Vanessa Müller


Stiller Aktivismus lautet der Titel einer Monografie zu Barbara Holubs mehr als drei Jahrzehnte überspannendem Werk, das sich in sozial und politisch engagierten Interventionen und Aktionen mit aktuellen urbanen und gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzt. Stiller Aktivismus ist auch ein von der Künstlerin selbst geprägter Begriff zur Beschreibung ihrer künstlerischen Strategie im Sinne eines partizipatorischen Konzepts, bei dem das Publikum weniger als nicht quantifizierbares Gegenüber denn als Summe handelnder Individuen begriffen wird: als Akteur:innen, die die langfristige Entwicklung der jeweiligen Projekte mit steuern.
        Exemplarisch sichtbar wird diese Verbindung aus künstlerischem Werk und aktivierender Auseinandersetzung mit dem Stadtraum in Holubs Projekt We Parapom!, das sie für das Programm der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 konzipiert hat. In einer Achse quer durch die Stadt, über Grundstücksgrenzen hinweg, werden an die 2.000 Bäume gepflanzt, die verschiedene europäische Apfelsorten tragen. Die »Parade der Apfelbäume« kartiert den Stadtraum von Chemnitz neu und macht die sozialen und historischen Prägungen der verschiedenen Stadtteile erlebbar, adressiert aber auch aktuelle Themen wie Migration, Arbeit und Ökologie. Anwohner:innen sind eingeladen, Patenschaften für die Pflege der Bäume zu übernehmen, um letztlich gemeinsam einen Raum des Urbanen im Sinne Lefebvres entstehen zu lassen. Dabei geht es auch um die Rolle der Kunst, verloren gegangene Qualitäten des Gemeinschaftlichen zu reaktivieren und in gesellschaftliche Prozesse einzubinden. Bis 2025 werden weitere Kunstprojekte anlässlich der Baumpflanzung in einer neu adaptierten Fabrikhalle stattfinden, zudem sind parallele Aktionen in Usti nad Labem geplant, der tschechischen Partnerstadt von Chemnitz.
        Die von Başak Şenova herausgegebene Publikation stellt die miteinander verflochtenen Facetten von Barbara Holubs stets vom Raum ausgehender Praxis vor, von stark auf das urbane Umfeld und Stadtplanung bezogenen Werken bis zu performativ angelegten Aktionen in ruralen Gebieten. In fünf Kapiteln werden Aspekte dieses gleichermaßen zurückgenommenen wie beharrenden Aktivismus herausgearbeitet – das politische Engagement, die spekulative Fiktion, das Dialogische, die Stimme als Instrument der Ermächtigung und das Einfordern dessen, was fehlt. Eine thematisch gruppierte, bewusst nicht-lineare Auswahl an international realisierten Werken, Aktionen und Projekten entfaltet ein breites Spektrum dessen, was engagiertes Arbeiten im Bereich des Öffentlichen bedeuten kann.
        Andreas Spiegl arbeitet in seinem Beitrag die Stille, die im stillen Aktivismus zum Ausdruck kommt, als einen Modus 
der Artikulation jener heraus, die nicht gehört werden und denen niemand zuhört, wenn sie ihre Wünsche zu äußern suchen: eine verdinglichte Stille, die das Sprechen als Schweigen materialisiert. Holub reagiert auf dieses beredte Schweigen der in den suburbanen Peripherien Lebenden, der sozial und ökonomisch Marginalisierten oder der von Migrations- und Fluchterfahrung Geprägten mit einer Praxis des Zuhörens und Schaffens von Situationen, die dazu einladen, die eigene Stimme in die Öffentlichkeit einzubringen. Werke wie Favorit, eine Bühne im 10. Wiener Gemeindebezirk, realisiert mit dem transdisziplinären Kollektiv transparadiso, schaffen eine solche Arena des Öffentlichen. Dem Transformationsprozess des Quartiers stellt sie einen Artikulationsraum für jene entgegen, die ursprünglich dort beheimatet waren – als offene Situation, die zur individuellen Aneignung einlädt, und das Prinzip des Öffentlichen redefiniert.
        Tatsächlich sind die meisten im Buch vorgestellten Projekte Werke im Sinne einer progressiven public art – einer Kunst im öffentlichen Interesse, die immer auch eine Kunst des Öffentlichen ist, dieses einfordert und neu aushandelt. Eine solche künstlerische Praxis verschiebt den Fokus von der Produktion hin zur Rezeption. Die klassische Spaltung zwischen Künstler:in und Publikum löst sich auf zugunsten eines Angebots, das sich aus der Gemeinschaft der Vielen entwickelt.
        In Barbara Holubs Fokus stehen häufig ›mindere‹ Orte, die in Vergessenheit geraten sind oder einen Transformationsprozess durchlaufen, ebenso wie Grenzlandschaften. So hat sie die Verwandlung von Aspern zur Seestadt im Wiener Nordosten mit verschiedenen performativen Gesten und Aktionen begleitet. ›Stadtrandspaziergänge‹ erkundeten 2010 das Areal und loteten Qualitäten und Potenziale aus, die im offiziellen Masterplan nicht auftauchten. Plakatwände auf Basis 
von Fotos der Bewohner:innen präsentierten Zwischenräume abseits der (geplanten) Bebauung als Orte für unplanbare Wünsche und Bedürfnisse. Vorübergehend ersetzten sie die offizielle Image-Kampagne des Developers – eine spekulative Fiktion, die später zu einem vom ORF ausgestrahlten Hörstück wurde und schon jetzt ein Stück Oral History über einen entschwundenen Möglichkeitsraum darstellt.
        Welche Rolle kann Kunst in und für die Gesellschaft spielen? Welche Resonanzräume kann sie für urbane Fragen bieten, welche Artikulationsräume für Marginalisierte? Wo die Politik Fragen der Stadtplanung, der Inklusion, des Sozialen insgesamt gerne an die Kunst delegiert und progressive Kunst als Äquivalent progressiver Politik für sich zu vereinnahmen sucht, ist der stille Aktivismus mit seinem Beharren auf dem Öffnen von Räumen und Situationen vielleicht die ausdauerndere Antwort als der offene Aktionismus. Oder, wie die Künstlerin es im Gespräch mit Başak Şenova formuliert: »Ich möchte mit meinen Arbeiten Systeme, Überzeugungen und Normen hinterfragen und unterlaufen, Denk- und Handlungsräume ausweiten, Visionen fördern, die über das angeblich Machbare hinausgehen; Verborgenes – verborgene Potenziale – zum Vorschein bringen, dem schwierig Erscheinenden, von den herrschenden Machtstrukturen nicht Akzeptierten, Raum geben.«


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