» Texte / Nachdenken über Landschaften im urbanen Kontext

Philipp Rode


Landschaft stellt sich aus der begrifflichen Genese im urbanen Kontext oftmals als Leerraum dar, der zwar mit unterschiedlicher Bedeutung gefüllt, meist aber als begriffliches Gegenstück zur Stadt konzeptionalisiert wird. Die Gleichsetzung von Landschaft mit Natur führt zwangsläufig dazu, dass städtische Landschaft als defizitäre Restnatur begriffen wird. Der Sehnsuchtsraum der Landschaft als gesundes Gegenstück zur menschenfeindlichen Stadt konstruiert Landschaft als Komplementärraum, der das Schlechte der Stadt bekämpfen soll. Und zuletzt wird Landschaft im architektonischen Raum als wenig mehr als eine zweidimensionale Fläche begriffen, die primär von der Dreidimensionalität der umgebenden Gebäude definiert wird. Städtische Landschaft bildet in dieser Sichtweise das unsignifizierte Weiß auf den städtebaulichen Schwarzplänen.

Die Landschaften im urbanen Kontext sind in diesen Konzeptionen nicht enthalten, denn sie sind vielfach räumlich-funktionell fragmentiert und diskontinuierlich und erfüllen die in sie projizierten Anforderungen in Bezug auf Natur, Erholungs- und Bedeutungsraum nur unzureichend oder gar nicht. Stattdessen kommen Attribute wie Undefiniertheit, Offenheit, Unordnung und Wildheit der Beschreibung dieser Landschaften näher. Sie erscheinen entwertet, reduziert auf Restflächen, die keinen eigenen Charakter ausbilden können. Und doch bilden sie einen alltäglichen Bestandteil der Stadt, in der wir uns bewegen. Zur begrifflichen Fassung dieses Typs urbaner Landschaft schlägt die KünstlerInnengruppe stalker[1] den Begriff des Negativraums vor. Dieser stellt eine Sphäre der Stadt dar, die in enger Verbindung mit dem gebauten und gestalteten Stadtraum steht, jedoch aus dem gewöhnlichen Stadtbild heraus fällt (vgl. Stalker 2006). Seine Verfasstheit ist am ehesten mit dem Negativbild eines Farbfotos zu vergleichen, das keine assoziative (Ab)Wertung beinhaltet, sondern das Gesamtbild aus einer anderen Sichtweise darstellt. Stalker, ebenso wie unterschiedliche disziplinäre Positionen im aktuellen Diskurs um die Zwischenstadt oder den landscape urbanism, setzen in diese Landschaften hohe Erwartungen, um eine lesbare und nachhaltige Entwicklung der Stadt zu gewährleisten. Deshalb erscheint es an dieser Stelle angebracht, aus landschaftsarchitektonischer Sicht den Begriff von Landschaft in verschiedenen Dimensionen zu erläutern und einen Zugang zu Landschaften zu skizzieren, der ihre Vielschichtigkeit berücksichtigt.

Zum Begriff der Landschaft

Zur Annäherung an die Landschaft werden drei Dimensionen dieses Begriffs vorgestellt, die disziplinäre Sichtweisen reflektieren.

Der naturwissenschaftliche Blick – Landschaft als Produkt

Landschaft in ihrer physischen Erscheinung ist der Gegenstand dieser Betrachtung. Sowohl das natürliche Substrat als auch die physischen Manifestationen menschlicher Aktivität sind darin enthalten. Damit wird die Unterscheidung zwischen natürlicher und kultureller Landschaft aufgehoben, und das Verständnis von Landschaft als »Summe aller natürlichen Ressourcen« (Sauer 1925) wie als »System mensch-gemachter Räume auf der Erdoberfläche« (Jackson 1984, S. 43) findet darin Eingang. Unabhängig von der dahinter liegenden Intention wird die physische Landschaft als Produkt verstanden, das sich als gegenständlich, angreifbar und konkret darstellt. Diese Sichtweise entspricht einem naturwissenschaftlichen Blick, der mit dem physisch Vorhandenen operiert, wobei sowohl quantifizierbare ökologisch relevante Bestände und Ausstattungen als auch materielle Strukturen erfasst werden.

