» Texte / Eine Geschichte aus dem Bereich des Lehnstuhls

Jonas Marosi


»Setzen Sie sich doch«, so war die Aufforderung der inzwischen bekannten unbekannten Stimme gewesen. (Die Stimme klang einladend und vertraulich.)
Draußen war es bereits Abend geworden und es sprach nichts dagegen der freundlichen Aufforderung zu folgen, sich ein gutes Glas Whiskey einzuschenken und das Gesäß dem Wohnzimmerstuhl anzuvertrauen. (Die fremde Stimme, die wie immer aus dem Nirgendwo zu kommen schien, sprach sogar dafür.)
Gegen ein Stück der Erholung, einen kurzen Stillstand, sei niemals etwas einzuwenden. Für einen kurzen Augenblick verweilen. Die Gedanken fallen lassen. Der Tag war lang gewesen und nun sei es an der Zeit den Abend zu begrüßen. Der Lehnstuhl war der Ort, wo es die Möglichkeit gab, dem beständigem Zeitfluss den Rücken zu kehren ein Ort, wo die beständige Gegenwart für eine geraume Weile lang unterbrochen werden konnte.
...
Die eigene Person lässt sich in die schwere Trägheit des Lehnstuhls sinken. (der Sessel, die inverse Verlängerung des Rückrats; ein Instrument zur Beschwörung von Müßiggang ?)
Beschreibung des Lehnstuhls: Ein ausgedehnter Ohrensessel. Fester Stoff, in dunklen Braun und Grün gehalten. Ein Staubfänger. Eigentlich ein hässliches Stück – allerdings ein Ort, der sich wegen seiner Schrulligkeit außerhalb der Zeit zu befinden schien
»Und Jetzt?«, die Stimme klingt ungeduldig.
Zuerst schließe man die Augen, gefolgt von den Ohren. Die Hände falte man sorgfältig über den Schoß (unter anderem um die Scham zu bedecken, aber auch um sie aneinander zu binden). Auf die Nase setze man eine Klammer und die Zunge lähme man mit einem Schluck bitterem Whiskey. Gut so. Die eigene Person ist nun nach außen hin verschlossen. (Sie fühlt nichts, spürt nichts, schmeckt nichts, riecht nichts, hört nichts, sieht nichts.) Sie befindet sich eingeschlossen in einem abgeschlossenem Zeitraum
... »Wollen sie die Vergangenheit, oder die Zukunft bereisen?«, die fremde Stimme hatte sich nicht verbannen lassen. Diesmal allerdings klang sie harmlos wie eine gute Fee.
Nach kurzer Bedenkzeit beschließt man sich für die Zukunft zu entscheiden. Die Vergangenheit sei etwas, das einen ohnehin allzu oft ungewollt einhole. Von der Zukunft hingegen, wenn auch manchesmal ein wenig aufwendig, kann man nie genug kriegen. (allerdings kann man auch nie sagen, was sie bringt)
Kurze Beschreibung der Zukunft: Vage und düster wie der Lehnstuhl (und dann doch) erwartungsvoll.
...
»Lehnen sie sich zurück und schließen Sie die Augen. (eine unnötige Aufforderung, die einem an der ehrlichen Anteilnahme der Stimme zweifeln lässt). es ist an der Zeit das Jetzt zu verlassen, Sie müssen dazu sämtliche Gegenwärtigkeiten aus dem Kopf herausquetschen. Versuchen Sie an nichts zu Denken. (Aber vermeiden Sie unter allen Umständen ans Nichts zu denken.) Denken Sie an einen Ort, an dem Sie sich wohl fühlen. Stellen Sie sich vor Sie wären nicht hier sondern dort. Vermeiden Sie während der Reise tunlichst das Drücken von sämtlichen Knöpfen, oder gar das Heben und Senken von Hebeln. Ein wenig Grün kann nicht schaden. Halten Sie Ausschau nach verborgenen Bonuswelten. Verhalten Sie sich nicht zu üppig und geben Sie die Fernbedienung nicht aus der Hand.«
Beschreibung der Situation: Die eigene Person ruht im Lehnstuhl, während ein Teil von ihr, sich auf Wanderschaft begibt. Sorgfältig lässt sich beobachten wie die Aufmerksamkeit sich verteilt und die Gedanken sich entfernen. Zeit scheint aufgehoben und das Innere scheint nach Außen gekehrt...
(es roch nach Klebstoff.)
dann roch es nach Klebstoff.
Wo befinde ich mich da? Welche Dinge umgeben mich? Wo befinden sich hier die Möglichkeiten?


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