Maja Debska


Die Identität einer Stadt kann auf vielfältige Arten analysiert und beschrieben werden. Eine davon ist der Versuch, die Relation zwischen der Stadt und der Kunst, die in ihr entsteht, zu betrachten. In einer kritischen Auseinandersetzung mit der Stadtidentität spielt Musik eine tragende Rolle.
Ein Ausgangspunkt dafür sind Sound-scapes. Als Geräuschkulisse kommunizieren Soundscapes den Charakter einer Stadt, definieren ihren Rhythmus, erzählen von den BewohnerInnen und informieren über Ereignisse innerhalb ihrer Mauern. Die auditiven Bedingungen einer Stadt ergeben sich aus dem täglichen Leben. Ihre Akustik wird u. a. durch die Gebäude beeinflusst. So lässt sich beispielsweise die Schallintensität städtischer Organismen mithilfe entsprechender Instrumente sehr exakt messen. Auf die Beziehung des Menschen zu seiner akustischen Umgebung machte als Erster 1988 der kanadische Klangforscher Murray Schafer aufmerksam, indem er betonte, dass sich Klanglandschaften gemeinsam mit der Menschheitsgeschichte entwickelten. Die Stadt war für die Musik seit den Anfängen ihrer Geschichte unbestreitbar ein Referenzraum. Das musikalische Leben wurde immer in Zusammenhang mit den städtischen, institutionellen und räumlichen Bedingungen gestaltet. Und obwohl das Definieren eines Stadtraums über die Musik heute nur für bestimmte Städte funktioniert, ist »Musikstadt« ein beliebtes Etikett im Stadtmarketing, das einer geschickten Vermarktung der Stadtseele dient, wie Maria Luise Hilber und Götz Datko in ihrem Buch Stadtidentität der Zukunft schreiben. Es geht dabei weniger um die tatsächlichen musikalischen Wurzeln als um die Förderung des Tourismus, die Erschaffung neuer Konsumorte und die Positionierung der Städte im Wettbewerb. Ein Konzept des vorliegenden Bandes Music City. Musikalische Annäherungen an die »kreative Stadt« rückt die in den letzten Jahren vielbeachtete und vielfach missbrauchte Frage nach der Kreativwirtschaft im urbanen Raum ins Blickfeld. Das von Alenka Barber-Kersovan, Volker Kirchberg und Robin Kuchar herausgegebene Buch beschreibt eine Dichotomie in der Auffassung dieses Begriffes – den Unterschied zwischen dem Erwecken des Anscheins, freie Kunst zu fördern, und der echten Freiheit der lokalen Künste. Die beiden Varianten sind auf theoretische Überlegungen zurückzuführen: Nach Richard Floridas Publikation The Rise of the Creative Class (2002) ist die »kreative Industrie« als Wirtschaftszweig und Anreiz für die (oft externe) kreative Klasse zu verstehen. Die Musikbranche erzeugt eine »virtuelle« musikalische Tradition, wo Klassik lediglich vermarktbares Qualitätsmerkmal ist. Der Versuch, Musik über das sinnlich-synästhetische Erleben der städtischen Umgebung und die darin herrschenden sozialen Beziehungen zu verstehen, macht im Gegensatz dazu eine tief in der gegebenen Landschaft verwurzelte Musikszene sichtbar. Ein solcher Zugang zur Musikszene fördert lokale KünstlerInnen, weil sie diesen Bedingungen einer Stadt entspringen, sich damit identifizieren und öfters auseinanderzusetzen gezwungen sind und mit ihrer Musik eine nachhaltige Wechselbeziehung zu ihren räumlichen und sozialen Gegebenheiten knüpfen. So kann eine spezifische Szene entstehen, die ihre Aktivitäten und Strukturen selbst verwaltet und den »manipulierenden und homogenisierenden Kulturindustrien« nachhaltig Widerstand leistet.
Die AutorInnen der vierzehn Beiträge des Bandes Music City versuchen anhand konkreter Stadtbeispiele, Antworten auf die Fragen nach der kreativen Stadt, Nachhaltigkeitspolitik und musikalischem Stadtmarketing zu geben. Dies reicht von allgemeinen Einblicken in den Zusammenhang von Musik und Stadt bis zu Ansichten darüber, was eine kreative Stadt überhaupt ist und welche Bedeutung die Kommunikation zwischen MusikerInnen für die Prozesse der Musikproduktion hat. Eine Makroperspektive auf Kreativität als soziales Konstrukt liefert Simon Frith. Alenka Barber-Kersovan betrachtet den Terminus »Musikstadt« kritisch, der lediglich den Bedürfnissen der Wirtschaft und Stadtvermarktung dient. Bastian Lange behandelt am Beispiel der Clubmusik, wie Wertschöpfungsprozesse in der Kreativwirtschaft ablaufen und wie wesentlich lokale Gemeinschaften (Meso-Ebene) und soziale Netzwerke bei diesem Prozess sind.
In Teil 2 des Bandes beschäftigen sich die AutorInnen mit Bedingungen und Bedingtheiten der »kreativen Stadt«. Wie wirkt sich beispielsweise die in der Popwelt periphere Lage der westaustralischen Stadt Perth auf die musikalische Kreativität aus? Sie üben Kritik an der Verleihung des »UNESCO City of Music«-Preises an Glasgow, von dem nur die Stadt und ihr Marketing zu profitieren scheint, die ansässigen MusikerInnen hingegen gar nicht. Richard Lloyd meldet Bedarf an, den Begriff »Music City« genauer zu definieren und zu differenzieren. Er weist auf Unterschiede der Musikproduktion und Konsumtion einzelner, in ihrer klanglichen Landschaft und Identität verschiedener, Stadtteile hin. Ähnlich auch der vorletzte Artikel des Teiles, in dem das lokale Musikschaffen in Baltimore (Maryland) besprochen wird. Die Vielfalt städtischer Gemeinschaften sowie Einflüsse migrantischer Bevölkerungsgruppen auf Kulturökonomien in Wien untersucht Andreas Gebesmair.
Teil 3 konzentriert sich auf die als »Musikstadt« vermarktete Stadt Hamburg, wo die Kluft zwischen Marketing und realer Musiktradition immer deutlicher wird. Die AutorInnen beleuchten von der Kulturpolitik initiierte Imagekampagnen und prestigeträchtige Bauprojekte (Elbphilharmonie), zweifeln an der Legitimität des Begriffs »Hamburger Schule« und zeigen anhand der der offiziellen Leitlinie der Hansestadt zur Förderung der Kultur, dass Musikschaffen nicht an künstlerischem Wert, sondern an ökonomischen Kennzahlen gemessen wird. Es ist bedeutsam, aus welchem Anlass der umfangreiche deutsch-englische Band entstanden ist: Er versteht sich als vertiefende Auseinandersetzung mit den Fragen der Konferenz »Music City?«, die 2010 in Hamburg stattfand. Diese präsentierte — wohl aus Rücksicht auf die anwesenden fördernden Institutionen — wenig kritische Positionen. Der Band erreicht sein Ziel, obwohl das Musikbeispiel Euphonia, oder die musikalische Stadt (1844), in dem der Komponist Hector Berlioz eine imaginierte Musikstadt im Jahre 2344 skizziert, etwas zu knapp ausfällt und nach einer Ergänzung durch andere, zeitgenössische Musikstücke schreit, die in Wechselbeziehung mit der Stadtthematik treten, da diese Wechselbeziehungen im Diskurs über Stadtidentitäten ohne Zweifel nachzuweisen sind.


Heft kaufen