Der sozialwissenschaftliche Blick – Landschaft als Prozess

Landschaft wird aus zwei Blickwinkeln als Objekt kontinuierlichen Wandels, als Entwicklung und Veränderung betrachtet: Aus einer ökologischen Perspektive wird Landschaft als interaktives Produkt natürlicher Prozesse verstanden. Die Wirkkräfte von Wind, Wasser, Temperatur und Vegetation formen in einem kontinuierlichen Prozess die physische Landschaft. Die Ökologie wird aus landschaftsarchitektonischer Perspektive als »science of process« (Halprin 1987) verstanden, in der der Faktor Zeit zentral für die Herstellung unfertiger, vorläufiger Landschaften ist, die nur Zwischenstufen darstellen, ohne einen definierten Endzustand zu erreichen. Die sozialen Prozesse gesellschaftlicher und individueller Aneignung bilden die zweite Betrachtungsweise von Landschaft als Prozess. Diese »gesellschaftlichen Layer von Landschaft« (Kühne 2006, S. 74) interagieren mit der materiellen Landschaft und überformen sie in einem kontinuierlichen Prozess. Die Ergebnisse können in strukturalistischer Lesart als formative Landschaftsmuster abstrahiert werden, deren physische Erscheinung spezifischen Formen der Landnutzung geschuldet ist. Die prozessbezogenen Elemente stellen wesentliche Eigenschaftsmerkmale von Landschaft dar, wodurch Landschaft an sich als Prozess verstanden werden kann.

Der kulturwissenschaftliche Blick – Landschaft als Idee

Auf ideeller Ebene werden die unterschiedlichen Ebenen von Landschaft abstrahiert, einer Interpretation unterzogen und einer Bewertung unterworfen. Es findet sozusagen eine Evaluierung des physischen Raums statt, die entlang bestimmter Bilder von Landschaft erfolgt. Auf individueller Ebene wird ein Prozess in Gang gesetzt, der aus Wahrnehmung und zugleich aus Klassifizierung, Vergleich und Bewertung besteht (vgl. Czepczynski 2008, S. 5). Die wahrgenommenen Bilder und Sinneseindrücke werden bekannten Bildern gegenüber gestellt, sie werden miteinander verglichen, es werden Assoziationen hergestellt, und letzten Endes wird ein Werturteil gefällt, das eine räumliche Umgebung als Landschaft qualifiziert. Landschaft wird damit zu einer bewusstseinsinternen Konstruktion (vgl. Kühne 2006), die auf subjektiven Erfahrungen, Empfindungen und Wertungen basiert. Dabei ergibt sich je nach Offenheit des Landschaftsbegriffs eine graduelle Integration des Wahrgenommenen darin. Der Selektionsprozess erfolgt in einer Interaktion aus subjektiven und überindividuellen Werturteilen, die kulturellen Mustern folgen. In einer tradierten Lesart werden hegemoniale Vorstellungen von Landschaft reproduziert und eine Hierarchie von Räumen etabliert, die gesellschaftliche Machtstrukturen und Wertmaßstäbe reflektiert (vgl. Cosgrove 1988). Bei der Bewertung einzelner Elemente und physischer Objekte bekommt die Kategorie des Schönen – im landschaftlichen Diskurs oftmals mit ästhetisch gleichgesetzt – einen zentralen Stellenwert. Wird Ästhetik jedoch als das verstanden, was sinnlich erfahrbar und in die Konstruktion von Landschaft integrierbar ist, kann nicht nur aus dem als schön Empfundenen, sondern auch aus anderen Attributen eines landschaftlichen Leitbilds auf zugrundeliegende Denk- und Wertmuster geschlossen werden. Der landschaftliche Blick resultiert also aus einer kulturellen Idee (vgl. Körner 2006, S. 24), deren Wertmaßstäbe und Denkkategorien die Wahrnehmung strukturieren. Mit einem kulturwissenschaftlichen Blick auf die Landschaft kann die hegemoniale Perspektive aufgelöst werden. Der Landschaftsbegriff wird dadurch demokratisiert, es werden auch andere als signifizierte Räume der Macht mit Landschaft assoziiert bzw. finden darin Eingang. Mit der Etablierung der cultural landscape studies durch J. B. Jackson wird der Blick auch auf die anonyme, lokale Produktion der vernakulären Landschaft geworfen. Mit diesem Zugang wird Landschaft als Idee begriffen, die die »Wahrnehmung realer Erdgegenden strukturiert« (Körner 2006, S. 21). In der Reflexion dieses Konstruktionsprozesses von Landschaft sind Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster darstellbar: Welche Landschaften werden wahrgenommen? Welche werden als schön empfunden? Welche Teile der Landschaft besitzen Signifikanz und Bedeutung, welche erscheinen bedeutungslos, entleert, monoton? Welche Einzelbilder werden im Konstruktionsprozess verwendet, um ein Gesamtbild der Landschaft zu bilden? Diese Fragen beinhalten subjektive und objektive Antwortmöglichkeiten, so dass auch eine Analyse der wahrgenommenen Landschaft beide Elemente beinhalten muss.

