Konventionen. Instrumente, die diese durchaus widersprüchliche Praxis ermöglichen, sind Social-Media-Plattformen, die zu einer Reichweite verhelfen, die für die extreme Rechte im physischen Raum in den Jahrzehnten davor unerreicht blieb.
Die Verschiebungen, die trotz aller personeller und ideologischer Kontinuitäten wahrnehmbar sind, sind nicht nur medialer Art. Sie deuten auf grundlegendere gesellschaftliche Veränderungen hin, die sich auch über den Wandel in der ästhetischen Praxis artikulieren. Ästhetik meint hier zunächst einmal die Inszenierung des eigenen Auftritts und die damit in Verbindung stehenden Repräsentationstechniken, schließlich aber die Gesamtheit der Strategien und Taktiken, die der ›politischen Praxis‹ an sich zugrunde liegen. Dieser Wandel betrifft nicht zuletzt die Selbstverortung einer Strömung, die von sich gerne als einer ›neuen‹ Rechten spricht, um sich u. a. von der positiven Bezugnahme auf den Nationalsozialismus durch Neonazis, Burschenschafter, Hooligans und Skinheads abzugrenzen. Gleichwohl bezieht sich die ›Neue Rechte‹ gerne auf noch frühere Autoren und Aktivisten, nämlich jene der konservativen Revolution der 1920er Jahre.
»The Kids are not Alright«
Waren rechtsextreme Akteur:innen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – zumindest im mitteleuropäischen Kontext – in ihrem Auftreten relativ eindeutig völkischen, (neo-)nazistischen oder subkulturellen Zusammenhängen zuordenbar, so haben sich seither die Grenzen verwischt, die Codes und Szenen vervielfacht. Strategien wie Aneignung, Nachahmung und Überaffirmation, die lange Zeit als Praktiken des gegenhegemonialen Projekts der ästhetischen Avantgarden (Dada, Situationistische Internationale, Punk …) verstanden wurden, fanden in die Praxis neofaschistischer Gruppen Eingang (vgl. Gaugele & Sarah Held 2021). Schon in den 1990er Jahren machte die erstarkende extreme Rechte in den neuen Bundesländern Deutschlands nicht so sehr durch die Verwendung alter Nazisymbolik auf sich aufmerksam, sondern präsentierte sich eher in der Form von Jugendkulturen. Anders als man das von Jugendkulturen erwartete, waren sie von der Komplexitätsreduktion eines rassistischen und identifizierenden Weltbildes gekennzeichnet: Eine neo-nazistische Praxis, die sich jugendkulturelle Positionen aneignete und Inhalte umkehrte; »The Kids are not Alright« schloss Diedrich Diederichsen damals daraus: Wenn sich diese Aneignung durch die Rechte nicht verhindern ließ, so schien es angebracht, von der Jugendkultur samt ihren Praxisformen auf Abstand zu gehen. Ein Hoffnungsträger, von dem man meinte, den Verhandlungshorizont eines Widerspruchs von Konsum und Dissidenz liefern zu können, war damit verloren (vgl. Diederichsen 1992, S. 28–34).
Drei Jahrzehnte später könnte dieser Schluss nun ergänzt und auch auf die Praktiken des linken Widerstands insgesamt ausgeweitet werden. Die extreme Rechte mag zwar ihr Weltbild weiterhin beibehalten, sie hat sich aber in ihrem Auftreten neu orientiert. Und sie bedient sich dabei besonders jener Aktionsformen, die sich innerhalb linker Initiativen der neuen sozialen Bewegungen, Jugend- und Popkultur sowie künstlerischer Praxisformen entwickelt haben (Bempeza 2017, S. 62–68).
Das Role Model Casa Pound
Wiederkehrender Bezugspunkt neofaschistischer Initiativen (u. a. auch der Identitären Bewegung) ist Casa Pound[1] eine italienische, rechtsextreme Bewegung (Koch 2013), die sich selbst als »Faschisten des dritten Millenniums« verstehen. Hervorgegangen ist sie aus einer Hausbesetzung in Rom im Jahr 2003, deren Ziel es war, Strukturen für den Aufbau einer nichtkonformistischen, italienischen extremen Rechten zu etablieren. Damit nahm Casa Pound direkte Anleihen bei den Centri Sociali, den linken, selbstverwalteten besetzten Häusern der autonomen Bewegung. Die Gruppe eignete sich von den postoperaistischen sozialen Bewegungen nicht nur deren räumliche Strategie, mit Hausbesetzungen Infrastrukturen für die eigene politische Arbeit zu schaffen, an, sondern ein grundsätzlicheres Verständnis aus der Praxis der radikalen Linken, nämlich Politik als einen Lebensstil von Widerständigkeit und infolge als eine kulturelle und ästhetische Praxis zu begreifen. Casa Pound stellt gewissermaßen das internationale Role Model der rechtsextremen Aneignung vormals linker Praxisformen dar und zwar insofern, als man sich als eine gegenhegemoniale Bewegung darstellt, die Systemkritik, Antikonformismus und Antikapitalismus mit Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Revisionismus vereint.
