Christa Kamleithner

Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.

Herbert Glasauer

Michael Zinganel

Michael Zinganel ist freier Architekturtheoretiker, Künstler und Kurator.

Wolfgang Pircher

annaconda


Ausgewählt und teils mit Kommentaren versehen von annaconda (ac), Herbert Glasauer (hg), Michael Zinganel(mz), Wolfgang Pircher (wp), Christa Kamleithner (ck) und Christoph Laimer (cl). Die Liste erhebt nicht den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit.

Elizabeth Wilson, Begegnung mit der Sphinx. Stadtleben, Chaos und Frauen. Basel: Birkhäuser, 1993
Elizabeth Wilson primäres Interesse in Sphinx in the City ist es, die Repräsentation der Frau in den Diskursen über die Großstadt der Moderne nachzuzeichnen. Sie bietet dabei gleichzeitig eine leicht lesbare Abrechnung mit den positiv aufgeladenen Mythen der bürgerlichen Stadt. Denn in der Konstitution des männlichen bürgerlichen Subjektes ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Frau von den dominanten, durchwegs männlichen Autoren als deren negatives Gegenüber konstruiert, und der Raum der Stadt mit all seinen Verführungen, denen Männer zum Opfer fallen könnten, als weiblich festgeschrieben. Vor allem der nächtliche Raum der Stadt, insbesondere der Vorstadt, wurde zum Angstraum stigmatisiert, dessen Besuch bürgerlichen Frauen daher besser nicht gestattet werden sollte, weil dort verwerfliche Gestalten lauerten, die Frauen der Vorstadt, die sich den öffentliche Raum sehr wohl aneigneten, wurden als Prostituierte denunziert und die Männer als Taschendiebe. Bürgerliche Frauen sollten lieber in den Interieurs der bürgerlichen Wohnungen eingeschlossen bleiben, während ihre Männer heldenhaft den öffentlichen Raum der Großstadt erobern. Mitte des 19. Jahrhundert entstand demnach eine sexualisierte Topografie der Stadt, die sich tatsächlich vielfach bis heute in den Köpfen ihrer Bewohner eingebrannt hat – und auch als Referenz aktueller feministischer Sicherheitsdiskurse nachwirkt. (mz)

Joachim Schlör, Über die Rede von der Unsicherheit und ihre Gefahren. Nachrichten aus vergangenen und gegenwärtigen Großstadtnächten, In: Stadtbauwelt 122, 1994, S.1339-1345
Unsicher fühlen sich die Menschen insbesondere in Zeiten gravierender gesellschaftlicher Umbrüche. Ihre Ängste projizieren sie dabei weniger auf die unsicher ökonomische Zukunft als auf den öffentlichen Raum in den dunklen Abend- und Nachstunden. (hg)
Wenn der Artikel erwähnt wird, soll Joachim Schlörs Buch: Nachts in der großen Stadt. Paris, Berlin, London 1840 bis 1930. München: dtv, 1994, nicht unerwähnt bleiben. (cl)

Heide Berndt, Alfred Lorenzer, Klaus Horn. Architektur als Ideologie. Frankfurt: Suhrkamp, 1975
Dieses Buch steht mehr oder weniger in der Tradition der kritischen Theorie. Ideologiekritik, kritische Gesellschaftsanalyse und die Verdinglichung oder Materialisierung von Herrschaftsstrukturen in Form von Architektur werden hier abgehandelt. Wer vor Psychoanalyse keine Angst hat, findet vielleicht Gefallen an Horn und den anderen. (ac)

Zygmunt Bauman, Flaneure, Spieler und Touristen: Essays zu postmodernen Lebensformen. Hamburg: Hamburger Ed., 1997
Der Soziologe Bauman verweist in diesem Buch u. a. darauf, dass die Angst der Menscheit niemals fremd war, sondern die Projektionen und deren Namen epochal jeweils unterschiedlich ausfallen: Der Russe, der Jude, die gelbe Gefahr, die Ausländer, Bin Laden und die Achse des Bösen. (hg)

Ruth Becker, Riskante Sicherheiten. Von gefährlichen Orten und sicheren Räumen. In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, Heft 4/2000, S. 49-65
In diesem Beitrag arbeitet Ruth Becker sehr detailliert die tatsächlichen Gefährdungen für Frauen und Mädchen und deren jeweilige räumliche Verortung heraus. Zudem kritisiert sie den Mangel politischer Inhalte in der aktuellen Angstraumdebatte, die die Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Konsequenzen einer patriarchalen Gesellschaftsordnung ersetzt hat. (hg)

Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band, Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf einer Theorie der Zivilisation. 18. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1994
Der Beitrag des Kultursoziologen Norbert Elias zur Entschlüsselung des Prozesses der Zivilisation scheint mir für das Verständnis der Veränderung des gesellschaftlichen Blickes auf „Gewalt“ besonders wichtig. Die Verinnerlichung des ehemals äußerlichen Zwanges als intrinsische Motivation der Individuen liefert die psychische Basis dafür, dass wir abweichendes Verhalten als peinlich empfinden, ungebührliches Verhalten und Müll Unsicherheiten erzeugen kann. (hg)

Lenelis Kruse; Carl F. Graumann, Sozialpsychologie des Raumes und der Bewegung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 20: Materialien zur Soziologie des Alltags, 1978, S. 177-219
Die Regeln für das korrekte Verhalten im öffentlichen Raum sind vielfältig und diffizil. Ihre Verinnerlichung sichert die schnelle Beurteilung der Menschen und ihres Verhaltens in der flüchtigen Begegnung wie auch die Vermeidung von Peinlichkeit der eigenen Person. (hg)

Robert D. Putnam, Making Democracy Work: Civic Traditions in Modern Italy. Princeton: Princeton University Press, 1993
In seinen langjährigen Untersuchungen in Italien hat der Soziologe Putnam die Relevanz der Einbettung der Menschen in soziale Netzwerke für das Empfinden sozialer Sicherheit und gegenseitigem Vertrauen herausgearbeitet. (hg)

Renate Ruhne, „Sicherheit“ ist nicht die Abwesenheit von „Unsicherheit“ – Die soziale Konstruktion geschlechtsspezifischer (Un)Sicherheiten im öffentlichen Raum. In: Norbert Gestring, Herbert Glasauer, Christine Hannemann, Werner Petrowsky (Hg.), Jahrbuch StadtRegion 2002, Schwerpunkt: Die sichere Stadt. Opladen: Leske + Budrich, 2003, S. 55-74
Durch die Einführung des Begriffs des Risikos in die Debatte um die Gefährdung der Frauen im öffentlichen Raum erweitert die Autorin den Blick über die niemals völlig auszuschließenden Gefährdungen hinaus auf die darin liegende Chance der Teilnahme der Frauen am öffentlichen Geschehen. (hg)

Nan Ellin (ed.) Architecture of Fear. New York: Princeton Architectural Press, 1997
Darin Dora Epstein, Elizabeth Grosz und andere spannende Leute: In dieser Essaysammlung kommen vor allem postmodern angehauchte TheoretikerInnen zu Wort, die sich mit Geschlechterverhältnissen, Sprache, Architektur, Machtstrukturen und Ideologien auseinandersetzen. (ac)

H. A. Fregier, Des classes dangereuses et la population dans les grandes villes, et des moyens de les rendre meilleures. Paris: 1840 (wp)

Jan Wehrheim, Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. Opladen: Leske + Budrich, 2002
„Die Präsenz von Polizei und Kameras kann jedoch ebenfalls an den überwachten Orten Unsicherheit produzieren. Sowohl dadurch, dass sich die Assoziationskette dahingehend darstellt, dass deren Präsenz nur aufgrund einer realen Gefahr notwendig sei als auch dadurch, dass jemand sich von Repressalien bedorht fühlt. (…) Räumliche Trennung unabhängig von residentieller Segregation und Verlagerung lösen soziale Konflikte nicht nur nicht, möglicherweise werden sie langfristig dadurch sogar verstärkt.“ (cl)

Andrea McArdle, Tanya Erzen, Zero Tolerance – Quality of Life and the New Police Brutality in New York City. New York / London: New York University Press, 2001
Alles über broken windows, quality of life, zero tolerance, Rudy Giuliani etc. (cl)

MA-null – Magazin im offenen und öffentlichen Raum, Schwerpunktheft: Sicherheit, Überwachung, Schauspiel. Wien, 1997
Spannende, aufwändig gestaltete, sorgfältig gemachte Zeitschrift, die es leider nicht mehr gibt bzw. ewig schon nicht mehr erschienen ist – schade. (cl)

Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie 1995, Die sichere Stadt – Prävention und kommunale Sicherheitspolitik. Baden-Baden: Nomos, 1996
Enthält Texte von u. a. Gerhard Hanak und Wolfgang Stangl (siehe Interview weiter vorne im Heft) zu einer früheren Untersuchung zu „Wien – sichere Stadt“. Weiters gibt es Texte zu „bürgernaher Polizei“ und Präventionsmodellen.(cl)

T. C. Boyle, América, Roman. München: dtv ,2001
Großartiger Roman über gated communities, Sicherheitswahn, Rassismus und das Leben von illegalisierten, mexikanischen MigrantInnen in den USA. Von allen hier angeführten Büchern wohl das Einzige, dass man guten Herzens als Sommerlektüre empfehlen kann. (cl)

Barry Glassner, The Culture of Fear. New York: Basic Books, 1999
Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben: Barry Glassners The Culture of Fear ist einer der Bestseller der so genannten fear studies. Auf gut 250 Seiten weist Glassner, der auch einen Auftritt in Michael Moores Bowling for Columbine hatte, nach, Why Americans Are Afraid of the Wrong Things – so der Untertitel des Buches. Eine Medienkampagne nach der anderen wird von Glassner durchleuchtet und auf Fakten überprüft und beinahe jedes Mal gibt es das gleiche Ergebnis: IrgendeinE JournalistIN hat bewusst oder unbewusst eine Statistik falsch interpretiert, einen Einzelfall unzulässigerweise verallgemeinert oder sich von einer LobbyistInnengruppe für deren Sache einspannen lassen und dutzende andere JournalistInnen haben die Story, wenn sie sich als „Reißer“ erwiesen hat, ungeprüft abgeschrieben oder TV- bzw. Radiobeiträge dazu produziert. Dabei kann es sich um harmlose Geschichten handeln, die in die Kategorie urban legends fallen, Auslöser sind jedoch auch ernsthafte gesellschaftspolitische Interessen, die Rassismus und Homophobie verbreiten, um den Sozialstaat zu diskreditieren, Abtreibung zu kriminalisieren oder ganz allgemein konservative Moralvorstellungen zu pushen. Presseabteilungen von Think-Tanks investieren Unsummen, um JournalistInnen und PolitikerInnen mit Studien, Umfragen etc. zu versorgen und damit die Berichterstattung bzw. Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Kampagnen dieser Art eignen sich auch ausgezeichnet, um von tatsächlichen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit oder schlechter medizinischer Versorgung abzulenken. Nicht zu vergessen sind ökonomische Interessen: Im Buch führt Glassner z. B. Pharmafirmen an, die versuchen, dissidentes Verhalten von Jugendlichen als Krankheit darzustellen, die mit Medikamenten behandelt werden kann. (cl)

François Ewald, Der Vorsorgestaat. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993
François Ewald war Mitarbeiter Michel Foucaults am Collège de France und ist Mitherausgeber der Dits et Ecrits Bände. Das nicht mehr ganz junge Buch Der Vorsorgestaat gehört zu den wesentlichen Arbeiten im Anschluss an Foucault, auch wenn eine allzu breite Rezeption bisher ausgeblieben ist. Ewald setzt sich darin mit der Entstehung des modernen Versicherungswesens auseinander, woraus sich auch allgemeine rechtsphilosophische Überlegungen ableiten lassen, die um die Begriffe „Unfall“, „Risiko“ und „Sicherheit“ kreisen – damit auch darum, wovor die moderne Gesellschaft Angst hat und wie sie diese, zumindest bisher, im Zaum gehalten hat. (ck)

Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke, Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000
Der Sammelband knüpft an die Foucault’schen Forschungen an, zentral ist dabei der Begriff der „Gouvernementalität“, der sich aus gouverner (regieren) und mentalité (Denkweise) zusammensetzt; im Band ist die entsprechende Vorlesung von Michel Foucault enthalten. Was darin auch aufgezeigt wird, sind die neuen Feindbilder der neoliberalen Gesellschaft, die diffuser werden, aber auch zu neuen Denunzierungen führen. Der Umgang damit erfolgt im Sinne eines Sicherheitsdenkens, das sich mittlerweile von dem des Vorsorgestaates entfernt hat und zusehends einem statistischen Kalkül unterliegt (Henning Schmidt-Semisch). Damit im Zusammenhang stehen auch die neuen gesellschaftlichen Solidaritäten, die sich durch die Auflösung der Gesellschaft in Leidens- oder Interessensgemeinschaften („Communities“) bilden. (Nikolas Rose). (ck)


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