Landschaftsarchitektonische Wahrnehmung der Stadtlandschaft

Die Landschaft im urbanen Kontext bildet in all ihren Ausformungen und ihrer breiten Typologie einen Arbeitsgegenstand der Landschaftsarchitektur. Ein landschaftsarchitektonischer Zugang fokussiert auf das Spezifische und das Unmittelbare der jeweiligen Landschaft. Damit wird eine situative Betrachtungsweise von Landschaft angesprochen, die konkrete Umstände einbezieht und daraus Entscheidungen für die weitere Entwicklung oder Gestaltung ableitet. Die US-amerikanische Landschaftstheoretikerin Elizabeth Meyer fundiert die Basis einer landschaftsarchitektonischen Arbeitsweise auf Beobachtung und Erfahrung, welche die Eindrücke aller Sinnesorgane einschließt (Meyer 1997, S. 167). Es werden dem umgebenden Raum Attribute zugesprochen, die in ihrer komplexen Zusammensetzung jede Landschaft als etwas Spezifisches beschreiben. Zudem besteht zwischen dem wahrgenommenen Raum und dem wahrnehmenden Subjekt ein situatives Verhältnis, das die Konstruktion von Landschaft bestimmt. Mit dieser Herangehensweise sind zwei wesentliche Elemente angesprochen, die sich als Konstanten für die Wahrnehmung städtischer Landschaften heraus gebildet haben: das Spezifische und das Situative. Beide Elemente werden etwa auch in den Burckhardt’schen Spaziergangswissenschaften als wesentlich erachtet (vgl. Burckhardt 2006), ergänzt um die Bemerkung, dass sich die Konstruktion von Landschaft außerhalb ihres Produktionszusammenhanges vollzieht. Mit anderen Worten: Diejenigen, die eine bestimmte räumliche Umgebung als Landschaft klassifizieren, seien andere, als diejenigen, die sie bewirtschaften und nutzen. Für die Wahrnehmung von Landschaft ist in diesem Verständnis also eine bestimmte Distanz in sozialer und ökonomischer Hinsicht notwendig.

Psychogeografie und dérive

Das von der Situationistischen Internationale bearbeitete Forschungsfeld der Psychogeografie berücksichtigt das Dilemma aus subjektiver Wahrnehmung und objektivierter Bewertung des Wahrgenommenen, dem sich Landschaftsforschende ausgesetzt sehen. Die Psychogeografie stellt den Versuch dar, subjektive und objektive Untersuchungsweisen zu kombinieren. Dabei wird dem Umstand Rechnung getragen, dass einerseits das Selbst nicht vom umgebenden Raum zu trennen ist und andererseits nicht nur die individuelle Psyche als Maßstab dienen kann, um ein alternatives Denkmodell für die Stadt zu entwickeln (Sadler 1998, S. 77). Die subjektive Wahrnehmung und in weiterer Folge die subjektive Bewertung stellt allerdings eine wertvolle Basis dar, um das Verständnis für urbane Landschaften zu erweitern. Durch eine radikal subjektive Sicht auf die Landschaft besteht die Chance, tradierte Interpretationsmuster zu verlassen und neue Wege zu beschreiten. Diese benötigen aber eine Kontextualisierung des Wahrgenommenen mit dem Vorhandenen und den strukturellen Hintergründen ihrer Entstehung und Nutzung.