Als ästhetischer Referenzpunkt fungiert dabei der italienische Futurismus Marinettis, der schon in den 1920ern den Faschismus mit der ästhetischen Avantgarde zusammenführte und in dessen Erbe Casa Pound tritt: reaktionäre Ideologie als das utopische Moment einer künstlerisch-politischen Avantgarde. Diese Ambivalenzen finden sich auch im visuellen Auftreten: Casa Pound verschränkt die Ästhetiken des (italienischen) Faschismus in seiner Verwendung einer einfachen Formensprache in Primärfarben, seiner Bezugnahme auf das römische Reich und einer martialischen Erscheinung der Uniformierung und flaggentragende Anhänger:innen im öffentlichen Raum mit Aspekten der Demonstrationskultur der neuen sozialen Bewegungen. Was sich zunächst als platte Neuauflage faschistischer Erscheinungsformen der 1920er und 30er Jahre darstellt, spielt zugleich mit dem Bruch derselben: Die Bewegung gibt sich antikonformistisch und kokettiert mit der künstlerischen Praxis der ironisierenden Subversion, wie man sie in gegenhegemonialen Positionen der Kunst, etwa bei den slowenischen Künstler:innengruppen NSK oder Laibach antrifft – nun allerdings doppelt gewendet, als neofaschistische Inszenierung.
In der Praxis der Aneignung und der autoritären Umcodierung macht Casa Pound keinen Halt vor linken Symbolträgern: Auf ihren Plakaten und Bannern tauchen der Sozialdemokrat Bettino Craxi ebenso wie Che Guevara oder Subcommandante Marcos auf, schließlich sogar eine Regenbogenfahne – versehen mit dem neofaschistischen Emblem des Casa Pound: der ›tartaruga‹ (Schildkröte). Ein Spiel mit Symboliken, in dem die Strategien der Mimikry und Affirmation zu einer Strategie der Uneindeutigkeit gewendet werden, die in ihrem Martialismus zugleich verängstigt, innerhalb der eigenen Szenen Codes bedient, diese aber umgehend verharmlost.
Die Gewalttätigkeit von Casa Pound wurde von staatlicher Seite geflissentlich ignoriert, indem man einzelne Personen und nicht die Organisation dafür verantwortlich machte (Schlamp 2019). Die Initiative konnte sich so ungehindert zu einer Bewegung entwickeln, die heute in mehreren Dutzend italienischen Städten vertreten ist. Casa Pound ist in der Jugendarbeit aktiv, betreibt eigene Sportvereine, Anlaufstellen wie Mütterberatung und soziale Nachbarschaftstreffs, Bibliotheken, Kinos, Theater und Bars, organisiert spontane Unterstützung (etwa für Erdbebenopfer in den Abruzzen 2019), verfügt über ein Netzwerk von Verlagen, Radiosendern und ist besonders in Sozialen Medien stark vertreten. Wer sich bei solchen Aktivitäten an Kampagnen wie Prendiamoci la città (dt. Nehmen wir uns die Stadt) von Lotta Continua (vgl. Maggio 2021) oder das Frühstücksprogramm für Kinder der Black Panther Party erinnert fühlt, liegt vermutlich nicht ganz falsch. Aktuelle Kampagnen richten sich gegen die Privatisierungen staatlicher Unternehmen der Infrastruktur, für eine Unterstützung der Landwirtschaft und gegen den Gaza-Krieg.
