Wandern in der Peripherie
Aktivistische Kunst und städtischer Widerstand gegen Megaprojekte in IstanbulIm Jahr 2013 lösten die Gezi-Park-Proteste in Istanbul eine Welle des Optimismus aus – bis sie von der Regierung brutal niedergeschlagen wurden. Obwohl die flüchtige Bewegung endete, ohne ihre unmittelbaren Ziele erreicht zu haben, hat sie weiterhin Auswirkungen auf die öffentliche Kultur in Istanbul. So hat die Regierungspartei beispielsweise die performativen Formen und Formate der Aktionen, die während der Proteste entstanden, nachgeahmt, um ihre eigene Unterstützer*innenbasis zu mobilisieren. In einem Post-Gezi-Istanbul ist die Besetzung öffentlicher Räume aus Protest gegen die Regierung jedoch fast unmöglich geworden, was alternative künstlerische und aktivistische Praktiken umso wichtiger macht. In diesem Beitrag beleuchten wir die Peripherie der Stadt als neuen Ort des Aktivismus im Gegensatz zu den traditionellen öffentlichen Räumen (z. B. zentrale Plätze, Parks, Straßen), die mit verschiedenen Occupy-Bewegungen in Verbindung gebracht werden. Insbesondere konzentrieren wir uns auf Serkan Taycans Between Two Seas, ein künstlerisches Kartierungs- und Gehprojekt, das 2013 für die 13. Istanbul Biennale produziert und ausgestellt wurde. Between Two Seas ist eine Einladung, zwischen dem Schwarzen und dem Marmarameer entlang der geplanten Route des Istanbul-Kanals zu spazieren, einem Immobilien-Megaprojekt von noch nie dagewesenem Ausmaß entlang eines künstlichen Wasserkanals auf Meereshöhe westlich des Bosporus.
Between Two Seas ist ein partizipatorisches Kunstwerk, das das Bewusstsein für den dramatischen Wandel in der Peripherie Istanbuls schärfen soll. Der Einladung des Künstlers, das für den Kanal vorgesehene Gebiet zu begehen, sind viele Einzelpersonen und Kollektive aus Istanbul, anderen Teilen der Türkei und darüber hinaus gefolgt. Der Künstler vermeidet es bewusst, Between Two Seas als Reaktion auf den Istanbul-Kanal zu definieren; dennoch ist das Werk eine Reaktion auf die rasche und kolossale Transformation der Peripherie der Stadt, von der der Kanal ein Teil ist.
Ipek Türeli ist Assistenzprofessorin für Architektur und leitet Forschungsabteilung für Architectures of Spatial Justice an der Peter Guo-Hua Fu School of Architecture der McGill University in Montreal.
Meltem Al ist derzeit Doktorandin im Fachbereich Architektur an der Peter Guo-Hua Fu School of Architecture der McGill University in Montreal.