Hilke Berger


Die Forderung nach gesellschaftlicher Teilhabe bei städtischen Planungsprozessen wird angesichts des rasanten Wachstums und der immer schnelleren Veränderung des urbanen Lebens sowie diverser katastrophaler Szenarien für die Umwelt immer drängender. Mit welcher Intention – von wem und für wen – Stadt eigentlich ent­wickelt wird und wie eine zukunftsfähige Stadtentwicklung jenseits neoliberaler Dogmen aussehen könnte, sind dabei zentrale Fragen. Die englischsprachige Publikation City Linkage – herausgegeben von Michael Ziehl, Carsten Rabe und Till Haupt, erschienen im Jovis Verlag – diskutiert diese Fragen vor dem Hintergrund der Rolle von Künstlerquartieren und selbstorganisierten kulturellen Projekten. Indem sie die Bedeutung von Selbstorganisation in den Vordergrund stellen und den Fokus darauf richten, was Städte im Innern zusammenhält, schaffen es die unterschiedlichen Autoren und Autorinnen die altbekannten Diskurse zu creative cities und creative class hinter sich zu lassen. Anhand vieler internationaler Beispiele aus unterschiedlichen Kontexten wird sehr konkret gezeigt, welche Projekte es schaffen urbane Transformation zu katalysieren oder auch daran scheitern.
Entwickelt aus dem Kongress Cities, Culture and Sustainability, der im Rahmen des City Link Festivals an der Hafen City Universität Hamburg stattgefunden hat, versammelt die Publikation Positionen von Künstlern, Wissenschaftlerinnen, Aktivisten und Theoretikerinnen. Solchermaßen wird ein Querschnitt diverser Diskurse geliefert, wobei Künstler und Kulturschaffende als Vordenkerinnen und Impulsgeber für alternative Entwürfe des Zusammenlebens betrachtet werden. Sehr geschickt und produktiv wird dabei der Begriff der Resilienz gegen den ausgelutschten und längst vereinnahmten Nachhaltigkeitsdiskurs in Stellung gebracht und am Beispiel künstlerischer Arbeit und deren Selbstorganisation durchdekliniert. Vor allem der Beitrag von Sacha Kagan schafft es sehr gewinnbringend zu zeigen, dass es eine Alternative zu urbaner Entwicklung im Korsett neoliberaler Interessen gibt und wie die Vermarktungslogik der Creative City durch ein Umdenken von Nachhaltigkeit zu kreativer Nachhaltigkeit und damit zu Resilienz positiv gewendet werden kann. Resilienz wird hier als kreativer Prozess verstanden, der sich von dem Kreativitätsdispositiv (Reckwitz 2012) emanzipiert und im Gegenteil wieder neue Möglichkeitsräume öffnet. Kagan geht anhand internationaler Beispiele der Frage nach, wie diese Räume urbaner Teilhabe vor den individuellen stadtpolitischen Hintergründen organisiert sein müssen, um selbstbewusste und selbstorganisierte Formen von Bürgerschaft zu ermöglichen, die ihren Beitrag zur Bewältigung urbaner Krisensituationen durch einen kreativen Umgang mit dem täglichen Leben und nicht durch vermarktbare kreative Produkte leistet.
Eben jene Möglichkeitsräume verbinden auch die teils sehr unterschiedlichen Texte. Sie illustrieren anschaulich, wie Alternativen nicht nur erdacht, sondern im Realversuch auch getestet werden können. Der Prekarisierung durch den Rückzug sozialstaatlicher Verantwortung werden neue Handlungsmöglichkeiten entgegengestellt: So die selbstorganisierte Farm in Hongkong, die Elke Krasny in ihrem Beitrag als Beispiel des Hands-On-Urbanism beschreibt. Oder die alternativen Entwürfe von Architekturkollektiven wie EXYZT, Coloco, ecosistema urbano und raumlabor berlin im Text von Levente Polyák, die von einem Umdenken weg von Manifesten hin zu temporären Lösungen zeugen, um dieserart Potenziale überhaupt erst einmal aufzudecken. Nachgezeichnet wird hier auch eine Veränderung in den planerischen und Stadt gestaltenden Professionen, die bis zu der Finanzkrise 2008 wettkampforientiert im Dienste von Unternehmen und Anlegern und weniger als Gestalterinnen von Räumen agierten, ohne zu hinterfragen und die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen.
