Philipp Brugner


»Sind es Entwicklungen oder bereits Transformationen, die wir heute in den europäischen Städten beobachten können?« steht als Eingangsfrage am Anfang des Buches Gewinnen, Verlieren, Transformieren — Die europäischen Stadtregionen in Bewegung. Ausgehend davon, dass Entwicklungen nur als Veränderungen relativ stabiler Verhältnisse, Transformationen dagegen als Reaktion auf sich gravierend wandelnde Kontexte zu verstehen sind, hätten wir es — so die Herausgeber — mit einer Transformation der europäischen Städte zu tun.
Die europäischen Städte transformieren sich also und haben mit völlig anderen ökonomischen, sozialen und politischen Kontexten zu tun. Geschuldet ist dies dem jüngsten Globalisierungsschub. Zum Verständnis der Ist-Situation bedarf es naturgemäß aber auch einer Erklärung vorangegangener Prozesse. Mit einem historischen Abriss der Urbanisierung und Industrialisierung der europäischen Städte im 19. Jahrhundert liefert das Buch die notwendige Faktengrundlage, ohne die viele der aktuellen Entwicklungen (oder besser: Transformationen) nicht zu verstehen wären. Das Buch tritt sodann an, europäische Stadtregionen zu beschreiben, ist im Endeffekt aber doch sehr Deutschland- und Großbritannien-lastig.
Nach einem Einführungskapitel, in dem zentrale Begriffe der aktuellen Stadt- und Metropolenforschung wie »Metropolisierung«, »Standortwettbewerb«, »Global city« oder »Standortmuster« erläutert werden, hantelt man sich von Thema zu Thema. So wird nach der Wissensökonomie im heutigen Städtesystem, dem Begriff der »Regierbarkeit« der Stadt (Stichwort: governance) oder der »solidarischen Metropole« gefragt. Aufgrund des Mangels an europäischen global cities (mit London als einziger Ausnahme), könnten einzelne europäische Metropolregionen z. B. als »globale europäische Stadt« auftreten, wie es Ulf Hahne und Jürgen Aring beschreiben. Längst dürfe auch Stadtpolitik in ihrem baulich-räumlichen Niederschlag nicht mehr vor dem Hintergrund des fordistischen Sozialstaates wahrgenommen werden, sondern müsse auf die großen gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit reagieren. »Kommt der Rolle des Wohnens in Zeiten des Rückgangs der Wohnungsbewirtschaftung eine neue strategische Rolle zu?«, wird da weiterführend gefragt. Die Ausgabe dérive 46 zum Wiener Wohnbau beschäftigte sich erst kürzlich damit.
Stabilität gilt im Buch als wichtiger Parameter einer positiven Stadtentwicklung. Bei Klaus Brake wird sie als ambivalente Erscheinung der Wissensökonomie behandelt. Das kreative Milieu (und damit die creative industries als Teil der Wertschöpfungskette) braucht bestimmte Voraussetzungen, um sich entfalten zu können. So z. B. örtliche, lokale gebundene Ressourcen wie Wissen, Menschen und Treffpunkte. Was dann entsteht, bezeichnet Brake als »Labore«: städtische Umfelder, in denen sich Ideen und der Austausch noch nicht kodifizierten, d. h. industriell bereits vereinnahmten Wissens, verdichten. Diese Verdichtung schafft einen Kreislauf lokal gebundener Produktion und Reproduktion von (Wissens-)Gütern. Und damit, so Brake, wäre ein solcher Standort Momenten des (makroökonomischen) Strukturwandels weniger stark ausgesetzt. Der Standort wirkt nach außen stabil. Andererseits bringen diese kreativen, wissensintensiven Standorte auch ein konfliktreiches Problem mit sich, bestens bekannt als Gentrifizierung. Kreative Milieus polarisieren durch ihre »Exklusivität«, indem sie ganz bestimmte AkteurInnen ansprechen, andere dafür ausgrenzen. Die Innenperspektive dieser Milieus wirkt — im Gegensatz zur Außenperspektive — instabil.
In die Aufmerksamkeit der LeserInnen rückt auch der Begriff der governance. Zu Recht, kann der rezente Wandel innerhalb der Stadtpolitik damit doch gut veranschaulicht werden. Städte, so der Tenor, lassen sich nämlich nicht mehr stur top-down regieren. Vielmehr muss man neuartige Formen des gemeinsamen Regierens verschiedener AkteurInnen unterschiedlicher (Hierarchie-)Stufen des stadtpolitischen Prozesses finden. city governance kann als diffuses Netzwerk, an dem staatliche und nicht-staatliche, politische und nicht-politische oder auch kommerzielle und nicht-kommerzielle AkteurInnen beteiligt sind, beschrieben werden. Sie alle partizipieren am großen Projekt Stadt-(entwicklungs-)politik und sind — die einen mehr, die anderen weniger — handlungsausführend. Das ist weder richtig top-down noch wirklich bottom-up, vielleicht könnte man es als »sidewise-crosswise« betrachten. Rolf Prigge weist in seinem Beitrag zur Steuerung großstädtischer Entwicklung und Politik auf ein häufiges Problem dabei hin: Das Mehrebenensystem, die Pluralität der AkteurInnen, unklare Handlungskompetenzen und kaum linear durchführbare Entscheidungsprozesse können zum Zustand der Lähmung der Großstädtepolitiken führen. Städte stecken im sogenannten »Steuerungsdilemma«.
Auch im abschließenden Kapitel zu den Perspektiven europäischer Stadtregionen geht es um die Frage nach der Regierbarkeit der Stadt. Womöglich ist es ein drohender Fingerzeig für die Zukunft, dass das Buch vor allem aus normativen Handlungsanleitungen, wie die europäischen Städte sich entwickeln sollten (und noch nicht wirklich getan haben), besteht. Oder aber man vergisst nicht auf die Welt als Ganzes und relativiert — denn es sind ja nicht nur die europäischen Städte, die transformieren.


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