Ethnopluralismus und die Identitäre Bewegung
Das konzeptionelle und ideologische Grundgerüst der neofaschistischen Bestrebungen lieferte besonders die ›Metapolitik‹ der französischen ›nouvelle droite‹, allen voran der französische Publizist und Philosoph Alain de Benoist, dessen Denken von einem grundlegenden Antiegalitarismus durchzogen ist. Auf die These des Kommunisten Antonio Gramsci, dass der Kampf um ›Hegemonie‹ zunächst im vorpolitischen, kulturellen Feld geführt werden müsse, bezugnehmend, forderte Benoist schon in den 1980er Jahren einen »Kulturkampf von rechts« (de Benoist 2017) – also etwa das Programm, das auch Casa Pound verfolgt. Ein anderes theoretisches Konstrukt der ›Neuen Rechten‹ ist das Konzept des ›Ethnopluralismus‹, mit dem diese ein ›Recht auf Differenz‹ zur Bewahrung einer angeblich auf Ethnien aufbauenden europäischen Identität einfordert.[2] In dieser letztlich biologistischen Behauptung der Identität eines Volkes und Kultur, die auf Abstammung beruht, ist der ›Ethnopluralismus‹ nichts anderes als ein ›Rassismus ohne Rasse‹, wie es Etienne Balibar einmal bezeichnete (Balibar & Wallerstein 2014). Anstelle von ›Rassen‹ spricht der ›Ethnopluralismus‹ von ›Kulturen‹. Die Migrationsgesellschaft wird solcherart zur ausschließlichen Bedrohung deklariert (Stichwort ›Great Reset‹). ›Ethnopluralismus‹ dient als ideologische Begründung für einen ausgrenzenden Nationalismus, der letztlich in Apartheid resultiert. Beide Ansätze – der identitäre Rassismus des ›Ethnopluralismus‹ wie die Strategie des Kulturkampfs sind innerhalb der ›Neuen Rechten‹ weit verbreitet und bilden den Rahmen, in dem auch die Identitäre Bewegung aktiv ist.[3] Das Selbstverständnis der IB ist spontaneistisch; man gibt sich den Anstrich eines intellektuellen avantgardistischen Kaders von hippen Influencern, der an die Konservative Revolution der Weimarer Republik anschließt. Gleichzeitig erfüllt die IB eine Scharnierfunktion zwischen Neonazi-Szene, sich seriös gebenden rechtsextremen Institutionen, geschichtsrevisionistischen deutschvölkischen Korporationen und parlamentarischen rechtsextremen Parteien wie AfD und FPÖ, mit deren Vorfeldorganisationen enge personelle Überschneidungen bestehen. Ähnliche Ambivalenzen setzten sich fort: Der Inszenierung der ›Identitären‹ in Sozialen Medien als Hipster und Influencer steht der Einsatz von explizit antimodernistischen Bildern nicht entgegen: Die Großstadt als ein räuberisches Pflaster, ein kapitalistischer Moloch. Angesichts der Aufmerksamkeitsökonomie gegenwärtiger Öffentlichkeiten kann die Praxis der IB als überaus erfolgreich betrachtet werden: Auch wenn der innere Kern nur wenige Köpfe zählt (Gruppe träfe eher zu als ›Bewegung‹), scheint ihr eine hohe Medienpräsenz gesichert.[4] Sie bedient sich geschickt der Mittel der Kommunikationsguerilla:[5] Aneignung, Überidentifizierung, Hacking und Umdeutung, Fake und taktische Fälschung, Unsichtbares Theater und kommunikative Mimikry. Eine Vielzahl widerständiger ästhetischer Techniken von Dada über Adbusters zur Billboard Liberation Front, von Radio Alice zu Pussy Riot werden herangezogen. Die Öffentlichkeit, die sie herstellen, ist eine mediale und die Medien machen mit. Jede Aufregung, jedes polizeiliche Intervenieren verschafft weitere Sichtbarkeit – vielfach mit genau jenen Bildern, die sie planten und inszenierten. Die ›Identitären‹ agieren als mediale Kampfgruppe, die eine Taktik der medialen Positionierung rassistischer Konzepte und ihrer Normalisierung verfolgt, um von etablierten rechtsextremen Parteien dann übernommen zu werden, die es der »NGO von rechts« danken.[6]
Covid-Allianzen und die FPÖ
Mit dem Widerstand gegen die Einschränkungen und Vorschriften, die von Regierungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erlassen wurden, erhielten auch von Rechtsextremen organisierte Demonstrationen einen bisher unbekannten Zulauf. Auf den Protesten zeigte sich eine bis dato vermeintlich ungekannte, krude Allianz von Eso-Hippies bis Neonazis. Angesichts reaktionärer und faschistischer Tendenzen innerhalb der Ökologiebewegung oder des Antiamerikanismus innerhalb der Friedensbewegung, auf den sich Teile der Linken und der Rechten schon immer einigen konnten, mag dieser Eindruck möglicherweise auch täuschen.