Die Gegenwart erfordert neue Kooperationen und Narrative wie Oleg Koefoed an mehreren Beispielen aus Kopenhagen deutlich macht. Dass dieser Ansatz nur dann gelingen kann, wenn sich neue Kommunikationsbeziehungen etablieren, es jedoch nach wie vor an einer entsprechenden Struktur für die Kooperation diverser Stakeholder im Urban Management mangelt, zeigt Michael Ziehl am Beispiel des Gängeviertels in Hamburg. Der Prozess der Hausbesetzung, der hier nicht als eine Verriegelung, sondern sehr geschickt als eine künstlerisch inszenierte Öffnung der ehemals verschlossenen Häuser initiiert wurde, führte dazu, dass die Stadt schon allein aus Imagegründen und durch großen öffentlichen Druck nicht anders konnte als die Aktivistinnen nicht nur zu dulden, sondern gemeinsam einen Nutzungsplan zu erarbeiten. Aber genau diese Frage danach, wie dieses Gemeinsame gestaltet werden muss, um zu funktionieren, ist noch nicht gelöst. Was bisher an fast allen Orten fehlt, ist ein gleichberechtigter kooperativer Prozess und die dafür notwendige Struktur, denn letztlich geht es – und auch das verbindet die diversen Beispiele – um die alte Frage nach Macht und Kontrolle. Wenn wir davon ausgehen, dass Selbst­organisation der Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung ist, bleiben die ungleichen Rahmenbedingungen der Akteurinnen schlussendlich immer problematisch: finanziell gut abgesicherten behördlichen Gesprächspartnern sitzen den zumeist ehrenamtlich engagierten und damit eben auch unbezahlten Kunst- und Kulturschaffenden gegenüber. Selbstorganisation wird so meist zwangsläufig zu Selbstausbeutung und aus Möglichkeiten werden Unmöglichkeiten.
Interessant an der vorliegenden Publikation ist vor allem, dass sich die sehr berechtigte Kritik an der aktuellen Politik hier in Camouflage übt, eher dezent subversiv mitschwingt und nicht dogmatisch die Welt erklärt. Es handelt sich eben nicht um eine rein aktivistisch motivierte Generalkritik, die nur die ohnehin längst überzeugten MitstreiterInnen erreicht hätte. Die große Stärke dieser Publikation liegt in ihrer Unschärfe der Zielgruppe. Sie spiegelt damit Problem und Potenzial der Arbeit an Schnittstellen gleichermaßen wider. Denn zwischen allen Stühlen zu sitzen, ist einerseits anstrengend, andererseits liegt im Dazwischen aber auch eine große Chance: Nur hier können neue ungewohnte Allianzen und alternative Narrative entstehen. Damit diese nachhaltig verankert werden und zu Lebenswirklichkeit werden können, braucht es neue, alternative Aneignungs-, Beteiligungs- und vor allem Vereinbarungskulturen, wie alle Beispiele zeigen. Die häufig von Künstlerinnen und Kulturschaffenden angestifteten Prozesse Möglichkeitsräume aufzudecken, zu halten und zu verteidigen verlangen nach einer Struktur, die der Logik behördlicher Unbeweglichkeit entgegensteht. Aus den diversen bereits erprobten und teils wieder verworfenen Strategien lässt sich daher viel lernen. Dass die Publikation von der Kulturbehörde Hamburg gefördert wurde, ist ein wichtiges und richtiges Signal. Dem Buch ist zu wünschen, dass sich die inhaltliche Diversität auch in der Leserschaft wiederfindet, denn es bietet einen Einblick in zahlreiche Diskurse, die für eine Vielzahl von Akteuren von Bedeutung sind. Besonders zu hoffen ist, dass es auch auf Behördenschreibtischen landet, damit sich auch dort die Überzeugung durchsetzt, dass eine strukturelle Neuausrichtung der Stadtentwicklung im Sinne einer gleichberechtigten Kooperation aller Akteurinnen dringend notwendig ist.


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