Arbeit & Migration – Lebenswege und Geschichte im Grazer Annenviertel
Keine Denkmale zur Geschichte von Arbeit und Einwanderung«, Ausstellung im ‹rotor› Zentrum für zeitgenössische Kunst, GrazKristina Leko / ‹rotor› Zentrum für zeitgenössische Kunst
Keine Denkmale zur Geschichte
von Arbeit und Einwanderung
Annenviertel Graz
Mai 2013–Mai 2015
Sowohl historisch als auch aktuell wurden und werden die Grazer Bezirke Lend und Gries auf der rechten Seite der Mur mit Arbeiterschaft und Einwanderung assoziiert. Die Geschichte dieser Entwicklung des seit einigen Jahren als Annenviertel bezeichneten Stadtteils arbeitete die Künstlerin Kristina Leko exemplarisch in Form von Textkunstwerken und in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein ‹rotor› an acht verschiedenen Standorten im öffentlichen Raum auf. Erklärtes, dem Projekt zugrunde liegendes Ziel ist es, einerseits einen Beitrag zur fehlenden systematischen Darstellung der Grazer ArbeiterInnengeschichte zu leisten und andererseits den Beitrag, den MigrantInnen zum Stadtleben liefern, zu würdigen.
Am 1. Mai 2013 wurde die Ausstellung mit einem alternativen Maiaufmarsch durch die Gassen und Straßen des Annenviertels eröffnet. Sowohl Straßennamen wie der der Pflastergasse als auch die Welsche Kirche am Griesplatz erinnern beispielsweise an die italienischen Wanderarbeiter, die Graz im 16. Jahrhundert zur Festungsstadt umbauten und außerhalb der Stadtmauern in armen Verhältnissen lebten. Die Dominanz der italienischen katholischen Arbeiter im Baugewerbe
ließ bald Stimmen laut werden, die die Anstellung von heimischen Arbeitern und Baumeistern forderten, da eine Verdrängung der mehrheitlich protestantischen Grazer Bevölkerung befürchtet wurde.
Das Anliegen der aus Zagreb stammenden und in Berlin lebenden Künstlerin ist unter anderem auch die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Migrations- und Arbeitsgeschichte, zwischen Historischem und Aktuellem. Diese Kontinuitäten werden durch die Zweiteilung der bedruckten Tafeln an den Hausfassaden in einen historischen und einen biografischen Teil, der von StudentInnen der Europäischen Ethnologie erarbeitet wurde, sichtbar. Die aufmerksame Passantin erfährt beispielsweise in der Griesgasse Nummer 50, dass sich hier von 1997 bis 2002 das »beste Grill-Lokal zwischen Helsinki und Tirana« befand. Es wurde von Kadir Smailovic´ geführt, der »1984 als ›freundlichster Kellner‹ der olympischen Winterspiele von Sarajevo in die Schlagzeilen« kam.
In der Annenstraße kommt man am Orient-Shop des Herrn Mao vorbei und liest dort von seinen zahlreichen Unternehmungen: »2010 gründete ich ein Import-Export-Unternehmen, mit dem ich in unterschiedlichsten Ländern der Welt Waren ankaufe, die per Containerschiff nach China importiert werden: Olivenöl und Weine, PET-Flaschen, Autobatterien, Alteisen, Computerteile, Schweine- und Hühnerfüße u.s.w. So habe ich schon 28 Länder besucht, heuer werden mindestens zehn weitere dazukommen.«
Der unmittelbaren Verknüpfung von Einwanderung, Arbeit und dem Kampf um ArbeiterInnenrechte sowie kulturelle Anerkennung wird die Ausstellung durch die Wahl der einzelnen Standorte gerecht. Die Route führt zur Organisation »ISOP – Innovative Sozialprojekte«, deren Arbeitsschwerpunkt auf der interkulturellen und antidiskiminatorischen Arbeit liegt, entlang eines ehemaligen Großhandels der Konsumgenossenschaft, vorbei an Arbeiterkammer und AMS bis zum Kurdistan-
Informationszentrum, in dem ehemals das Vereinslokal des »Bundes der herrschaftlosen Sozialisten« untergebracht war. Darüber hinaus wird an den »Blutsamstag« erinnert, als bei einer Demonstration am 22. Februar 1919 Polizei und Studentenwehr auf ArbeiterInnen schossen und dabei vier Menschen starben.
Die Auswahl der Standorte, an welchen die Kunstwerke bis Mai 2015 angebracht sind, basiert auf der historischen Recherche von Joachim Hainzl und Leo Kühberger. Lediglich das ehemalige Gebäude des ÖGB am Südtiroler Platz konnte aufgrund von Uneinigkeiten mit der dafür zuständigen Hausverwaltung nicht in die Liste der gewünschten Standorte aufgenommen werden, so Anton Lederer von ‹rotor›. Damit fehlt eine zentrale Einrichtung, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der ArbeiterInnengeschichte steht.
Es ist nicht nur das Anliegen der Künstlerin, die lokale Geschichte von Arbeit und Einwanderung sichtbar zu machen. »Ich interessiere mich für die Geschichten dieses Viertels und sammle sie, um sie vor dem Vergessenwerden zu bewahren«, so ein Bewohner des Annenviertels. In diesem Sinn wird Kristina Leko dem Postulat der kulturellen Demokratie gerecht, welches sie in Form von zwölf Regeln als Anleitung zur künstlerischen Praxis ausgearbeitet hat. Das darin geforderte Aufgreifen gesellschaftlich relevanter Themen, das Einbeziehen der Menschen vor Ort, die Zugänglichkeit des Kunstwerks sowie dessen Anbringung in einer für Kunst ungewöhnlichen Umgebung wird durch die Textkunstwerke gewährleistet. Zu hoffen ist, dass die Ausstellung auch zu Regel 3 beiträgt: »Bereichere die öffentlichen Diskussionen mit deinem ausgewählten Thema, indem du neue Standpunkte zur allgemeingültigen Wahrnehmung hinzufügst. Wenn die allgemeingültige Wahrnehmung einer wichtigen Frage/eines wichtigen Themas beeinflusst worden ist, dann verändert sich auch die Wirklichkeit.«
Mirjam Pot