» Texte / Der öffentliche Raum in Zeiten der Veränderung

Erik Meinharter


Neue virtuelle Öffentlichkeiten, eine Ökonomisierung der Öffentlichkeit, die Transformation der Produktion, die europäische Integration und die gleichzeitige »Wiederentdeckung des öffentlichen Raumes«. Viele urbane Transformationsprozesse der letzten Jahre hatten Auswirkung auf die Wahrnehmung und den Gebrauch des öffentlichen Raumes in der europäischen Stadt. Schon der 2010 von SKuOR (Interdisciplinary Centre for Urban Culture and Public Space) veranstaltete Kongress, welcher den gleichen Titel trug wie das nun erschienene Buch, versuchte mit mehreren Panels und Workshops diese Tendenzen zu kategorisieren und gezielt zu diskutieren. Nun ist ein Sammelband mit Beiträgen einiger damaliger ReferentInnen und weiterer gezielt für die Publikation angefragter AutorInnen entstanden. Die Publikation konzentriert sich jedoch darauf die Methoden und Strategien der städtischen Verwaltung im Umgang mit öffentlichem Raum zu beleuchten. Die von Ali Madanipour, Sabine Knierbein und Aglaée Degros ausgewählten Beiträge spannen einen Bogen von Strategien, Plänen und Regelwerken über die vielfältigen Rollen des öffentlichen Raums hin zum Alltag und dem kommunalen Nutzen dieses Raums. Interessanterweise sind die Kapitel in umgekehrter Richtung einer analytischen Betrachtung gereiht, was bei der Studie der Alltagsbeschreibungen am Ende des Buches zu Spannungen mit den bereits gelesenen Umsetzungsstrategien führen kann. Die unterschiedlichen Reaktionen auf die dem Buch vorangestellte grundsätzliche Frage: »Wie reagiert die städtische Verwaltung auf die multiplen Veränderungsprozesse?« — wird in den Beiträgen aus Berlin (Nikolai Roskamm), Mailand (Massimo Bricocoli und Paola Savoldi) und Wien (die HerausgeberInnen) und deren Behandlung von Raumproduktionsprozessen sehr deutlich. Bei den für Wien vorgestellten Prozessen im Bestand (Schwedenplatz) und mit einer antizipierten Öffentlichkeit (Aspern) wurde beim Prozessdesign versucht, den Veränderungen Rechnung zu tragen, ohne dabei sicher sein zu können, dass diese auch zu einer Genese eines öffentlichen Raumes führen werden. In Berlin, bei der Entwicklung des Tempelhofer Feldes, musste in der Verwaltung erst noch deutlich gelernt werden, dass die Regulierung eines öffentlichen Raumes auch aus dessen alltäglichem Gebrauch entstehen kann und nicht einem räumlichen Konzept Folge leisten muss. Mittlerweile wird anhand dieses Ortes sichtbar, dass auch die Freiheit Prozesse sich selbst zu überlassen erst gelernt werden muss und sich neue Netzwerke zum Erreichen dieses Zieles von selbst bilden. Beim Tempelhofer Feld hat sich nun beispielsweise der BUND – eine Naturschutzorganisation – auf die Seite der NutzerInnen gestellt und den Erhalt des offenen, freien und seit 2010 öffentlichen Raumes unterstützt. Der im Beitrag über Mailand beschriebene »communicative turn« in Planungsprozessen, welcher dem »narrative turn« der Sozialwissenschaften gefolgt ist, wird in fast allen Beiträgen des Bandes offenbar. Auch wenn in manchen Beiträgen »die Planer« noch oft als dirigistische regulationswütige Personen pauschaliert dargestellt werden, hat sich die Akzeptanz für kommunikative Prozesse bei Planungen für und im öffentlichen Raum auch bei dieser Profession etabliert. Die Herausforderungen für die städtischen Verwaltungen bei der Prozessgestaltung von Vorhaben im öffentlichen Raum haben sich folgend den Transformationsprozessen um einiges erhöht. Der einfache Flächenabtausch mit InvestorInnen, wie im Beitrag über Mailand beschrieben, generiert in keinem Fall öffentlichen Raum im Sinne eines kollektiven Ortes urbanen Lebens. Er kann sogar eher die Segregation statt die Integration fördern. Die im Buch geübte Kritik, dass das »Idealbild des öffentlichen Raumes der mitteleuropäischen Stadt« noch bei der Etablierung neuer öffentlicher Räume im Wege steht, hätte eigentlich in einem umfassenden kritischen Diskurs über dieses Bild münden können. Dieser kommt leider in diesem Buch zu kurz. Im Umgang mit Vielfalt und Öffentlichkeit im Raum ist jedenfalls Vorsicht geboten. Es ist generell als problematisch anzusehen, wenn soziale Fragen mit räumlichen Antworten gelöst werden sollen, denn alle räumlichen Exklusionsstrategien können keine tragfähigen Konzepte für die Zukunft sein. Der durch das Buch ermöglichte – direkte – Vergleich der unterschiedlichen Strategien im Umgang mit dem öffentlichen Raum in europäischen Städten generiert mit Sicherheit neue Erkenntnisse für die städtische Verwaltung.


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