Die Erforschung der Stadtlandschaft

Dérive als konstruktiv-spielerisches Verhalten im urbanen Raum kann als Methode eingesetzt werden, um die Stadtlandschaft neu zu erforschen. Es wird dabei eine flexible Routenführung gewählt, der Stadtraum wird durchstreift, wobei die Entscheidungen für die Wegeführung von individuellen Anziehungen und Abstoßungen des Raums abhängig sind. Diese Entscheidungen sind verantwortlich dafür, was wahrgenommen und gesehen wird, welcher Stadtraum durchwandert wird. Auf der Suche nach dem Negativraum im post-sozialistischen Sofia wurde diese Methode in einem wissenschaftlichen Kontext angewendet.[2] Es wurde mit dem spielerischen Prinzip der Tatsache begegnet, dass der Negativraum nicht kartografiert ist. Eine Stadtkarte beinhaltet in der Regel das Positivbild der Stadt, jener normalen Stadt, die in den Köpfen der PlanerInnen, PolitikerInnen und BürgerInnen existiert und gemeinhin auf die Modelle der europäischen Stadt, der dichten Stadt oder auch der modernen Stadt zurück greift. Das Umherstreifen mittels Dérives ermöglicht das Erforschen von Stadträumen, die abseits der herkömmlichen Zusammenhänge des städtischen Raums liegen. Es entsteht ein alternativer Zusammenhang, für den individuelle Entscheidungen konstituierend sind und der funktionale, städtebauliche und hierarchische Sichtweisen ergänzt bzw. bisweilen dekonstruiert. Der Weg des dérive folgt der formalen wie auch der informellen Erschließung der Stadt – Straßen, Gehsteige, Fußwege, Trampelpfade. Der durchstreifte Stadtraum wird in Gebiete unterteilt, die aufgrund ihrer Erscheinung und Funktionalität als zusammen gehörend erkannt werden. Zentral für den Verlauf der Dérives sind physische und psychische Grenzen, die das Durchwandern des Stadtraums behindern, erschweren und leiten. Entlang dieser Begriffe – Weg, Gebiet und Grenzen – wird der durchwanderte Stadtraum der Dérives analysiert. Mit diesen objektiven Analysekriterien kann der gesamte Stadtraum erfasst und beschrieben werden. In der Definition des Negativraums spiegelt sich der Konstruktionsprozess von Landschaft wider: Die Analysekriterien beschreiben auch seine Verfasstheit – er bildet ebenso Gebiete wie der bebaute, funktionalisierte und gestaltete Stadtraum, ist von Grenzen eingefasst und durchzogen und von vorwiegend informellen Wegesystemen erschlossen. Dennoch erschließt sich seine Andersheit auf der Basis der individuellen Wahrnehmung sehr schnell – mit subjektiven Werturteilen und Assoziationen. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Integration räumlicher Umgebungen in einen Begriff von Landschaft zu einem prioritären Teil im kulturellen Feld von statten geht. Was jedoch kann verantwortlich dafür sein, dass wesentliche Bereiche der städtischen Landschaft aus der Wahrnehmung herausfallen bzw. nicht in die Konstruktion von Landschaft integriert werden?

Anästhetische Interpretation städtischer Landschaften

Der Philosoph Wolfgang Welsch fasst die Nichtwahrnehmung vorhandener räumlicher Umgebungen im Begriff der Anästhetik. Um ein Verständnis für die aus der Wahrnehmung herausgefallenen Räume zu erlangen, schlägt er die Verwendung relationaler Begriffe in einer »Schule der Andersheit« (Welsch 1990) vor: Störung, Fremdheit, Divergenz und Heterogenität. Diese Begriffe verweisen einerseits auf die Verfasstheit urbaner Landschaften und können dadurch eine Spur für ihr Verständnis bilden. Andererseits stehen sie diametral dem gegenüber, was gemeinhin als guter, lesbarer Stadtraum verstanden wird – diese Begriffe stehen in Opposition zum Verständnis von Stadt und Landschaft und könnten den Grund für den Ausschluss des Negativraums aus dem Landschaftsbegriff liefern. Auftreten und Beschaffenheit des Negativraums in Sofia können tatsächlich in Kontexte der Entfremdung, der Entwertung und der Fragmentierung gesetzt werden. Er ist meist anthropogen überformt und in seiner landschaftlichen Erscheinung gestört, oft auch zerstört. Dadurch bildet er in der Konzeption von Landschaft als Natur ein entfremdetes Element, das weder der Landschaft noch der Stadt zugehörig ist. Er ist zudem durch den Rückzug von urbanen Funktionen gekennzeichnet, die auf einen Entwertungsprozess hinweisen. Es sind Brachflächen, aus denen sich die landwirtschaftliche Nutzung zurückgezogen hat, still gelegte Flächen, aus denen die industrielle Produktion verschwunden ist, oder auch Flächen, deren Besitzverhältnisse und Entwicklungsstatus aufgrund der Restitution undefiniert sind. Seine Fragmentierung ist räumlich-physischer wie auch sozialer Natur: Massive Infrastrukturbauten zerschneiden landschaftliche Zusammenhänge und produzieren isolierte Räume, deren Zugänglichkeit stark limitiert ist. Die Nutzung dieser Räume erfolgt informell: Die physische Fragmentierung bewirkt ein Herauslösen dieser Inseln aus dem umgebenden Stadtraum. Sie stellen die Lücken in den Netzen der Netzwerkstadt dar, in denen die informalisierten Teile der Gesellschaft sich ihren Raum nehmen. Diese Prozesse sind auch in Verbindung mit der post-sozialistischen Transformation in Sofia zu sehen, die nicht nur einen strukturellen Umbau der städtischen Ökonomie bewirkt, sondern auch die Ungleichheit der städtischen Gesellschaft verstärkt hat.

