Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Im Juli fand in Berlin die Weltkonferenz Urban 21, eine Fortsetzung der Rio-Konferenz von 1992, statt. Dazu ist ein Weltbericht für die Zukunft der Städte - Urban 21 erschienen. Die Arbeitsgruppe Enquete, der Redaktion des Berliner Mieter-Echos hat einen Reader zu diesem Weltbericht veröffentlicht. Die Redaktion hat StadtexpertInnen eingeladen zur ersten, englischen Version des Weltberichts, Reinventing the City - Urban Future 21, Stellung zu nehmen. Der Weltbericht wurde unter Federführung des deutschen Ministeriums für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen von empirica - Gesellschaft für Struktur- und Stadtforschung erstellt. Neben Christian Pfeiffer, dem Geschäftsführer der den Sozialdemokraten nahe stehenden Denkfabrik empirica, wird der Londoner Soziologe Peter Hall namentlich erwähnt. Weil der Bericht, wie ich schon an dieser Stelle verraten darf, von allen AutorInnen in der Luft zerrissen wird, fühlte sich die Redaktion sogar zu einer Erklärung für die Veröffentlichung des Readers verpflichtet: Die Veröffentlichung geschah »nicht wegen der (fehlenden) Qualität des Readers, sondern wegen der nicht von der Hand zu weisenden Befürchtung, dass dessen Message tatsächlich Grundlage auch für praktisches städtisches Handeln wird.«
Von fast allen AutorInnen wird der naive Ansatz des Weltberichts kritisiert, der alle Städte in drei übersichtliche Gruppen einteilt und eine schöne Zukunft zeichnet, in der alle Konflikte zur Zufriedenheit aller gelöst werden können, wenn es nur good governance, also in etwa gute Führungsarbeit und verantwortliches Handeln, gibt. Macht- und Herrschaftsstrukturen werden völlig ausgeblendet, systemimmanente Antagonismen scheint es in den Städten des Weltberichts nicht zu geben. »Zentral ist die Annahme, dass es sich im Grunde genommen um eine win-win-Situation handelt, dass also bei good governance letztlich alle gewinnen,« schreibt der Politikwissenschaftler Ulrich Brand. Das Projekt der good governance wurde in den späten ´80er-Jahren von der Weltbank gepusht und sollte »weg vom traditionellen neoliberalen Ansatz struktureller Anpassung ... zu einem Diskurs über marktfreundliche Interventionen führen.« Staaten sollen »nicht demontiert, sondern restrukturiert werden, um kapitalistische Kontrolle, Arbeitsdisziplin und Austauschbeziehungen des Marktes innerhalb der inländischen zivilen Gesellschaften zu befördern.« (Neil Brenner) Neben good governance ist good practice ein beliebtes Stichwort. Good practice heißt »Verwaltungseffizienz kombiniert mit direkten und indirekten Staatssubventionen an große Konzerne und eine wachsende Privatisierung sozialer Reproduktionsfunktionen«. (Brenner) Der Geograph Neil Brenner weist darauf hin, dass dieses Konzept bereits als gescheitert zu betrachten ist, weil es »zur Polarisierung großer Gruppen der lokalen, regionalen und nationalen Bevölkerung« geführt hat und »dass die relative Effektivität solcher Strategien ganz dramatisch abnimmt, sobald sie überall im globalen System verbreitet ist.«
Der in Wien geborene Professor für Stadtplanung an der UCLA John Friedmann ist, wie die meisten AutorInnen, von der Plattheit des Berichts entsetzt und vermutet, »dass Reinventing the City weniger ein Bericht politischer Maßnahmen ist, als vielmehr ein Versuch, einen ideologischen Rahmen für urbane Entwicklung auf globaler Basis zu erstellen.« In der Einteilung aller Städte in drei Gruppen sieht er eine »einfältige Typologie«, die kein Stadtplaner oder Stadtpolitiker »als ernsthafte Grundlage ins Auge fassen« würde. Der Politikwissenschaftler Roger Keil sieht in der Forderung nach mehr Autonomie für die Städte des 21. Jahrhunderts eher eine Drohung, weil wenn man dieser Autonomie die ideologischen Richtlinien des Weltberichts zu Grunde legt, ist »der Zweck der Autonomie ... nicht mehr Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit oder eine bessere Umwelt. Der Zweck ist allein die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit...« Joachim Bischoff zitiert in seinem Beitrag empirica-Chef Pfeiffer und zeigt damit eindrucksvoll, wie weit sich die Sozialdemokratie von ihren Grundsätzen verabschiedet hat, ohne wenigstens ein schlechtes Gewissen zu haben: »Es dürft utopisch sein, klassische, sozialdemokratische Gleichheitsvorstellungen gegen die deutlichen wirtschaftlich-technischen Trends zu setzen (...) Dem kann man nur das Konzept der optimalen Ungleichheit entgegensetzen.« Das Motto lautet: »Fordern und fördern.«
Als Abschluss will ich noch den durch sein Buch Gentrification and the Revanchist City auch im deutschsprachigen Raum bekannt gewordenen Professor für Geographie Neil Smith zitieren: »Eine echte urbane Agenda für das 21. Jahrhundert müsste von der offensichtlichen Nicht-Nachhaltigkeit des Kapitalismus ausgehen und von der Möglichkeit, mit einer grundlegenden anderen sozialen Logik völlig andere Städte zu entwerfen. Es ist der nachhaltige Kapitalismus der unrealistisch, idealistisch und letztlich eine pathetische Hoffnung ist.« Weitere, hier nicht zitierte AutorInnen des Berichts sind die Professorin für Urbane Geographie Sue Ruddick, die Professorin für Soziologie Maria Mies, die Stadtplanerin Marlene Zlonicky und der Professor für Sozialwissenschaften Bob Jessop. Am Ende des Readers sind die ersten beiden Kapitel aus der deutschsprachigen Version des Weltberichts dokumentiert.
Die Arbeitsgruppe Enquete will die Diskussion zum Weltbericht fortsetzen und sieht in ihrer Broschüre Und die Welt wird zur Scheibe nur einen ersten Beitrag. Richtigerweise muss sie aber selbst feststellen: »Diskussionen allein werden freilich die avisierten Angriffe der neoliberalen Nachhaltigkeitsstrategen mit ihren good governance-Allüren rund um Urban 21 nicht beeindrucken.«

Redaktion des Mieter Echo (Hg.)
Und die Welt wird zur Scheibe...Reader zum Weltbericht (Für die Zukunft der Städte - Urban 21)
40 Seiten. 5DM + Porto

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