Vanessa Müller


Das österreichische Unternehmen Würth ist Spezialist im Handel mit Montage- und Befestigungsmaterial. Seine Produktpalette umfasst Schrauben, Schraubenzubehör und Dübel, Werkzeuge, chemisch-technische Produkte sowie Arbeitsschutz. Zu den Kund*innen zählen Handwerks- und Industriebetriebe. Seit 1984 produziert Würth zudem jedes Jahr einen Wandkalender mit Aufnahmen lasziv posierender Topmodels im Bikini. Die Bewerbung von Baubedarf mit Pin-Up-Klischees scheint aus der Zeit gefallen, doch die Popularität des Kalenders spricht für sich. Die Auflage beträgt mittlerweile fast 800.000 Exemplare, verschickt werden die Bikini-Beautys an Kund*innen aus mehr als sechzig Ländern.
       In ihrem Video As Years Go By (2022) montiert Monica Bonvicini fragmentarische Blicke auf die halbnackten weiblichen Körper und Auszüge aus der Produktpalette des Würth-Katalogs. Der Titel ihrer Ausstellung, die eher eine umfangreiche installative Intervention in das Kunsthaus Graz als eine klassische Werkschau ist, passt zu dieser Bestandsaufnahme misogyner Marketingstrategien: I don’t like you very much. Doch ist die Ausstellung mehr als ein feministischer Blick auf die Männerdomäne Baustelle. Bonvicini interessiert sich seit langem für den gebauten Raum als Sphäre des Sozialen und die ihm impliziten Geschlechterrollen, für die Übergänge zwischen öffentlichem und privatem Raum, wie physischer Raum zu einem psychischen wird und welche Mechanismen unser Verhalten in bestimmten Umgebungen steuern. Architektur als Feld, das vorgeblich auf die Bedürfnisse zukünftiger Bewohner*innen reagiert, tatsächlich aber diese Bedürfnisse meist selbst a priori standardisiert, wird von ihr exemplarisch reflektiert. Auch die Prägung urbaner wie suburbaner Strukturen von politisch-ideologischen und geschlechtspolitischen Überzeugungen findet in Bonvicinis Skulpturen, Videos und Fotoarbeiten Ausdruck.
       Zentrales Werk der Ausstellung in Graz ist ein in drei Teile zerlegter Holzbau, der in originaler Größe die Konstruktion eine jener Doppelhaushälften reproduziert, wie sie in der Lombardei häufig zu finden sind. Vierzig Fotografien solcher ›Italian Homes‹ aus den späten 1960ern – stets der gleiche Typus – sind ebenfalls Teil der Schau. Die schlichten, zweigeschossigen Häuser mit Satteldach waren für die prototypische Familienkonstellation der damaligen Zeit konzipiert. Ursprünglich idente Bauten, zielten diese in den Jahren ihrer Errichtung darauf ab, homogenen sozialen Gruppen gleiche Wohnbedingungen zu bieten. Heute spiegeln die Häuser in ihrer individuellen Gestaltung – unterschiedliche Farben prägen die beiden Hälften der Fassade, Balkone variieren, Fenster sind anders geordnet – die ökonomischen und demographischen Veränderungen innerhalb jener suburbanen Gemeinden, für die sie entstanden. Die uneinheitliche Ästhetik, oft ein kurioses Nebeneinander von Elementen aus dem Baumarkt, stellt dem modernistischen Wunsch nach Standardisierung und Homogenisierung einen individualistischen Impetus entgegen, der in seinem Streben nach Abgrenzung fast wie ein Ausdruck gestörter Nachbarschaft anmutet.
       Die Holzkonstruktion (As Walls Keep Shifting, 2019–2022), die diesen Bautypus dreidimensional nachformt, wirkt imposant, in ihrer teilweise gekippten Platzierung im Raum aber auch wie kollabiert. Tiefe Tonfrequenzen, die durch die Halle dröhnen, senden irritierende Geräusche aus, die das Unheimliche des wandlosen Eigenheim­skeletts betonen. Die Architektur des Kunsthauses in ihrer alienhaften Anmutung nimmt diese Atmosphäre auf und projiziert sie zurück auf das, was in ihre biomorphe Form interveniert: Alles wirkt seltsam deplatziert, irgendwie schlecht ausgeleuchtet und in seiner Rechtwinkligkeit von den Aussichtstrichtern, den ›Nozzles‹, durchkreuzt. Der Titel des Werkes ist dem Buch House of Leaves von Mark Z. Danielewski entlehnt, einer aus mehreren Perspektiven erzählten (Horror-)Geschichte über eine Familie, die ein scheinbar ideales Haus auf dem Land errichtet, in dem aber bald wie aus dem Nichts eine neue Kammer erscheint. Auch ist es innen wenige Millimeter größer als außen. An einer Außenwand öffnet sich ein Korridor, der vom Garten aus gesehen nicht existiert, von innen aber in ein lichtloses Labyrinth mit sich immer wieder verschiebenden Räumen führt. So wie das Buch für die verschiedenen Erzählstimmen verschiedene Schrift­typen verwendet und der Text in seiner graphischen Erscheinung kippt oder gespiegelt wird, auf dem Kopf steht oder quer über die Seite läuft, bleibt auch Bonvicinis hölzerne Doppelhaushälfte in ihrer Raumsequenz kaum lesbar. In der Holzstruktur selbst ist eine leicht erhöhte, begehbare Ebene – Wohnzimmer oder Garage? – mit bedrucktem Teppichboden ausgelegt. Abbildungen ausgezogener Jeans sind da zu sehen, sie liegen auf flauschiges Bild gewordenen Steinfliesen, Laminat, auf Orientteppichen oder Veloursteppich und signalisieren: Die Bewohner*innen sind daheim und haben sich ihrer Arbeitskleidung entledigt. An der Wand hängt ein skulpturaler Abguss eines Besens, und an einem Balken eine der Schönheiten im Bikini aus dem Würth-Kalender. Mit diesen ist auch die Unterseite der Treppe tapeziert, untermalt vom Sound einer Baustelle. Wo sind wir hier gelandet? Wohnt hier überhaupt schon wer oder haben die Bauarbeiter das Haus okkupiert?
       Beamen wir uns zurück zum Anfang der Ausstellung. Ein Video auf einem großen Flatscreen am Eingang der Halle lässt uns eintauchen in psychedelische Farben, während der begleitende, leichtdystopisch anmutende Sound durch den Raum flutet. Der Titel des Werks, I See a White Building, Pink and Blue, ist einer Erzählung des Neurologen Oliver Sacks über eine Frau mit Halluzinationen entlehnt. Tatsächlich sind es vor allem die Verschiebung der Wahrnehmung und das ostentativ inszenierte Klischee arbeitender Männer und deren attraktiver Traumfrauen, die Bonvicini hart gegen das biomorphe, vorgeblich fluide Gebäude des Kunsthaus Graz schneidet. Die dem italienischen Doppelhaus eingeschriebene, spätmodernistische Idee eines gemeinsamen sozialen Standards, der seine topographische Zementierung von Geschlechterrollen zu gerne übersieht, stellt der Architektur von Peter Cook und Colin Fournier eine formal inszenierte Fremdheit gegenüber, die statische Kategorisierungen aufzu­lösen verspricht. Letztlich, und das macht Bonvicinis aus der Achse gekipptes Atmosphärenbild in seiner fast spröden Insistenz deutlich, fügt sie diesen jedoch auch nur eine weitere Erzählung falscher Versprechen hinzu.


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