Erik Meinharter

Nina Danklmaier

Philipp Rode

Silija Tillner

Silija Tillner ist Archiektin und Stadtplanerin.


Mag. a arch Silija Tillner ist maßgeblich an der Konzeption und Umsetzung der Gürtelsanierung im Rahmen des EU-Urban Projektes beteiligt. Das Gespräch führten Nina Danklmaier und Phillip Rode, für dérive moderierte Erik Meinharter.

dérive: Inwieweit stehen analytische Bestandteile Ihrer Vorstudie mit der gestalterischen Umsetzung im Zusammenhang?

Tillner: Vor meiner Studie gab es noch unzählige andere Studien zum Gürtel, die ich natürlich alle studiert habe, sie hatten jedoch alle einen völlig anderen Planungsansatz als den, den ich gewählt habe. Das »urban design studio gürtel«, wie meine Studie geheißen hat, ist Ende 94 fertiggestellt worden. Sie lag Stadtrat Swoboda (Anm: dem damaligen Planungsstadtrat Wiens) vor, um darüber zu befinden, was weiter zu passieren hat. Genau zeitgleich wurde in Wien gesucht, mit welchem Projekt man in Brüssel für ein gefördertes Urban-Projekt einreichen könnte. So fiel die Entscheidung auf den Gürtel. Aufbauend auf meine Studie wurde in einem Team von 30 Experten eine Einreichung ausformuliert, die ein operationelles Programm zu umreißen hatte. Dieses beinhaltet natürlich mehr Faktoren, wie zum Beispiel Arbeitsplatzprogamme, wirtschaftliche Aspekte, oder die Sanierung der verfallenen Häuser, als ich in meiner Studie ausgeführt hatte. Für den Freiraum und die Stadtbahnbögen wurde dann der Inhalt meiner Studie hergenommen und in Brüssel eingereicht. Durch die Genehmigung wurde dies dann regelrecht zementiert. Daran denkend wie der »normale Weg« der Planungen sich zwischen verschiedensten Interessen verliert, war dies die historische Chance für den Gürtel, durch diese Förderungszusage, aufgrund dieser Einreichung, dass die Veränderungen auf Schienen gesetzt wurden.

dérive: War die Methodik, die angewendet wurde, rein planerisch, oder wurden auch Aufnahmen zu sozialen Komponeten oder Nutzungskomponenten gemacht?

Tillner: Also ich habe Städtebau auch in den USA studiert und habe in Wien ein Städtebauprojekt für Marokko gemacht. Dort hat mir ein Professor gesagt: le terrain propose, la bute de la methode. Das fand ich irgendwie so ganz schön, dass der Ort selbst quasi die Methode vorgibt, also dass du für jeden Planungsort eigentlich eine andere Methodik anwenden musst. Für den Gürtel war das für mich, nachdem alle vorherigen Vortstudien eher planlastig waren, klar, dass man eine genau gegenteilige Strategie anwendet. Also hinaus zu gehen und zu schauen: Was ist dort, was sind die Qualitäten. Als erstes bin ich den Gürtel mit einem Kameramann abgefahren, dann mit einem Mitarbeiter entlang gegangen, und wir haben Bestandspläne der Geschäfte gemacht, etc. Wir kamen zur Erkenntnis, dass überregionale Geschäfte gut gehen und vom Verkehr profitieren, und die Geschäfte für den täglichen Bedarf unter der Situation leiden. Und dann haben wir Gespräche geführt, gemeinsam mit einer Historikerin, mit den Stadtbahnbogen-Mieter [Anm.: nachdem sonst nirgends gendergerechte sprache, wirkt sie hier irgendwie deplaziert], wie dem Buchbinder oder der Besitzerin des Café Carina. Dabei ist herausgekommen, dass die der Lärm überhaupt nicht stört, sondern sogar ein Vorteil ist. Vor allem der Buchbinder und die Tischler können ohne Anrainerbeschwerden auch Wochenende arbeiten, was fast ein unbezahlbarer Standortvorteil ist, Lärm machen zu können ohne dass sich jemand beschweren wird. Auch hat sie das Rotlichtmilieu gar nicht gestört, da es anscheinend überhaupt keine Konflikte gibt, weil es eine Trennung zwischen Gürtelaußenzone und Gürtelmittenzone gibt. Man hat immer gedacht, die Hauptprobleme des Gürtels sind klar: das Rotlichtmilieu und der Verkehr. Aber dass die Betriebsbesitzer in der Mitte die zwei Dinge überhaupt nicht wichtig finden, wusste niemand. Also ein ganz wichtiger Faktor waren eben die Gespräche mit den Leuten, die schon dort sind, die dort Betriebe und Geschäfte haben. Die Anwohner wurden schon im Rahmen der Gürtelkommission relativ gut befragt. Dort wurden 20.000 im Rahmen einer IFES Studie »Leben in Wien« befragt. Von dort her wusste ich, dass den Anrainer die Gürtelmittelzone sehr wichtig ist, und dass sie die als Naherholungsraum sehr wohl nutzen wollen. Ein Grundsatz von mir ist, dass ich an Urban-Ddesign-Projekte nie nur von der gestalterischen Ebene herangehe, sondern immer auf einem Nutzungskonzept aufbaue. Ich hatte die Idee dort die »Livemusikszene« anzusiedeln und ich suchte den Kontakt zu Herrn Bajlicz, dem Besitzer des Chelsea, weil ich wusste, dass sein Mietvertrag gerade gekündigt wurde, und so testeten wir die Idee 1:1. Wenn das Chelsea gescheitert wäre, wäre das gesamte Musikprojekt gescheitert. Auch hat das Chelsea noch keine Glasfassaden weil das Nutzungskonzept eben vor dem Gestaltungskonzept entstanden ist.

