» Texte / Die Geschichte der Geschichte der Stadtgeschichte

Bernd Hüttner

Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und Referent für Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


Im Jahr 2020 waren zwei Jubiläen zu verzeichnen. Die Zeitschrift Moderne Stadtgeschichte (MSG) wurde 50 Jahre alt, sie erschien bis 2016 unter dem Titel Informationen zur modernen Stadtgeschichte (IMS). Die Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung (GSU) feierte 20-jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass schaut die MSG in einem Themenheft auf ihre eigene Geschichte, die der Gesellschaft und vor allem der Disziplin (zurück).
        Die Beiträge spannen den berühmten weiten Bogen, beginnend bei den Wurzeln der Zeitschrift in den Suchbewegungen der schon früher entstandenen Historischen Sozialwissenschaft, hier erzählen Zeitzeugen, allesamt Männer, von ihren persönlichen Erlebnissen. Bis in die 1960er-Jahre hinein hatte es, im Gegensatz etwa zu Großbritannien, das mit seiner urban history als Vorbild und Referenz dient, in Deutschland keine Forschung zur Stadt (in) der Moderne gegeben, untersucht wurde nur die mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadt. Verlagsseitig ist die halbjährlich erscheinende IMS zuerst am Kommunalwissenschaftlichen Forschungszentrum angesiedelt, aus dem 1973 das offiziöse und bis heute existierende Deutsche Institut für Urbanistik wird, wo die MSG bis heute erscheint.
        
Die IMS entsteht auch aus einem Reformimpuls heraus, Geschichte soll relevant für die Praxis aka Gegenwart sein. In jenen Jahren nach seiner Gründung ist viel von der Krise der Stadt die Rede, die sich z. B. in Suburbanisierung niederschlägt. Neben der Problematik des motorisierten Individualverkehrs wird u. a. die Befürchtung diskutiert, die für die Stadt so wichtige Zivilgesellschaft dünne sich durch den Umzug in die Vorstädte aus und entfalle somit als Akteurin.
        Disziplinär wird aus einer Stadtgeschichte als Planungsgeschichte oder als der der städtischen Selbstverwaltung nun eine moderne, komparative Stadtgeschichte mit neuen Methoden und Fragestellungen, die Urbanisierung und Industrialisierung zusammenbringt. Die vielen turns kommen erst später (cultural turn, spatial turn ...) und das Feld differenziert sich stark aus, was in der Ausgabe auch nachzulesen ist. Die im Zuge der Kulturgeschichte etwas ins Hintertreffen geratene Wirtschaftsgeschichte kehrt im Gewand der Umweltgeschichte wieder in die Stadtgeschichte zurück. Fragen von (Doing) Gender spielen eine immer größere Rolle. War früher Deutschland der Referenzrahmen, hat sich nun die Forschung internationalisiert und Englisch wird auch in der MSG und der GSU eine wichtige Sprache. Im Moment hat die GSU 200 Mitglieder, und ist, wie das Feld, auf eine andere Art interdisziplinärer angelegt als etwa die Zeitschrift in ihren ersten zwei Gründungsjahrzehnten. Heute gibt es eine Renaissance der Städte, trotz Überhitzung im Zuge der Klimakrise, steigender Mieten und Lebenshaltungskosten sowie Verdrängung und einer damit einhergehende Re-Politisierung urbaner Fragen. Eine Stadtgeschichte müsste dann aber mehr als Public History machen, um hier etwas beizutragen. Es bleibt interessant, die MSG weiter dabei zu beobachten, unabhängig davon ist das Jubiläumsheft eine höchst spannende Geschichte der Stadtgeschichte als Feld und Disziplin.


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