Peter Payer

Peter Payer, ist Historiker und Stadtforscher sowie Kurator im Technischen Museum Wien.

Peter Waldenberger


Seit rund 20 Jahren arbeitet Peter Waldenberger beim ORF-Hörfunk, zunächst für Ö3, dann für Ö1, wo er Features aller Art produziert. Im Redaktionsteam von Diagonal (Leitung: Michael Schrott) ist er zum Experten für Stadtporträts geworden. Für dérive war Waldenberger in Heft 9 mit einem Artikel über Shanghai als Printjournalist tätig.

"Diese drei Sätze und vier Minuten Sound haben mehr Informationsgehalt und mehr Assoziationskraft für den Hörer als vielleicht eine halbe geschriebene Seite." Peter Waldenberger, Radiojournalist und Experte für akustische Stadtporträts. © Peter Waldenberger

dérive: Herr Waldenberger, wieviele Städte haben Sie bisher fürs Radio porträtiert? Gibt es dabei geographische Vorlieben?

Peter Waldenberger: 23 Städte waren es bisher. Einmal sogar vier in einem Jahr, aber das ist eher die Ausnahme. Generell bereise ich alle Städte gern, v.a. die lateinamerikanischen finde ich sehr interessant. Aber auch Kuala Lumpur, Brooklyn, Las Vegas, Manchester, Barcelona oder Shanghai waren faszinierend. Nur aus Afrika habe ich bisher keine Stadt porträtiert.

dérive: Man stellt sich das Städtereisen ja immer ein bisschen romantischer vor, als es in der Realität ist. De facto ist es sicher eine sehr intensive und dichte Zeit, die man in und mit der jeweiligen Stadt verbringt.
PW: Die meisten Leute glauben, man fährt wie ein Tourist hin, schaut sich ein bisschen um, nimmt nebenbei etwas auf und trifft interessante Leute. So ist es natürlich überhaupt nicht. Die Arbeit beginnt ja schon zu Hause mit der Entscheidung für eine bestimmte Stadt. Dann folgen die Recherchen, die Kontaktaufnahme mit Personen vor Ort, Zeitplan, Organisationsvorbereitungen, ...

© Peter Waldenberger
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dérive: Bei der Vorbereitung stoßen Sie naturgemäß auf viele visuelle Bilder. Entstehen entsprechend dazu in Ihrem Kopf auch akustische Bilder, von denen Sie sich dann leiten lassen?

PW: Es gibt schon Informationen, von denen ich mir denke, das könnte akustisch interessant werden und Sounds ergeben, die uns etwas über die Stadt mitteilen. Wir vergessen ja gerne, welche Kraft eine akustische Momentaufnahme, eine von uns so genannte „Atmosphäre“ hat. Beispielsweise ein drei bis fünf Minuten langes Stück wie in Caracas, wo ich auf der Straße stand, Vorwahlkampf, eine riesige aufgeblasene Chávez-Puppe vor mir [Hugo Chávez = Staatspräsident Venezuelas], Straßenmusik und lautstarke Wahlparolen dazu. Das alles habe ich dann in der Sendung wie ein Musikstück gespielt, mit einer kurzen Erklärung davor. Diese drei Sätze und vier Minuten Sound haben mehr Informationsgehalt und mehr Assoziationskraft für den Hörer als vielleicht eine halbe geschriebene Seite.

dérive: Wie schwer ist es, die spezifischen Geräusche einer Stadt, also das jeweils charakteristische Klangbild aufzuspüren?

PW: Es ist harte Arbeit diese Sounds zu finden, selbst für mich, der ich bereits ein ganz gutes Sensorium dafür entwickelt habe. Im Regelfall finde ich meine Töne durch permanentes Herumgehen, und zwar in jeder Stadt, auch in Miami oder in Caracas, wo man aus Sicherheitsgründen eigentlich nirgends zu Fuß gehen dürfte. Mit den Jahren und der Routine hört man bewusster, sieht man gewissermaßen mit den Ohren und das gilt es dann festzuhalten. Dann mache ich – wie wir gerne sagen – „akustische Fotografien“, Momentaufnahmen einer Stadt. Wobei ich glaube, dass die Assoziationsmöglichkeiten für jemand, der oder die die Stadt hört und nicht sieht, eben viel größer und interessanter sind als etwa im TV.

dérive: Gibt es gleichbleibende Hör-Plätze, die Sie in jeder Stadt aufsuchen, die akustisch besonders viel hergeben, wie etwa Märkte?

