Thomas Ballhausen

Thomas Ballhausen, Autor, Film- und Li­te­r­­­a­turwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien / Leitung der Pressedokumentation.


Ein Mann steht in einem Kinosaal, wir sehen nur ihn, nicht was er betrachtet. Wir beobachten, wie er Gemüse zerhackt, wie ein Berserker mit Messern arbeitet, immer auf der Suche nach dem noch perfekteren Ton für den auf die Leinwand projizierten Schrecken – ist der Protagonist von Peter Stricklands hochreflexivem Berberian Sound Studio doch ein Soundspezialist, der einen italienischen Thriller nachvertont. Wir bekommen (im mehrfachen Wortsinn) deutlich vorgeführt, wie der schüchterne Gilderoy, perfekt dargestellt von Toby Jones, angesichts des ihn anwidernden Schreckens trotzdem versucht, seinen Job gut zu machen. Doch nicht nur der filmische Horror setzt ihm zu, mehr noch plagt ihn das plakativ gezeichnete italienische Umfeld, in dem er zu wirken hat – die Gehässigkeiten der Kollegen, sprachliche Hindernisse, die Barrieren einer zwielichtigen Produktionsfirma. Strickland verbindet das Heimweh des zurückhaltenden Gilderoy, seine zaghaften Versuche soziale Bande zu knüpfen oder seine Standpunkte durchzusetzen zu einem Netz, in dem sich der gleichermaßen ungeschickte wie geniale Tonmensch zusehends verfängt. Er strampelt, versucht die Dreistigkeit seiner Auftraggeber zu imitieren, die ihn quälenden Zustände auszublenden. Doch alles Bemühen ist vergebens, die Verwaltung der Produktionsfirma erweist sich als kafkaesker, labyrinthisch angelegter Apparat, die diversen düsteren Zimmer und Flure verschachteln sich zu einem Seelenraum, aus dem es kein Entrinnen geben kann.
Durch die thematische Ausrichtung und die filmgeschichtliche Kontextualisierung sind die historischen Markierungen des Spielfilms sehr deutlich ausgewiesen: Im Zentrum des angedeuteten Horrors steht, was wir nicht zu sehen, aber eben zu hören bekommen. Damit wird nicht nur die Leerstelle für die Rezeption für die jeweils persönlich wirksamsten Schrecken geöffnet, sondern ganz prinzipiell das visuelle Primat des Filmischen befragt. Dass Strickland dafür ausgerechnet das beliebte italienische Giallo-Subgenre der 1970er-Jahre mit seinen zentralen Gewaltdarstellungen und wiederkehrenden Erkennungsmerkmalen auswählt, ist, ebenso wie die im Titel integrierte Anspielung auf die Mezzosopranistin und Komponistin Cathy Berberian, ein weiterer gelungener Kunstgriff. Doch Strickland geht in seiner Arbeit noch weiter, ist Berberian Sound Studio nicht zuletzt auch ein Film über Rauminszenierung, Grenzerfahrungen und das Spannungsverhältnis von Stadt und Land. Die bedrohliche unüberschaubare Raum-Welt der italienischen Firma, die Gilderoy nach und nach verschluckt, steht in krassem Gegensatz zum angedeuteten ländlichen Idyll seiner britischen Heimat, die sich in Briefen, Tonaufnahmen und Traumsequenzen manifestiert. In der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Leben verliert sich der Protagonist in den Prozessen von Imitation und Fiktionalisierung, er verschwindet in den unheimlichen, aus architektonischen Fixierungen herausgelösten Räumen, aus denen er zuletzt keinen Ausweg mehr finden kann.

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Berberian Sound Studio
Regie: Peter Strickland
Großbritannien 2012, 92 min


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