Lilly Marie Untner


Ein aktueller Sammelband, herausgegeben von Heidrun Aigner und Sarah Kumnig, widmet sich gleichsam unterschiedlichen Grenzpraktiken sowie dem beschränkten Zugang zu Ressourcen für viele und stellt wiederholt und aus den verschiedensten Perspektiven Strategien vor, wie Widerstand organisiert und Selbstorganisation geleistet werden kann. Im Sommersemester 2017 hielten die Autorinnen Vorträge im Rahmen der transdisziplinären Ringvorlesung Stadt für alle?! Zwischen lokalen Grenzpraktiken und Urban Citizenship, die nun Grundlage der Publikation sind. Ziel war es eine queer-feministische, antikoloniale und antirassistische Perspektive auf Stadt mit theoretischen Analysen, sowie praktischen Aneignungen zu eröffnen. Der Fokus richtete sich auf die Möglichkeiten der Einmischung in die Stadt. Die Absicht mit konkreten Beispielen von Aneignung und spezifischen Interventionen Selbstermächtigung anzuregen und somit eine hoffnungsvollere Zukunft als möglich erscheinen zu lassen, ist durchaus gelungen.
Der Band besteht aus zwölf Beiträgen mit ebenso vielen variierenden Perspektiven auf das Thema Stadt. Dennoch haben sie etwas gemein. Sie rücken die Ebene der Stadt in den Vordergrund und geben ihr Bedeutung. Aber nicht nur das, sie entziehen gleichzeitig dem Nationalstaat seine politische Tragweite und bieten eine alternative Identifikationsmöglichkeit. Die Mehrheit der Texte befasst sich mit dem Thema StadtbürgerInnenschaft (Urban Citizenship) und stellt das Konzept als Möglichkeit vor, eine Stadt für alle durchzusetzen. Dabei setzen die AutorInnen aber nicht nur auf formalpolitische Partizipation, da vor allem jene keine Stimme haben, denen auch die formellen BürgerInnenrechte verwehrt bleiben. Stattdessen werden Selbstorganisation und Autonomie betont, was an der Migrationsgeschichte von NigerianerInnen nach Wien beispielhaft dargestellt wird, oder aber – auf theoretischer Ebene – mit dem Konzept der Urban Undercommons.
Das Buch ist in zwei Abschnitte aufgeteilt – Analysen und Aneignungen. Erstere sollen theoretische Zugänge, letztere praktische Beispiele sein. Alle Artikel stehen im Zusammenspiel und nehmen immer wieder aufeinander Bezug. Sarah Schillinger stellt in ihrem Text konkret das Konzept einer Urban Citizenship vor, auf welches in fast allen Texten zurückgegriffen wird. Wie geeignet ist eine StadtbürgerInnenschaft als Tool, um eine Stadt für alle zu garantieren? Schillinger geht vorrangig auf Stärken und Potenziale, weniger aber auf Schwächen und Grenzen des Konzepts ein. Sie bezeichnet es als »konkrete Utopie«, die befähigen kann, aktiv zu werden, vor allem im Kontext der aktuellen Migrations- und Asylpolitik. An den Migrationsdiskurs anschließend präsentieren Tania Araujo und Marissa Lobo ihre Arbeit für maiz, ein autonomes Zentrum von und für MigrantInnen. Mit ihrer Schaufenstergalerie mitten in der Linzer Altstadt gehen sie einen performativen, theatralen Weg. Künstlerische Interventionen aus einer queer-feministischen und antikolonialen Perspektive sollen provozieren und zur Selbstreflexion anregen. Anstatt sich in die Marginalität drängen zu lassen, sucht maiz den Weg der Konfrontation mitten im Zentrum. Im von Araujo und Lobo ins Spiel gebrachten Konzept der Urbanen Undercommons geht es ebenso um Autonomie wie um MigrantInnen als Subjekte, denen mehr Handlungsfähigkeit zugeschrieben wird. Die Undercommons sollen eine Form von Widerstand und gleichzeitig eine neue Art des Gemeinsamen sein, ganz nach dem Motto: »Wir sind die, die jetzt zusammen hier sind.«
Können die Konzepte von StadtbürgerInnenschaft, Urban Commons und die damit verknüpften Plädoyers für Selbstorganisation hilfreiche Tools für spezifische Aneignungen von Stadt sein? Dieser Frage widmet sich der zweite Teil des Buches und bringt erfolgreiche Beispiele wie die Shedhalle in Zürich. Diese arbeitet in ihren Projekten mit der Überlappung von künstlerischen Handlungen und Politik. Grundlage dafür sind sogenannte Pre-Enactments, also die Annahme, dass politische Ereignisse künstlerisch antizipiert werden können.
Sarah Kumnig hat leider kein gleichermaßen erfolgreiches Beispiel parat, wenn es um dem sozialen Wohnbau in Wien als Verhandlungszone städtischer Teilhabe geht. Sie beschreibt die vielen Ein- und Ausschlussmechanismen im sozialen Wohnbau in einer zunehmend unternehmerisch geprägten Stadtpolitik. Wer hat wirklich Zugang? Obwohl die formalen Bedingungen scheinbar verbessert wurden, wurde der reale Zugang erschwert. Vielen Menschen bleibt der Zugang verwehrt, weil er an eine bestimmte Lebensweise als Norm geknüpft ist. Ähnlich verhält es sich mit der Ausgrenzung aufgrund von Sprache. Wenn es um das Recht auf Stadt oder die Idee einer Stadt für alle geht, muss auch Sprache ein wichtiges Thema sein. PROSA (Projekt Schule für alle) beschäftigt sich mit dem komplexen Verhältnis von Sprache, Teilhabe und Ausgrenzung und wirft auf, dass die Forderung Deutsch zu lernen bzw. zu sprechen noch lange nicht zur wirklichen Teilhabe an der Gesellschaft führt.
Nicht nur Bedingungen wie Aufenthaltsstatus oder Sprache führen zu Grenzziehungen. Bestimmten Personengruppen wird aufgrund von zugeschriebenen Merkmalen Teilhabe zusätzlich erschwert. Sei es durch rassistisch motivierte Polizeikontrollen (Racial Profiling), Kriminalisierung von Armut, die Nichtanerkennung von Sexarbeit als Arbeit oder weil es sich um Kinder und Jugendliche handelt, die besonders schwer aktiv Mitsprache leisten können. Teilweise stellt das Buch Gegenentwürfe vor, wie alternative, antirassistische Kommunikationsräume oder aber eine Stadt, die gänzlich auf Polizei verzichtet. Sexarbeit und Armutsmigration müssten entkriminalisiert werden, konkrete Handlungsstrategien diesbezüglich wurden leider nicht erwähnt. Nach dem Lesen mancher Artikel bleiben eher die prekären Ist-Zustände als etwaige Handlungsmöglichkeiten in Erinnerung. Insgesamt aber schafft es das Buch einen breiten Blick auf das Thema Teilhabe in der Stadt zu geben, positive Ausblicke zu gewähren und gleichzeitig zu vermitteln, dass noch sehr viel Arbeit vor uns liegt!


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