PW: Ich versuche mich eigentlich von jeder Stadt individuell leiten zu lassen. Wenngleich wir einmal kritisiert wurden, dass in jeder Sendung ähnliche exotisierende „Marktatmos“ vorkommen. Aber naturgemäß gehe ich dorthin, wo viele Leute sind. Der Bazar in Damaskus etwa hat einen ganz spezifischen Sound, mit seinen vielen Marktschreiern. Ich gehe auch gerne in Fußballstadien und nehme dort Spiele auf. Die Schlachtgesänge in Buenos Aires mit jenen in Rio de Janeiro oder Amsterdam zu vergleichen, ist natürlich interessant.

dérive: Die Peripherie: Ist das auch so eine Ihrer bevorzugt aufgesuchten Stadtzonen?

PW: Durchaus. Sich vom Zentrum weg zu bewegen, heißt auch zu fragen: Wo sind die Ruhezonen der Stadt? Wo findet der Stadtbewohner Erholung vom Lärm? Wie in Moskau in den Wäldern und Datschas draußen. Ich höre mir gerne die Gegenwelt zum hektischen Getriebe des Zentrums an.

dérive: Wie verhält es sich mit dem Großstadtlärm im internationalen Vergleich? Welche Städte sind Ihrer Empfindung nach eher laut bzw. leise?

PW: Es ist vor allem der Verkehr, der den Unterschied ausmacht. So sind europäische Städte definitiv ruhiger als lateinamerikanische. Sogar eine Riesenmetropole wie Paris ist meiner Meinung nach leiser als Caracas oder Panama City. Am lautesten erschien mir bisher Caracas. Das ist eine 24-Stunden-Lärm-Stadt, ein absolutes Durcheinander von Autogeräuschen, Folgetonhörnern, Hupen, Signalen der Autodiebstahlswarnanlagen und vieles mehr. Reykjavik wiederum ist genau das Gegenteil: extrem ruhig.

© Peter Waldenberger
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dérive: Und Wien?

PW: Wien ist eine vergleichsweise ruhige Stadt. Zwar steigt auch hier das Verkehrsaufkommen, aber allein die Qualität der Autos und Motoren ist eine völlig andere.

dérive: Nehmen Sie auch so etwas wie eine akustische Angleichung der Städte wahr, eine Globalisierung der Stadt-Klänge?

PW: In manchen Stadtteilen schon. So klingen die Fußgängerzonen in Budapest, Brünn oder Wien alle sehr ähnlich. Gerade Fußgängerzonen sind Orte, an denen man die Globalisierung akustisch gut wahrnehmen kann: Die Schritte auf dem Granitpflaster, Straßenmusikanten, die typische Weichspülermusik aus den Geschäften ... Unterscheiden kann man diese Orte bestenfalls an den Verkehrsgeräuschen dazwischen, ob die Folgetonhörner amerikanisch oder europäisch klingen. Nur wenn man genau hinhört, merkt man, dass in Manhattan viel mehr Geräusche von Hubschraubern und Flugzeugen in der Luft sind.

dérive: Sind die rasch wiederkehrenden Signale der Folgetonhörner mittlerweile zur klassischen „Stadt-Signation“ geworden? Ein akustisches Erkennungszeichen der Großstadt wie seit dem 19. Jahrhundert die Straßenbahngeräusche?
PW: Absolut. Schön waren übrigens die Straßenbahngeräusche in Manchester, wo das Quietschen in den Kurven fast wie Musik klang. Wobei es auch schöne Straßenbahngeräusche in amerikanischen Städten gibt, etwa in Sacramento.

dérive: Haben Sie ein Stadtgeräusch, an das Sie sich besonders gerne erinnern?

PW: In Las Vegas hatte ich das Glück, dass es bei meiner Ankunft derart regnete, dass die Straßen einen ganzen Tag lang überschwemmt waren. Ein Wolkenbruch in der Wüstenstadt, das war akustisch ziemlich cool und hat mir schon sehr gefallen.

dérive: Ist man als akustischer Stadtporträtist auch irgendwie ein Jäger nach besonders „schönen“ Stadtklängen?*

PW: Man muss schon aufpassen, dass man nicht zu sehr ins Jagen kommt und Töne aufnimmt, die gar nicht so spezifisch für eine Stadt sind. Zu Hause, bei der Sendungsproduktion, hatte ich dann schon manchmal das Gefühl, dass es nicht gut ist, sich auf den einen oder anderen Sound zu sehr draufzusetzen. So authentisch wie ursprünglich gedacht, war es im Nachhinein dann doch nicht. Wie sich überhaupt bei der Produktion eine zusammenfassende Beurteilung des Sounds ergibt, die dann wieder in die Sendungsgestaltung einfließt. So war etwa bei der Lärm-Stadt Caracas klar, dass auch die Sendung darüber extrem laut sein muss, um vom Soundscape her eine Entsprechung zu haben.

dérive: Wie gehen Sie mit den Klängen der Repräsentation um?
PW: Es gibt Orte mit derartigen Sounds, spezifische Architekturen in den historischen Zentren beispielsweise, Repräsentationsbauten und -plätze. Aber auch das klingt sehr oft ähnlich: Springbrunnen, Kopfsteinpflaster mit Schrittgeräuschen. Auch die Geräusche in den Business-Zentren sind eher langweilig. Von Ausnahmen abgesehen, wie in Caracas, wo man die klimatisierten Luftströme aus den sich öffnenden Türen der Hochhaustürme hören konnte.

