Jens Kastner


Angesichts der Begegnung mit einem Gemälde des Künstlers Karel Appel bemerkte der Philosoph Jean-François Lyotard einst »angezogen und irritiert« über sich, »dass ich machtlos war.« (zit. n. Danko, S. 115) Eine solch schwülstig übertriebene Feststellung kann wohl nur ein Intellektueller treffen, und das selbstredend in Verkennung seiner tatsächlichen Lage. Man könnte sie auch als typisches Beispiel für eine Überhöhung der Kunst im Schaffen eines Kulturtheoretikers lesen. In der Studie von Dagmar Danko sind allerdings keineswegs nur Anekdoten wie diese versammelt. Die Studie versteht sich – zu Recht – als »Beitrag zu einer Revitalisierung der Kunstsoziologie im deutschsprachigen Raum« (19) und geht dementsprechend systematisch vor. Sie grenzt das Feld ihrer Untersuchung plausibel auf sieben Theoretiker ein, die einerseits allgemein soziale Produktions- und Rezeptionsweisen kultureller Artefakte behandeln und andererseits speziell ein explizites Interesse für zeitgenössische Kunst aufgebracht haben: Michel Foucault fällt daher raus, da er sich zwar ausführlich mit Diego Velázquez und Edouard Manet, aber kaum mit Kunstproduktion seit Marcel Duchamp beschäftigt hat. Es bleiben: Pierre Bourdieu, Jürgen Habermas, Jean-François Lyotard, Gilles Deleuze, Jacques Derrida, Niklas Luhmann und Jean Baudrillard.
Kunst nahm und nimmt in den Theorien der genannten Autoren einen jeweils sehr unterschiedlichen Stellenwert ein: Während die Sozialtheoretiker Bourdieu, Habermas und Luhmann sie als gesellschaftlichen Teilbereich in ihren über diesen hinausgehenden oder nicht stattfindenden Effekten analysieren und dementsprechend einzelnen KünstlerInnen wenig Aufmerksamkeit schenken, wird die Kunst in den poststrukturalistischen Ansätzen eher in die kaum abgrenzbaren, ereignishaften Prozesse zwischen Denken und Affekt eingeschrieben. Das bedeutet aber nicht, dass die Grenze hinsichtlich der normativen Ansprüche an die Kunst zwischen Poststrukturalismus auf der einen und Sozialstruktur-System-Denken auf der anderen Seite verläuft. Der deleuzianische Anspruch an die Kunst, das Unsichtbare sichtbar zu machen, ließe sich durchaus mit Bourdieus Forderung verkoppeln, Kunst solle die Formen »der symbolischen Dominanz« (zit. n. 47) innerhalb eines sozialen Raumes angreifen.
Danko gruppiert allerdings anders und liest Habermas und Bourdieu unter der Überschrift »Kunst und Kritik«, Lyotard, Deleuze und Derrida unter »Kunst und Darstellung« und Luhmann und Baudrillard unter den Stichworten »Kunst und System«. Auch diese Zusammenstellung funktioniert, und die Autorin überzeugt durch ihre informierten Überleitungen ebenso wie durch detailgenaue Lektüre und Besprechung jener Texte, die im Mainstream der Rezeptionen all dieser Theoretiker eher ein Schattendasein führen. Danko geht nicht nur den Rollen und Bedeutungen nach, die Produktion, Rezeption und Vermittlung von Kunst – »die großen Themen einer Kunstsoziologie« (257) – im jeweiligen Theoriekontext zukommen. Sie durchquert auch die Ansätze und setzt sie zueinander in Beziehung. Wie die Poststrukturalisten betone beispielsweise auch Luhmann, Kunst folge »nicht mehr dem klassischen Prinzip der traditionellen Repräsentation.« (205) Dennoch sei sie für Luhmann eine Art »Kompaktkommunikation« (197), was eher dem Haber-mas´schen Wunsch an die Kunst als potenzielle kommunikative »Vermittlerin zwischen System und Lebenswelt« (76) näher kommt als Derridas Idee der Kunst als »das Andere der Sprache« (186). Gekonnt hantiert die Autorin auch in der Behandlung der künstlerischen Arbeiten selbst. Hier stellt sie u. a. fest, dass sämtliche Theoretiker eher Beispiele aus Malerei, Grafik und Zeichnung rezipieren und weniger auf performative, installative und Medienkunst – zu ergänzen wäre etwa aktivistische – eingehen und damit der aktuellen Kunstproduktion etwas »hinterherhinken« (265).