Strategien zur Entwicklung

Die ständige Veränderbarkeit und Transformation des Negativraums stellen zentrale Eigenschaften dar, die klar als landschaftliche Attribute klassifiziert werden können (vgl. Howett 1986, Corner 2002). Gleichzeitig wird damit aber das urbane Denken in Homogenität, Robustheit und Stabilität in Frage gestellt. Aus planerischer Sicht sind daher Fragen nach seiner Entwicklung und Gestaltung nahe liegend: Welche Strategien können für den Negativraum entwickelt werden, die seine Potenziale erkennen und gleichzeitig auf seine spezifischen Qualitäten der Kurzlebigkeit und des Ephemeren eingehen? Herkömmliche Strategien der Landschaftsplanung wie Konservierung und langfristige Erhaltung beispielsweise könnten das naturräumliche, ökologische und auch das soziale Potenzial dieser Räume sichern und beplanbar machen. Allerdings würde dadurch die Offenheit der Entwicklung eingeschränkt und der Charakter der Kurzlebigkeit unberücksichtigt bleiben. Auch eine Strategie der landschaftsarchitektonischen Gestaltung könnte eine Qualifizierung des Negativraums ermöglichen, läuft allerdings Gefahr, einer urbanen Kolonisierung des Negativraums Vorschub zu leisten. Das Exotische, Andere des Negativraums würde darin möglicherweise einem Ästhetisierungsprozess unterzogen, der ihn in die Freizeit- und Konsumlandschaften der post-sozialistischen Stadt eingliedert und seine Andersartigkeit domestiziert. Aus dieser Diskussion wird deutlich, dass zunächst die Andersartigkeit urbaner Landschaften die Basis für eine planerische Diskussion ihrer Potenziale darstellt. Wenn Thomas Sieverts davon spricht, dass die Landschaft zukünftig die zentrale Bedeutungsträgerin der Zwischenstadt sein kann, dann muss berücksichtigt werden, dass ihre diesbezüglichen Potenziale möglicherweise beschränkt sind oder sich in einer Weise darstellen, die eine Auseinandersetzung mit Störung, Fremdheit und Heterogenität notwendig macht. Das daraus entstehende Bild von Landschaft stimmt mit den Kategorien von Natur, Erholung und Grün nur bedingt überein. Damit wird auch die Verbindung des Negativraums zum Positivraum der Stadt angesprochen – Kriterien und Denkmodelle des positiven Stadtraums müssen nicht unbedingt auf den Negativraum übertragbar sein.

