Gemeinschaftlich Bauen und Wohnen – eine internationale Rundschau
Besprechung der Ausstellung »together! Die neue Architektur der Gemeinschaft« im Vitra Design MuseumsTogether! Die neue Architektur der Gemeinschaft
Eine Ausstellung des Vitra Design Museums kuratiert von Ilka und Andreas Ruby sowie EM2N.
Grassi – Museum für angewandte Kunst Leipzig
28.11.2018–17.03.2019
Der Katalog zur Ausstellung ist leider vergriffen.
Bezahlbarer Wohnraum ist zu einem knappen Gut geworden. In europäischen Großstädten steigen seit der Finanzkrise 2007/2008 die Immobilienpreise, hergebrachte Konzepte des Wohnungsbaus taugen für viele nicht mehr. Bauen und Wohnen im Kollektiv erscheint immer mehr Menschen als Alternative, um den Zumutungen des Marktes, aber auch der Vereinzelung und Vereinsamung zu entgehen. Eine von Ilka und Andreas Ruby zusammen mit dem Architekturbüro EM2N kuratierte
Ausstellung widmet sich unter dem Titel Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft diesem gesellschaftlichen Trend und gesellschaftspolitisch hochrelevanten Thema. Die bereits 2017 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein (Deutschland) und 2018 im centre d’innovation et de design in Le Grand Hornu (Belgien) präsentierte Wanderausstellung hat vom 28.11.2018–17.03.2019 im Grassimuseum in Leipzig Halt gemacht. Einem Museumsbau (1925–1929 aus dem Vermögen des aus Italien stammenden Leipziger Kaufmanns Franz Dominic Grassi erbaut), der für sich genommen schon einen Besuch wert ist.
Auch in der größten Stadt Sachsens, wo bis vor kurzem noch beachtliche öffentliche Mittel (allein zwischen 2003 und 2013 gut 45 Millionen Euro) in den Rückbau von Wohnungen gesteckt wurden, hat sich das Blatt gewendet. Leipzig ist kein Paradies der Altbauwohnungen und billigen Mieten mehr. Dass das Thema einen Nerv der Zeit trifft, zeigt sich schon am Andrang der BesucherInnen. Der junge Architekt, der am Sonntagnachmittag durch die Sonderausstellung führt, hat mit einer unerwartet großen Menge von Interessierten zu tun. Aus einer Führung werden dann zwei. Eng wird es trotzdem – und lebendig, nicht wenige sind mit Kleinkindern und Kinderwagen unterwegs. Die BesucherInnen, überwiegend junge Leute, werden durch vier Ausstellungsteile geführt.
Der erste Abschnitt soll zeigen, dass die neue Gemeinschaftsarchitektur nicht aus dem Nichts kommt, sondern eine (Vor)Geschichte hat. Beim Blick auf die Geschichte greift die Ausstellungsgestaltung das Motiv des Protests auf und betont damit das Moment der Auflehnung gegen bestehende Verhältnisse: Der Boden besteht aus Pflastersteinen, die Wände sind großflächig mit Fotos von öffentlichen Demos tapeziert, auf vertikal in die Höhe ragenden Protestschildern werden »historische Vorläufer« präsentiert. Allein die Auswahl der etwa 30 Beispiele gibt zu denken: Was haben die Phalanstère von Charles Fourier (1820), die Künstlerkolonie von Monte Verità in Ascona (um 1900), der Karl-Marx-Hof in Wien (1927–30), die Unité d’habitation von Le Corbusier in Marseille (1947–52), die Kommune 1 in Berlin (1967–69), Kurokawas Nakagin Capsule Tower in Tokyo (1970–72), Harry Glücks Wohnpark Alt-Erlaa (1973–85) und die seit 1971 bestehende autonome Wohnsiedlung Freistadt Christiana in Kopenhagen gemeinsam bzw. mit »der neuen Architektur der Gemeinschaft« zu tun? Es liegen Welten zwischen den Beispielen: politisch, finanziell, soziostrukturell, organisatorisch, rechtlich, formal. Bei manchen Projekten stehen zentrale Serviceeinrichtungen zur Alltagserleichterung im Vordergrund, bei anderen geht es darum, im Zuge von Hausbesetzungen alternative Formen des Zusammenlebens zu erproben; mal materialisieren sich lebensreformerische Ideen einer Elite, mal entwickeln völlig Mittellose aus Wohnungsnot genossenschaftliche Formen der Selbsthilfe und des Selbstbaus; manchmal ist Gemeinschaft von oben verordnet, manchmal kommt sie selbstorganisiert von unten daher. Auch wenn auf den ersten Blick kein gemeinsamer Nenner auszumachen ist – der Brückenschlag gelingt dennoch, wenn man sich vor Augen führt, dass es bei den versammelten Projekten doch meistens um Alternativen zur Norm kapitalistischer Wohnungsproduktion, um Benutzen statt Besitzen von Wohnraum geht.
Im zweiten Ausstellungsraum bewegen sich die BesucherInnen durch ein Meer von Modellen (im recht ungewöhnlichen Maßstab 1:24). Sie repräsentieren internationale Gegenwartsprojekte aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Niederlande und Dänemark, aber auch aus Japan und den USA. Die 22 Modelle bilden zusammen »eine fiktive Stadt«, die auf der Utopie basiert, dass sich Grund und Boden nicht in Privatbesitz befinden und der Staat Regularien geschaffen hat, die dafür sorgen, dass der Boden bei der Errichtung von Wohnraum nicht zum Kostenfaktor wird. Die gemeinschaftlich genutzten Flächen sind farblich hervorgehoben. In knappen, an der Seitenfläche der Modelle angebrachten Steckbriefen erfährt man, dass die Projekte sehr unterschiedlichen (Finanzierungs- und Rechts-) »Modellen« folgen – es wird zwischen Baugruppe, Genossenschaft,
Sozialem Wohnbau und Mischmodellen unterschieden. Fragen zur Finanzierung und Bewirtschaftung der Wohnimmobilien, aber auch zur sozialen Zusammensetzung der Kollektive bleiben jedoch (vorerst) offen.
