» Texte / Nationalsozialistische Neugestaltungsplanungen für Wien

Gerhard Rauscher


Planerische und bauliche Aktivitäten in Wien während des Nationalsozialismus und etwaige Kontinuitäten der handelnden Personen in Architektur und Planung wurden bisher nur ansatzweise und verstreut in verschiedenen Publikationen aufgearbeitet. Ingrid Holzschuh dokumentiert in ihrem Buch Neugestaltungsplanungen für Wien von 1938 bis 1942 mithilfe neuer Quellen.
Zu Beginn des Buches wird ein Überblick über verschiedene Planungsvorschläge, die zum Teil unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland aus den Schubladen gezogen wurden, gegeben. 1938 etwa entwarfen die beiden Professoren Erwin Ilz (Technische Hochschule Wien) und Franz Schuster (Hochschule für angewandte Kunst Wien) jeweils eigene – niemals umgesetzte – Pläne für eine Aufmarschachse mit Partei- und Kulturforum im zweiten Wiener Bezirk Leopoldstadt.
Die NS-Zeit war sozusagen günstig für solche Planungen. Vor dem Anschluss betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung im Bezirk Leopoldstadt ca. 40 Prozent. Anfang der 1940er Jahre – nach Vertreibung, Ermordung und Deportation dieser Teile der Bevölkerung – war Platz für die großräumige Umstrukturierung des Bezirks, Wien sollte an die Donau gebracht werden. Legitimiert durch die Politik der Nazis, wurde in der Neu- und Umgestaltungsplanung der Stadt an der Vernichtung des Bauerbes der jüdischen Gemeinde gearbeitet. Holzschuh zitiert den Wiener Humangeografen Hugo Hassinger, der im Juli 1938 von »wurzel-losem Fremdvolk« in der Leopoldstadt und in Brigittenau sprach, »nichts Erhaltenswertes« sei in diesem Stadtteil enthalten, der Stadtteil bedürfe »der Auflockerung und Verschönerung«.
Schwerpunkt des Buches ist das Neugestaltungsprojekt für Wien des Berliner Architekten Hanns Dustmann. Dieser wurde 1940 auf Betreiben des damaligen Gauleiters Baldur von Schirach als Baureferent nach Wien geholt. Er arbeitete weiter unter Albert Speer am Neugestaltungsprogramm für Berlin, in Wien bedurften bald nach seiner Ernennung alle Bauprojekte der Stadt seiner Zustimmung. Im städtischen Planungsamt machte sich durch die Einsetzung Dustmanns als ein der Stadtbürokratie übergeordneter Planer bald Missstimmung breit, da die Planer der Bauverwaltung zu reinen Zuarbeitern degradiert wurden. Nach Darstellung von Ingrid Holzschuh wurde dadurch jede eigenverantwortliche Planung des Wiener Stadtplanungsamtes unterdrückt.

Das Baumodell des Neugestaltungsprojekts für Wien vom November 1941 – bezeichnet als »Projekt 11.41« – wird im Buch ausführlich beschrieben und als umfangreichste Planung einer Neugestaltung bezeichnet. Das Projekt dürfte Resultat einer Interessengemeinschaft des Planungsamtes Wien und des Büros von Hanns Dustmann gewesen sein. Holzschuh versucht in ihrem Buch, die Bedeutung dieses Modells – von dem nur Fotos vorhanden sind – für die Wiener Stadtplanung herauszuarbeiten. Die Recherche dazu war insofern schwierig, als es keine Plandokumente gibt. Das Modell selbst setzt sich aus drei Teilen zusammen: Innere Stadt mit Gauforum, Nordbahnhof und Baldur-von-Schirach-Insel; Nordstadt und Südstadt.
Reichsarchitekt Dustmann setzte das »Nationalsozialistische Handwerk« der Stadtplanung im Modell »11.41« für Wien um: symmetrisch angeordnete breite Aufmarschachsen, in sich geschlossene Plätze (Foren), Ehren- und Denkmäler, Gebäudekomplexe, die entlang der Hauptachse platziert werden, und Monumentalbauten, die als Abschluss der großen Symmetrieachsen dienen. Raum-planerische und architektonische Ordnungen des Nationalsozialismus hatten die Absicht, einen inszenierten Raum herzustellen, in dem das Individuum nur begrenzte Freiheit zugewiesen bekam. Bewegungsrichtungen und Blickachsen wurden vorgegeben, symbolische Zeichen der Partei (Statuen, Reliefs, Fahnen etc.) unterstrichen diese zusätzlich. Nicht nur der öffentliche Raum wurde auf diese Weise gegliedert, es wurde sozusagen ein Koordinatensystem hergestellt, in dem das Individuum seinen Platz zugewiesen bekam.
Im letzten Kapitel beschreibt Holzschuh die Neugestaltung der Stadt Dresden als Prototyp von Planungen während des Nationalsozialismus. Sie vergleicht die Planungsabläufe in Wien und Dresden, um zu zeigen, wie gleichförmig Planung in jeder der ausgewählten Neugestaltungsstädte ablief.
Im Frühjahr 1942 kehrte Hanns Dustmann nach Berlin zurück. Aufgrund der Kriegsereignisse wurden die »Baubedarfsträger« von Albert Speer aufgefordert »die nicht kriegswichtigen Bauvorhaben unverzüglich stillzulegen«, die Aktivitäten in Wien im Bereich der Stadtplanung wurden eingestellt – auch nachdem Wien im Jänner 1943 zur »Neugestaltungsstadt nach dem Krieg« ernannt wurde. Das Projekt 11.41 blieb ein Schubladenprojekt und kann als eine der Wiener Architekturfantasien des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden.
Fragen nach dem Verhältnis von Politik, Machtstrukturen und Planungstätigkeiten und nach der persönlichen Verantwortung von PlanerInnen und ArchitektInnen werden in dem Buch nur am Rande gestellt. Dieses Thema bedarf weiterer Aufarbeitung. Ingrid Holzschuhs Buch ist jedenfalls ein wichtiger Beitrag, die weißen Flecken in Österreichs Architektur- und Planungsgeschichte zu bearbeiten.


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