Manch Protestierende vermittelten den Eindruck, sich ihr ganzes Leben noch nie gegen etwas aufgelehnt zu haben. Viele waren wohl das erste Mal auf Demos. Es handelte sich in solchen Fällen also um Menschen, die mit den politischen Zuständen vor der Pandemie zwar möglicherweise nicht komplett zufrieden waren, sich den vorherrschenden Strukturen aber jedenfalls fügten und kein kritisches Verhältnis zu Obrigkeit oder Medien artikulierten, das über Murren und Raunzen hinausgegangen wäre. Mit Covid, den Maßnahmen und der einhergehenden Isolation schlug unter dem Einfluss diverser Ideolog:innen diese Obrigkeitshörigkeit in Ablehnung gegen ein konspirativ wirkendes übergeordnetes ›System‹ um. Eine Ablehnung, aus der ein Gefühl der Enttäuschung und die plötzliche Überzeugung, das ganze Leben betrogen worden zu sein, spricht. Wie im biologistischen Erklärungsmodell des Ethnopluralismus, finden sich in der Systemskepsis der Maßnahmengegner:innen, der Ablehnung von ›Systempresse‹ und anderen verschwörungsmythologischen Ansätzen ein komplexitätsreduziertes Schwarz-weiß-Denken sowie antisemitische Muster.
Die ›Betrogenen‹ wähnen sich auf einmal als kritische Geister, die ›selber denken‹, wechseln tatsächlich jedoch nur das Objekt ihrer unkritischen Zuneigung. Waren es zuvor die öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichten, die sie gutgläubig konsumiert haben, sind es jetzt YouTube- oder Telegram-Channels. All das spielt der FPÖ in die Hände, die seit Jahrzehnten das rechtsextreme Feld bespielt, auch wenn sie sich, aus taktischen Gründen, gelegentlich von ›Einzelfällen‹ distanziert. Sie versteht es, mit PR-Methoden wie der Selbstinszenierung als Opfer einer Ausgrenzung, der Rede von einer ›volksnahen‹ Politik gegen ›die globalistischen Eliten‹ (vgl. FPÖ TV 2024) genau dieses sich verraten fühlende Segment der Bevölkerung und damit noch weitere Kreise als bisher anzusprechen. Dass sich mit dem Ausschluss der AfD aus der Fraktion Identität und Demokratie im Europaparlament etwas Nervosität bei der FPÖ breit macht, wie sich bei einem Interview des FPÖ-Kandidaten wenige Tage vor der EU-Wahl gezeigt hat, ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass sie im Hinblick auf ihre Positionierung vielleicht doch etwas verunsichert ist. Noch im Januar 2024 raunte Parteichef Kickl, er trüge, wenn er von anderen Parteichefs »als ›rechtsextrem‹ beschimpft werde, … diese Beschimpfung wie einen Orden. Denn das, was sie als böse und rechts diffamieren, ist in Wahrheit nichts anderes als die Mitte der Gesellschaft – und wir Freiheitliche sind die Vertreter dieser Mitte, des Hausverstands, der Normalität und die einzigen, die sagen, was sich andere nicht sagen trauen«. (facebook.com/herbertkickl/posts/914508733375258).
Wenn Rechtsextremismus zum Hausverstand, zur Normalität erklärt wird und die FPÖ stolz verkündet, den ›Kampf gegen das System längst aufgenommen zu haben‹ (vgl. FPÖ TV 2024), ist es Zeit, diese Selbstausgrenzung ernst zu nehmen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Ansinnen dieses Schwerpunkts ist es, dieser Notwendigkeit Nachdruck zu verleihen, indem wir aufzuzeigen, in welch vielfältiger Art und Weise die extreme Rechte Anstrengungen unternimmt, die urbane Gesellschaft zurückzudrängen und zu zerstören.