Danko tastet alle besprochenen Theorie-Ansätze auf innere Widersprüche, Inkonsistenzen in ihrem Kunstbezug und auf argumentative Schwächen hin ab. Am wenigsten auszusetzen hat sie erstaunlicher Weise allerdings an jenem Theoretiker, dessen sozialtheoretisch irrwitzige Behauptung, die Kunst – und bekanntlich nicht nur die – sei in der »Hyperrealität« der Gegenwart »verschwunden« (238), sie unwidersprochen hinnimmt: Baudrillard. Anhand der Auseinandersetzung mit dessen Thesen versteigt sich die sonst so bodenhaftig argumentierende Autorin sogar selbst zu windigen Behauptungen wie jener, Baudrillard bringe mit seiner »subversive(n) Form der Theorie (...) nicht nur die Realität zum Verschwinden, sondern auch die Geschichte, die Politik, die Kritik und schließlich – die Kunst.« (234) Gegen das Konstatieren solch wirkmächtiger sozialer Magie nimmt sich der bescheidene Anspruch der elften Feuerbach-These, die Welt nicht nur interpretieren, sondern auch verändern zu wollen, natürlich geradezu kleingeistig aus.
Zwischen Überhöhung und Kritik schließlich schwankten alle Autoren hinsichtlich ihrer kunsttheoretischen Betrachtungen, resümiert Danko, erstens im Hinblick auf das schwierige Verhältnis von Autonomie der Kunst und ihren normativen Ansprüchen, d. h. den mit der Kunst verbundenen gesellschaftspolitischen Hoffnungen. Bezogen auf Luhmann und Baudrillard ist das allerdings ein Fazit, das angesichts des zuvor Geschilderten unerwartet kommt. Der Anspruch auf Kritik war bei Luhmann zugunsten der Beobachtung zurückgewiesen und von Baudrillard etwa bezogen auf die Dominanz des Marktes als »alte bürgerliche und nostalgische Leier« (zit. n. 251) verhöhnt worden – wie Danko selbst herausstellt. Zweitens betreffe jenes Schwanken auch den »Umgang mit dem Künstler« (265), der mal als Visionär und Revolutionär, dann wieder als auf privilegierten Anerkennungsmaßnahmen gebettetes Individuum beschrieben werde.
Diese Ambivalenz trifft sicherlich auch auf die Haltung Bourdieus zu. Allerdings hat sie auch niemand so triftig beschrieben und analysiert wie er. Diese Objektivierung von KünstlerInnen und Intellektuellen allerdings interpretiert Danko mit der Bourdieu-Kritikerin Nathalie Heinich als eine Selbst-identifizierung des Soziologen mit der »Figur des am Rande der Gesellschaft tätigen Künstlers« (53). Abgesehen davon, dass Bourdieu die KünstlerInnen keineswegs am Rande der Gesellschaft, sondern als »beherrschte Herrschende« in den oberen Segmenten des sozialen Raums verortet hat, verkennt diese subjektivistische Unterstellung auch den theoretischen Versuch, die Reflektion der eigenen Involviertheit zum Ausgangspunkt der Kritik zu machen.
Auch an anderen Stellen lässt Danko ein sehr distanziertes Verhältnis zur Kritik durchblicken. Weil sich etwa die definitorische und legitimierende Macht des Museums oder des Marktes als notwendige Bedingungen für Kunst erwiesen hätten, müsse eine »kritische Einstellung« Markt und Museum gegenüber »zumindest überdacht werden« (165). Diese Schlussfolgerung ist keineswegs zwingend. Ihr entsprechend aber scheint Danko am Ende ihres Buches alles vergessen zu haben, was sie am Anfang von Bourdieu rezipiert hatte: In ihrem Fazit – »Die Pluralität der Theorie, die Pluralität der Kunst – alles ist möglich« (275) – ist von der Reproduktion und »Legitimierung von Herrschaft« (34) durch Kunst jedenfalls keine Rede mehr.


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