» Texte / Flüchtlingseinsatz im Überflutungsgebiet

Ljubomir Bratić

Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.


Egal, ob StaatsbürgerInnen oder Clandestine, ob »Wir« oder »Ihr«, wir bestehen, nach Deleuze, aus den in Räumen konzentrierten Linien, die sich nach den Prinzipien des Zufallsgenerators (als der der Staat fungiert) immer verdichten und verflüchtigen. Die Beschaffenheit unserer Gruppe oder von uns als Individuen ist eine, die sich in diesen Bewegungen reproduziert. Immer nur Adverbien und kaum Substantive. Eine erste Sorte sind die Räume der konzentrierten Segmentarität: StaatsbürgerInnen – MigrantInnen, Dorf – Stadt, Straße – Landschaft, Ghettos – durchmischte Wohngebiete. Und bei jedem Wechsel von einem Raum zum nächsten werden diese Linien bestärkt. Jetzt bist du in der Fremde, die Fremden überfluten uns, die Urbanität der Stadt ist etwas anderes als eine Dorfgemeinschaft, wo - was für ein Witz - die gegenseitige Überwachung der Menschen viel größer sein soll, die Straßen sind notwendig, die Landschaften sollen schön sein, die Ghettos gefährlich, die durchmischten Wohngebiete schaffen leichtere Kontrolle und weniger Kriminalität... Kurzum säuberlich gegliederte, im Raum aufgeschriebene Verhaltenscodices, die zu befolgen sind, die uns dort hineinschmeißen, wo wir angeblich hingehören sollten und schmerzhafte Wunden hinterlassen. Das Ockham’sche Messer der hierarchisierenden Funktionalität. Diese Sorte und Ebene bewohnen die Apparate der Macht. Die Parteien, Interessenvertretungen, Konzerne, Firmen, Handelsketten, Einkaufszentren, nur um einige zu erwähnen, sind ständig damit beschäftigt, ihre Machtpotentiale auf diese Regulative aufzubauen. Nun aber besitzen wir gleichsam unseren Alltag, der niemals vollständig institutionalisierbar und integrierbar ist. Diese flexibleren Räume dienen auch dazu, dass die Bedürfnisse und Wünsche die Überhand über die Objekte, die Waren und das Geld erlangen und die Aneignung der Räume individualisieren. Lefèbvre nannte das Stil. Auch diese Rauminstallationen sind nicht unsere intime Wirklichkeitsbrille, auch sie durchziehen die Gruppen und Gesellschaften. Doch ihrer können sich die Datenträger der Funktionalität nicht bemächtigen. Nehmen wir als Beispiel die Überflutungen in Österreich. Während die Caritas und das österreichische Innenministerium sich der in ihren Flüchtlingslagern untergebrachten Menschen bedienten, um in die Schlagzeilen der Kronen Zeitung zu kommen und ihre Spendenaktionen auf die wirksamste Funktionalität zu fokussieren, organisieren sich die Menschen im Integrationshaus selber - auch da durch die Fernsehbilder angeregt - und gehen gemeinsam in die Überflutungsgebiete, um dort anderen Menschen zu helfen. Ohne Pathos der dauerhaften Segmentarität der Finanzangelegenheiten sind die Menschen auf das angewiesen, was sie immer taten, auf den Stil, wie sie den - in diesem Fall öffentlichen - Raum Überflutungsgebiet auffüllen. Der Bemächtigung der Flüchtlinge durch die Caritas (das Innenministerium und Menschen aus dem Lager Traiskirchen lasse ich außerhalb dieser Betrachtungen) wird in einem anderen Fall die Bemächtigung der Flüchtlinge von Hilfemöglichkeit, dorthin wo sie persönlich, freiwillig ihre Veränderungspotenziale einsetzen, entgegengesetzt. Hier zeichnen sich kleine Veränderungen ab. Die Scheinwerfer sind anders gerichtet. Der Eigennutz der Caritas, derjenigen Organisation, die demnächst einer der Verwalter der gesamten durch die FPÖVP privatisierten Flüchtlingsbetreuung in Österreich sein wird, lässt erahnen, dass die Menschen demnächst zu einem dauerhaften Arbeitseinsatz gezwungen werden, nur um die Barmherzigkeit der Samariter in ihrer Clandestinität zu bezahlen. Der Alltag spielt dabei keine wesentliche Rolle, es sind Funktionalitäten, die das Tun des Dualismus Caritas – AsylwerberInnen bestimmt. Ganz anders im Integrationshaus. Das alltägliche Verständnis der Notwendigkeit einer gemeinsamen Zukunft, einer Weltbürgerschaft für alle, einer Gleichberechtigung lockt die Reserven der mitmenschlichen Ressourcen der Hilfslieferung in einer Situation, wo Hilfebedürfnis besteht. Die Initiative der Menschen wird von der Institu-tion aufgenommen, vorangetrieben und kanalisiert. Das wesentliche dabei ist der Aspekt der Freiwilligkeit. Wer mitmacht und wer nicht, ist Frage des persönlichen Stils und nicht des institutionellen Zwangs. In beiden Fällen stehen dahinter Institutionen, nur der Ausgangpunkt zur Erfühlung des Raumes ist diametral entgegengesetzt. Während im Fall von Caritas und Innenministerium eine konzentrierte Segmentarität zwischen die StaatsbürgerInnen einerseits und die AsylwerberInnen anderseits den wesentlichen Motivationsschub leistet, scheint im Integrationshaus eine alltägliche Praxis des den Menschen gewöhnlichen Stils am Werk zu sein. In diesen Räumen des Alltags ereignet sich Vielfältiges. Es ist ein Werden, dessen Rhythmus anders ist als die offiziell nationalstaatlich erzählte Geschichte. Abschließend möchte ich nur darauf hinweisen, dass hier in diesem scheinbar belanglosen Einsatz der geflüchteten Menschen in Überflutungsgebieten in Österreich sich in aller Stille ein Wandel vollzieht. Nahezu unmerklich, mit Unterstützung der großen Institutionen, verzahnt sich da ein neoliberaler mit einem christlichsozialen Diskursstrang in der Flüchtlingsbetreuung: Nicht mehr die Genfer Flüchtlingskonvention bietet hier die Handlungsanweisungen, sondern der Gedanke, dass jedeR im Leben (egal wo und unter welchen Umständen) arbeiten muss. Nicht nur, weil dadurch die Möglichkeit eines besseren Verdienstes besteht, sondern weil in der Arbeit die Bestimmung der Menschen liegt. Dabei ist jeder sein eigener Unternehmer. Auch die AsylwerberInnen, die ihre Zeit innerhalb der in rechtlichem Ausnahmezustand stehenden Lager und Abschiebegefängnisse verbringen müssen, auch sie werden hier als UnternehmerInnen ihrer selbst betrachtet und als solche das erste Mal seit langem in der Öffentlichkeit positiv dargestellt. Die Kronen Zeitung titelte am 21.08.2002 »Auch Flüchtlinge wollen helfen« und im Artikel stand, dass diese Aktion der Caritas eine »willkommene Möglichkeit, Danke schön für die Aufnahme in Österreich zu sagen« wäre. An Österreich, dessen Staatsbedienstete Marcus Omofuma, auch er ein Asylwerber, getötet haben.


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