Iris Meder


„Keine Würfelwelt“ wollte man im Graz der Ersten Republik, und man tat auch wacker alles dafür, sie nicht zu bekommen. Eine ausführliche Dokumentation der Grazer Architekturszene zwischen Erstem Weltkrieg und „Anschluss“ ist Antje Senarclens de Grancy zu verdanken, die mit dem jetzt am HDA erschienenen Band zeitlich nahtlos an ihr 2001 bei Böhlau herausgekommenes Buch ‚Moderner Stil‘ und ‚Heimisches Bauen‘ anschließt. Die Schlussbilder des ersten Aktes, Herbert Eichholzers quaderförmige Häuser Pistor und Ferner (die auch das Cover zieren) und seine fast gleichzeitig entstandene rustikal-bäuerlich ausgestattete Wohnung Steiner, bilden hier den Auftakt zum nächsten Kapitel.

Mehr als andere Städte scheint Graz mit seinen eigenen lokalen Gegebenheiten ein gutes Beispiel für die vielfach belegte, aber auch in Fachkreisen immer noch kaum zur Kenntnis genommene Tatsache zu sein, dass sich funktionalistisch und modern nicht in eine lineare Entsprechung mit links, progressiv und ergo „gut“ setzen lässt, ebenso wenig wie im Umkehrschluss bäuerlich, bodenständig, konservativ und politisch rechts und somit „böse“ synonym anzunehmen sind.

Wiener Entwicklungen wurden auch in den zwanziger und dreißiger Jahren in Graz kaum aufgegriffen, ebenso wenig wie vor dem Ersten Weltkrieg die Otto-Wagner-Schule mehr als Einzelfälle an die Mur zu bringen vermochte. Andererseits wurde auch Eichholzers Le-Corbusier-Erfahrung keineswegs stilbildend. Vielmehr setzte man wie in der Vorkriegszeit eben auf das – frei interpretierte – „Bodenständige“, und vielfach auch linke, auch jüdische Architekten, die, wie etwa Eugen Székely, immer wieder auch Entwürfe in bester funktionalistischer Manier realisierten.

Unter anderem leistet Senarclens de Grancys Buch neben einer Dokumentation der Grazer Sezession auch eine gerade im Jahr des 100jährigen Gründungsjubiläums des Deutschen Werkbunds wichtige gründliche Aufarbeitung der Geschichte des 1922 gegründeten Steiermärkischen Werkbunds, dem auch Eichholzer und Székely angehörten. Schon mit seinem heraldischen Signet setzte sich der Steiermärkische Werkbund in deutliche Distanz besonders zum Österreichischen Werkbund mit dem als „rot“ verstandenen Zentrum Wien. Die Tätigkeit des Steiermärkischen Werkbundes und vor allem seine Ablehnung der Stuttgarter Weißenhofsiedlung mündete 1928 in der Errichtung eines – immerhin mit seinem Flachdach gar nicht so „unwürfelig“ daherkommenden – „Werkbundhauses“ nach Entwürfen von Hans Hönel, dessen Geschichte hier ausführlich dokumentiert ist. Vielfach mündeten die Überzeugungen von Protagonisten wie Walter Semetkowski dann halt doch nahtlos in den Nationalsozialismus, während der jüdische Székely zur Emigration gezwungen und der katholische Eichholzer seiner politischen Überzeugungen wegen hingerichtet wurde.

Das Buch ist mit seinem Paperback und dem größeren Format im Gegensatz zum kleineren, dickeren Hardcover des ersten Teils auch als hoch informativer Bildband konsumierbar. Dabei ist es in allen Teilen hervorragend recherchiert und sowohl inhaltlich wie grafisch sorgfältig und gut gemacht und insofern ein wichtiger Baustein zur Geschichtsschreibung der Moderne in Österreich. Was man vermisst, ist lediglich ein gesammelter Überblick über die so sehr unterschiedlichen Biografien der handelnden Personen.


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