Peter Schmidt


Das Architekturzentrum Wien (Az W) und das Schweizerische Architekturmuseum (SAM) bringen mit der von Kai Vöckler kuratierten und von der Erste-Stiftung unterstützten Ausstellung Balkanology eine erfolgreiche Dokumentation nach Wien, die, so schreibt es Francesca Ferguson in ihrer Einleitung für den Katalog, auch als Kontrapunkt zu einer Architekturszene gedacht ist, die sich überwiegend auf Westeuropa konzentriert und die politischen und sozialen Probleme der Balkan-Region nur aus den Nachrichten kennt. Wie eng nicht nur das räumliche Verhältnis zwischen Wien und dem Balkan war und ist, verdeutlicht anschaulich das dem ehemaligen österreichischen Staatskanzler Clemens Fürst Metternich (1821-1848) zugeschriebene Bonmot Der Balkan beginnt am Rennweg (Anm.: Der Rennweg ist eine Straße im 3. Wiener Gemeindebezirk). Ein im Rahmen der Ausstellung ausgeschriebener Werbe­spot-Wettbewerb prämiert einen Clip, der diese anekdotische Grenzziehung zum Balkan am Rennweg festhält. Dass der Balkan – bei der Eröffnung lernte man, dass das Wort Balkan aus dem Türkischen stammt und „bewaldete Bergkette“ heißt – auf seinen kulturellen Reichtum stolz sein kann, beweist die Ausstellung treffend.

Das architektonische Konzept spielt mit abwechslungsreichen Elementen der Präsentation. Beim Betreten der Halle am Informationstisch entlang wird zunächst die Ausstellung motiviert. Zur Rechten zeigt sich der Balkan, etwas abgelegen von den anderen Teilen, als eine kartenförmige Tischplattenkonstruktion, wo Workshops aus verschiedenen Regionen vorgestellt werden. Zur Linken des Eingangs öffnen sich die anderen Bereiche, wo die architektonische und urbanistische Motivation der Ausstellung durch Turbo-Architektur und Turbo-Urbanismus beginnt. Es sind doppelseitig bedruckte Stellwände, die den BesucherInnen einen Weg in den hinteren Bereich bahnen. Gut gelungen ist hier die Gestaltung, die die charakteristische Länge der Alten Halle aufnimmt und ihre Großzügigkeit entfaltet, indem von der Decke abgehängte Platten vom Bewegungsraum nach hinten gewinkelt ebenso wie den Boden, der bedruckt ist, zur Präsentation nutzt. So bewegt man sich entlang einer U-Form vorbei an den Präsentationsplatten, die durch ihre gewinkelte Aufhängung zum Lesen einladen, und man kommt ohne abzugleiten zurück an den Ausgangspunkt und zum Eingang. Mit dem Eindruck der Dokumentation kann man sich nun Zeit nehmen und an einer Sitzgelegenheit Filme ansehen, die die Vor-Ort-Aktivität von Kai Vöckler und den beteiligten Organisationen zeigen.

Die Ausstellung vermittelt gut, mit wie viel Engagement Aufklärungsarbeit für Architektur und Urbanismus geleistet wird – eben nicht Turbo: weg von Masterplan-Illusione­n (Neu-Belgrad) hin zum strategischen Plane­n und Intervenieren. Die Schlagwörter Turbo-Architektur und Turbo-Urbanismus vermitteln durch Forschungsprojekte und Studien, die leicht ironisch Dachaufbaute­n (2007) oder Superprivat (2003) genannt werden, mit Typologien-Mix und informeller Architektur ein bildhaftes Verständnis. Dokumentiert wird die Entwicklung einiger lokaler Architektur- und Urbanismus-Projekte durch internationale Pionierarbeit vor Ort. Platforma 9,81, Archis Interventions, Expeditio und Co-PLAN werden hier vorgestellt. Diese engagieren sich bei der Vermittlung zwische­n den öffentlichen Institutionen und privaten AkteurInnenen, bei der Unterstützung urbaner Forschungsverfahren durch Veranstaltungen unter Einsatz von Massenmedien und Bildungsprogrammen, bei der Motivation zur Entwicklung bürgerlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher Strukturen. Planen in einer Region, die sich in einer deutlich spürbaren Nachkriegszeit befindet, die man hier „Postkonfliktsituation“ nennt. Archis Interventions, die ihre Wurzeln in Amsterdam haben, unterstützen beispielsweise durch lokale Präsenz die Städte mit Vorschlägen und Strategien zur Wiederbelebung des öffentlichen Raums. Ziel ist es, ihr internationales „Archis-Netzwerk“ mit lokalen Initiativen zu verbinden, um so den Sinn für das Urbane und das Vertrauen in den Dialog als Essenz des Zivillebens zu stärken.

Im hinteren Teil der Ausstellung wird man Teil einer Expedition zur Aufdeckung architektonisch kultureller Schätze dieser Region entlang des Lost Highway – der früheren autoput bratstvo i jedinstvo (Straße der Brüderlichkeit und Einheit) –, der in den 1960er Jahren unter Tito gebaut wurde. Hier sind die Städte Ljubljana, Zagreb, Belgrad und Skopje verbunden, was im Katalog passend mit „Jugoslawien und Danach: Architektur von der Moderne bis zur Gegenwart“ betitelt wird. Srdjan Jovanovic war der Mit-Initiator dieser Reise und fasst die Eindrücke optimistisch zusammen: „Die in Entwicklung begriffenen Kapitalen des westlichen Balkans, die alle nach Unverwechselbarkeit streben, können als gute Beispiele für die Zukunft jenes kommenden Europas dienen, dem sie angehören“.

--
Ausstellung
Balkanology
Neue Architektur und urbane Phänomene in Südosteuropa
Architekturzentrum Wien
22. Oktober 2009 bis 18. Jänner 2010


Heft kaufen