© Peter Waldenberger
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dérive: Gibt es so etwas wie akustische Stadtkarten, die Sie in Ihrem Kopf abspeichern?

PW: Zumindest die akustischen Highlights der von mir besuchten Städte könnte ich rückblickend ganz gut rekonstruieren. Brooklyn etwa habe ich akustisch ziemlich gut im Griff, weil dort die verschiedenen Ethnien relativ klar getrennt leben.

dérive: Welche Rolle spielt der Autoverkehr für die Klangidentität einer Stadt?

PW: Sobald das Auto dominiert, wird es akustisch gleich, ein Einheitsbrei. In Shanghai hat sich bei unserem damaligen Besuch gerade der Volkswagen-Konzern etabliert. Seither ist die Motorisierung der Stadt voll im Gang, mit allen ihren akustischen Konsequenzen. Auch in Moskau gibt es enorm viel Autoverkehr, der allerdings weit leiser erscheint, da die Fahrzeuge die meiste Zeit im Stau stecken. Aber akustisch ist das völlig uninteressant.

dérive: Kann man solche Megastädte überhaupt akustisch bewältigen?

PW: Bei jenen Städten, die einfach riesig und dementsprechend vielschichtig sind, bilden wir dann oft nur einen Stadtteil ab. Den Broadway in New York beispielsweise, die Docks in London oder Paris entlang der längsten Metrolinie.

dérive: Ist es hilfreich, sich – analog zum visuellen – einen akustischen Überblick von oben, von einem Turm oder Berg aus, zu verschaffen?

PW: Ich begebe mich oft nach oben, um zu hören, wie der gesamte Stadtkörper klingt. Das ist dann ein „akustisches Foto“ der ganzen Stadt. Ich nenne das gerne „Stadtwummern“, weil man die Energie spürt, die die Stadt ausstößt und den Sound dieser Energie. Wobei man interessanterweise gar nicht so sehr den Verkehrslärm hört, als den Lärm, der von Stromleitungen ausgeht, von Gebäuden und Fabriken. So entsteht gleichsam ein Soundeintopf, in dem sich alles vermischt und nach oben hin ausbreitet. Wenn man das gut und satt aufnimmt, ergibt es ein irrsinnig schönes Bild der Stadt. Damaskus etwa klingt von oben sehr interessant: Im Rücken die Golanhöhen, vor mir die Stadt und die beiden Hauptoasen, aus denen das Wasser bezogen wird, das ergibt einen ganz eigenen Klang, durchsetzt mit Muezzinrufen. Hier merkt man, dass der Stadt-Sound immer auch etwas mit der Luft zu tun hat, mit Temperatur, Feuchtigkeit; wenn es föhnig oder diesig ist, klingen die Aufnahmen dumpf, bei Kälte hingegen klingt alles klar und scharf.

dérive: Abschließend akustisch zurück nach Wien: Gibt es ein Geräusch, das für Sie zum Inbegriff dieser Stadt geworden ist?

PW: Am ehesten die unverkennbare Announcer-Stimme in der U-Bahn und in der Straßenbahn. Die ist schon sehr wienerisch: melancholisch, leicht depressiv. Wenn man sie hört, weiß man, wie die Wiener drauf sind, wie die Stadt in gewisser Weise funktioniert. Da ist man überhaupt nicht international, da wird das alte Wien hochgehalten. Generell finde ich ja, dass Wien akustisch keine besonders interessante Stadt ist. Außer vielleicht der alte Praterstern, vor dem Umbau. Ich habe vor Jahren gemeinsam mit Christiane Zintzen [Wiener Kulturwissenschaftlerin] ein akustisches Tagebuch dieses Ortes gemacht. Es war damals ein unglaublicher Treffpunkt von Leuten aus allen möglichen Weltgegenden, auch Straßenmusiker. Das war akustisch eine Lieblingsgegend von mir, wo ich mich gerne und oft aufgehalten habe. Mit dem Umbau ist das alles vorbei und akustisch planiert.

dérive: Vielen Dank für das Gespräch.


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