Im dritten Ausstellungsteil werden die BesucherInnen durch eine sogenannte Cluster-Wohnung geführt. Dabei handelt es sich um das 1:1-Modell eines Grundrisses (genauer eines Ausschnitts davon), der dem einfachen Prinzip der Minimierung von privaten Wohneinheiten bei gleichzeitiger Maximierung von Gemeinschaftsflächen folgt. Diese Wohnungstypologie kombiniert privaten Rückzug mit der Möglichkeit sozialer Interaktion in großzügigen Küchen und Gemeinschaftswohnräumen. Sie ist auch
verbunden mit schonendem Ressourcenverbrauch. Der Flächenbedarf pro Kopf kann reduziert werden (am Beispiel des Projekts Kalkbreite in Zürich von durchschnittlich 50 m2 auf 33 m2). Den fiktiven BewohnerInnen der Cluster-Wohnung wird mit von der Decke hängenden Sprechblasen eine Stimme verliehen. Sie erzählen vom Alltagsleben in dieser gemeinschaftlichen Wohnkonstellation – davon, was Menschen in verschiedenen Lebensphasen (z. B. alleinerziehende Mutter oder Pensionistin) hier als vorteilhaft und positiv erachten. Verlebendigt wird die Installation auch durch die zur Benutzung einladende Ausstattung: BesucherInnen sitzen am großen Tisch der Ausstellungsküche und unterhalten sich; Kinder hantieren mit Spielzeug, das im Kinderzimmer eigentlich ausgestellt ist. Die illusionistischen Fototapeten des Fotografen Daniel Burchard verleihen den begrenzten Ausstellungsräumen Tiefenwirkung, vermitteln Ausblicke auf ein urbanes, aber freundliches Draußen.
Das vierte Ausstellungssegment ist gedacht als Anstiftung zum Nachmachen. Hier gibt es Gelegenheit, sich an fünf Computerarbeitsplätzen über den Prozess der Umsetzung zu informieren. Die Filme (über die Sargfabrik in Wien, Zwicky-Süd in Zürich, LaBorda in Barcelona, R50 in Berlin und ein kleines Apartmenthaus mit Restaurant in Tokyo) stellen das wertvollste Ausstellungsmaterial dar, insofern die BesucherInnen nun etwas über das Machen, die komplexen Aushandlungs- und Planungsprozesse, die Beschaffenheit und Arbeit der Kollektive und vor allem die ökonomische Dimension der Projekte, die unterschiedlichen Bewirtschaftungs- und Finanzierungsmodelle sowie die Realisierbarkeit unter unterschiedlichen Förderregimen erfahren. Die Inszenierung als Co-Working Space darf einerseits als Verweis auf gemeinschaftlich genutzte Flächen gelesen werden. Andererseits erinnert das Sitzen am Computer daran, dass die Präsentation der Projekte auf Webseiten einen zentralen Aspekt des Austauschs und des (Voneinander)Lernens von Baugruppen darstellt, das Internet aber auch neue Möglichkeiten der Finanzierung (Crowdfunding) offeriert.
Ergänzt und abgerundet wird die Ausstellung am Ende mit einschlägigen Fallbeispielen aus Leipzig. Diese lokale Fortschreibung mit Beispielen, die in Opposition zu Standardformaten des Immobilienmarktes stehen, macht die Ausstellung auch für weitere Städte attraktiv. Ob es Gelegenheit geben wird, die Ausstellung in Wien zu sehen? Das ist derzeit noch ungewiss. Sie wird im Anschluss nach Genf ins Maison d’Architecture Genève wandern. Weitere Stationen, darunter auch Wien, sind in Planung, aber nach Auskunft der KuratorInnen noch nicht in trockenen Tüchern. Wünschenswert wäre es. Nicht nur, um aktuelle Wiener Projekte einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, sondern auch, um einen öffentlichen Diskurs über Neues soziales Wohnen – das Leitthema der 2022 in Wien stattfindenden Internationalen Bauausstellung (IBA) – anzuregen. Über das Together, über Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, soziales Miteinander und Wir-Gefühl wird noch nachzudenken (und empirisch zu forschen) sein. Zieht gemeinschaftliche Planung doch nicht notwendig gemeinschaftliches Wohnen nach sich. Ebenso tut eine differenziertere Darstellung und Bewertung von Baugruppen Not. Liegen doch Welten zwischen einer Eigentümergemeinschaft, bei der Mitglieder ihre Wohnungen bei Auszug auf dem freien Markt veräußern können, und einer genossenschaftlich organisierten Gemeinschaft, die Wohnraum dauerhaft dem freien Markt entzieht. Der Ausstellung ist jedenfalls zu wünschen, dass sie noch an vielen Orten Ansteckungskraft entfacht. Sie ist wichtig, weil sie den politischen Diskurs über Wohnen, die Frage, wie wir zusammenleben wollen, an der Wurzel packt.
Anita Aigner ist Assistenzprofessorin an der TU Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Architektursoziologie.