Der US-amerikanische Literat Ezra Pound, auf den sich der Name der Gruppe bezieht, war ein großer Bewunderer des italienischen Faschismus. Er verbrachte den Großteil seines Lebens in Italien, wo er 1972 auch starb. ↩︎
Der ›Ethnopluralismus‹ geht im deutschsprachigen Bereich auf einen Beitrag im Jungen Forum von Henning Eichberg zurück, der damals am Institut für Sozialforschung der Universität Stuttgart arbeitete. In Frankreich wurde in der Gruppe GRECE um Alain de Benoist das Konzept des ›ethno-différencialisme‹ bereits einige Jahre zuvor entwickelt. ↩︎
Für zwei eingehende Auseinandersetzungen mit den Identitären siehe Bruns et al. 2017 sowie Goetz et al. 2017. ↩︎
Zum Aufbau der Identitären und strategischen Überlegungen siehe Schmid & Schmidt 2019. ↩︎
Zur Kommunikationsguerrilla, die sich als aktivistisch-subersive Strategien und Praxisformen begreifen lässt, die mit Information und ihren Inhalten gezielt spielen und etablierte Codes in Frage stellen, siehe: autonome a.f.r.i.k.a. gruppe, Blissett, Luther & Brünzels, Sonja 2001 sowie Eco 1967. ↩︎
In einem Interview mit Puls 4 im Juni 2021 beschrieb der jetzige FP-Parteivorsitzende Herbert Kickl die »NGO von rechts« Indentitäre Bewegung als »interessantes und unterstützenswertes Projekt«. ↩︎
Michael Klein lebt und arbeitet in Wien. Er hat in Wien und Paris Architektur studiert und arbeitet als Lehr- und Forschungsbeauftragter an der TU Wien.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
autonome a.f.r.i.k.a. gruppe, Blissett, Luther & Brünzels, Sonja (2001): Handbuch der Kommunikationsguerilla. Hamburg, Berlin, Göttingen: Assoziation A.
Balibar, Etienne & Wallerstein, Immanuel (2014): Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg: Argument.
Bempeza, Sofia (2017): Die Kehrseite der Medaille. Popkultur und Subversion im Kontext der Neuen Rechten. In: Compare to What? Zwischen Normativität und Subversion. Tobias Gerber, Katharina Hausladen (Hg.), Wien: Turia + Kant.
Bruns, Julian, Glösel, Kathrin & Strobl, Natascha (2017): Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Münster: Unrast.
de Benoist, Alain (2017) [1985]: Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite. Dresden: Jungeuropa.
Diederichsen, Diedrich (1992): The Kids are not Alright: Abschied von der Jugendkultur. In: Spex 11/92.
*Eco, Umberto (1967): Für eine semiologische Guerilla, In: ders.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen, (2007) München: Dtv, S. 146–156.
Ernst, Thomas, Gozalbez Cantó, Patricia, Richter, Sebastian, Sennewald, Nadja & Tieke, Julia (Hg.) (2015): SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: Transcript.
FPÖ TV (2024): Mit EUCH gegen das System – Der Film. youtube.com/watch?v=yiBdayY5ZBc (Stand 05.06.2024).
Gaugele, Elke & Held, Sarah (Hg.) (2021): Rechte Angriffe – toxische Effekte: Umformierungen extrem Rechter in Mode, Feminismus und Popkultur. Bielefeld: Transcript.
Goetz, Judith, Sedlacek, Joseph & Winkler, Alexander (Hg.) (2017): Untergangster des Abendlandes – Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ›Identitären‹. Hamburg: Marta press.
Koch, Heiko (2013): Casa Pound Italia. Mussolinis Erben. Münster: Unrast Verlag.
Maggio, Marvi (2021): Prendiamoci la città – Nehmen wir uns die Stadt. In: dérive – Zeitschrift für Stadtforschung, N° 85 (Okt–Dez/2021).
Schlamp, Hans-Jürgen (2019): Die entfesselte Gewalt der Neofaschisten. https://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-rechtsradikale-gruppen-wie-casa-pound-wachsen-a-1265782.html (Stand 05.06.2024).
Schmid, Fabian & Schmidt, Colette M. (2019): Tiefer Einblick in Struktur der rechtsextremen Identitären. https://www.derstandard.at/story/2000101301917/interne-dokumente-geben-tiefen-einblick-in-struktur-der-rechtsextremen-identitaeren (Stand 05.06.2024).
Weißmann, Karlheinz (1986): Neo-Konservatismus in der Bundesrepublik. In: Criticón, Nr. 96 (Juli/August 1986).
Weißmann, Karlheinz (2010): Der Zwang, sich bedeckt zu halten. Eine kurze Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945 (IV): Der Umbruch in den Sechzigern. In: Junge Freiheit, 52/10–01/11, 2010.