Außensicht und Innensicht der Landschaft

Der Blick auf Landschaften im urbanen Kontext lenkt die Aufmerksamkeit auf das Andere der Stadt. Es wird das dominante Raumdispositiv hinterfragt und damit auch das Verständnis von Landschaft erweitert. In dieser Betrachtung wird eine herrschaftsorientierte Konstruktion von Landschaft (Cosgrove 1998; Jackson 1990) verlassen. Als Referenzpunkte werden weniger die gestalteten Park- und Gartenanlagen des Feudalismus, die monumentalen Inszenierungen des Sozialismus oder die konsumistischen Nicht-Orte (Augé, Marc, 1994: Orte und Nicht-Orte, Frankfurt: S. Fischer) und Themenparks des Post-Fordismus verwendet, sondern die urbanen Alltagslandschaften. In der Anwendung einer Herangehensweise, die auf das Situative und Spezifische fokussiert, kann der begriffliche Leerraum urbaner Landschaften gefüllt werden. Die Wahrnehmung ihrer Attribute auf individueller Ebene kann die Basis für ein vertieftes Verständnis ihrer Qualitäten bilden und zugleich die kollektive Konstruktion von Landschaft hinterfragen. Es kann dadurch eine Umkehrung des Blicks stattfinden, der eine Standpunktveränderung beinhaltet: Statt von einer Außenposition auf die Landschaft zu schauen, wird die Wahrnehmung in die Landschaft hinein verlagert. Der Spaziergänger verlässt sein distanziertes Verhältnis zum Objekt seiner Konstruktion. Er wird dadurch noch nicht zum Akteur im Produktionsprozess von Landschaft, allerdings erweitert sich sein Verständnis. Lokale Bedeutungszusammenhänge bekommen dadurch ein stärkeres Gewicht, der Leerraum wird zu einem vielschichtigen Sozialraum. Möglicherweise muss ein planerischer Ansatz in dieser Bearbeitung scheitern – werden doch die Stellung des Planenden, seine Methoden, Instrumente und Strategien fundamental in Frage gestellt. Allerdings bedeutet die Berücksichtigung des Negativraums im Begriff der Stadtlandschaft eine wesentliche Erweiterung dessen, was als Stadt oder Landschaft verstanden wird. Damit wird die Vielfalt städtischen Lebens erhöht und urbanes Agieren vor eine Herausforderung gestellt: Wenn ein wesentlicher Faktor von Urbanität aus Vielfalt und Heterogenität besteht, muss der Negativraum als Element der Urbanität begriffen werden – Stadt als Veränderung, Transformation und Vielfalt.


  1. Anm: Stalker urban art workshop ist eine interdisziplinäre Gruppe die Stadtforschung mittels transurbance — einer Form des kritischen Gehens — betreibt. Siehe http://digilander.libero.it/stalkerlab/tarkowsky/manifesto/manifesting.htm. ↩︎

  2. Siehe Rode, Philipp: Die Programmierung des Negativraums. Auftreten und Potenziale undefinierter Freiräume an Beispielen im post-sozialistischen Sofia. Dissertation am Institut für Landschaftsarchitektur, BOKU Wien bei Prof. Lilli Licka. Die Forschungsarbeit wurde im Rahmen eines MOEL-Plus Stipendiums erstellt. Publikation in Vorbereitung. ↩︎


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Literaturliste

Burckhardt, Lucius (2006): Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Kassel: Schmitz Verlag.
Corner, James (1992): Representation and Landscape. In: Swaffield, Simon (Hg.) (2002): Theory in Landscape Architecture: a Reader. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Cosgrove, Denis E. (1998): Social Formation and Symbolic Landscape. Madison: University of Wisconsin Press.
Czepczynski, Mariusz (2008): Cultural Landscapes of post-socialist Cities: Representations of Powers and Needs. Hampshire: Ashgate.
Ferguson, Francesca (Hg.) (2006): Talking cities: The Micropolitics of Urban Space. Basel/Boston: Birkhäuser.
Howett, Catherine (1987): Systems, Signs and Sensibilities. In: Swaffield, Simon (Hg.) (2002): Theory in Landscape Architecture: a Reader. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Jackson, John B. (1990): Die Zukunft des Vernakulären. In: Franzen, Brigitte & Krebs, Stefanie (Hg.) (2005): Landschaftstheorie: Texte der Cultural Landscape Studies. Köln: Verlag Walter König.
Meyer, Elizabeth (1997): The Expanded Field of Landscape Architecture. In: Swaffield, Simon (Hg.) (2002): Theory in Landscape Architecture: a Reader. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Sadler, Simon (1998): The Situationist City. Cambridge/London: MIT Press.
Stalker/Studio EU (2006): Berlin Wall(k). in: Ferguson, Francesca (Hg.) (2006): Talking cities: The Micropolitics of Urban Space. Basel/Boston: Birkhäuser.
Swaffield, Simon (Hg.) (2002): Theory in Landscape Architecture: a Reader. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. Welsch, Wolfgang (1990): Ästhetisches Denken. Stuttgart: Reclam.