dérive: Sie sprechen von Nutzungskonzept und beschränken sich bei den Beispielen auf Bauwerke. Der Freiraum hat jedoch auch eine Nutzungsstruktur. Dieser wird aber in Ihrer Planung als parkähnlicher Bereich ausgeführt, mit dem Schwerpunkt auf Naherholung, inwieweit wurde aktive Nutzung abseits der Lokale eingeplant?

Tillner: Das wichtigste für die Mittelzone, die eigentlich ziemlich breit ist, war Ihr die Qualität für die Fußgänger und Radfahrer zurückzugeben. Die Veränderungen der letzen Jahre waren eigentlich alle zugunsten der Autofahrer. Zum Beispiel parken die Autos im Randbereich am Gehsteig, wodurch teilweise weniger als 1 Meter Durchgangsbreite übrig bleibt und daher Mütter mit Kinderwägen dort nicht gehen können. Ich selbst war eigentlich nur für die Mittelzone beauftragt und Diskussionen über Stellplätze im Randbereich wurden von vornherein abgeblockt, da argumentiert wurde, dass wenn man beginnt darüber zu diskutieren, das gesamte Projekt ins Stocken geraten würde, und dann vielleicht wieder nichts passiert.

dérive: Es ist ja auch dadurch die Anbindung an die Bezirke verhindert worden.

Tillner: Ja, aber das sind unvorstellbar hochexplosive Themen. Da bräuchte man jemanden von der verkehrsplanerischen Seite, der erklärt, warum diese Stellplätze in diesem Bezirk verzichtbar sind, und der rechte Fahrstreifen eigentlich nicht ausgelastet ist. Aber niemand war bereit, ein multidisziplinäres Team zu bezahlen, und ich musste alles alleine machen. Es war auch keine andere Möglichkeit als zu sagen, man schaut, was man in der Mittelzone machen kann unter der Auflage, dass am Rand alles so bleibt wie es ist. Auch in der Mittelzone haben die Autos dominiert, es wurden Nebenfahrbahnen hineingelegt, die legale und illegale Parkplätze hatten. Man kann das jetzt noch im 17. Bezirk rund um den Mc Donald´s sehen, da ist es so wie es immer war. Für mich war es von Anfang an ganz wichtig, die Autos dort wegzubekommen und die Fußwege direkt zu den Stadtbahnbögen zu legen. Vom Nutzungskonzept war ganz klar, dass die Fußgänger und die Radfahrer ihren eigenen Bereich kriegen sollten. Der Radweg hat überregionale Bedeutung, die Radfahrer fahren sehr schnell und der gemeinsame, verhältnismäßig schmale, Weg für Fußgänger und Radfahrer war sehr gefährlich. Neben der Entflechtung der Wege war die Schaffung von Schanigärten für die Lokale ein weiterer Punkt. Dann gab es das Projekt der Kunstmeile, also Kunst im öffentlichen Raum, daraus ist aber aus finanziellen Gründen nichts geworden. Es wurde in bescheidenem Maße von trans wien aufgenommen, die ja jetzt auch einen Bogen haben, was ich sehr gut finde. Die haben diese Aufgabe ein wenig übernommen und haben ja auch schon diverse Aktionen gemacht, die auch gefördert wurden und so gesehen auch im Rahmen dieses Projekts passiert sind.

dérive: Ursprünglich gab es ja den Plan mehrere Vereine, z.B. Echo, anzusiedeln.

Tillner: Ja, Echo wäre sehr gut gewesen, das hätte genau in unser Konzept gepasst und wir haben da auch sehr viele Gespräche geführt. Das Problem bei vielen dieser Projekte, die ja nicht kommerziell ausgerichtet sind und deswegen auf Förderungen von der Stadt angewiesen sind, war, dass unterschiedliche Magistratsabteilungen damit befasst waren, die nicht bereit waren, die Förderungen zu gewähren. Im Falle von Echo war das z.B. die Integrationsstadträtin. Es wurde auch versucht, Einfluss auf die Entscheidungen zu nehmen, aber man kann einer Stadträtin nicht in ihr Ressort hinein pfuschen und ihr vorschreiben, was sie zu fördern hat. Es gab halt gewisse Gründe, warum Echo nicht dort gefördert werden sollte. Es gab auch vom WUK ein Arbeitslosenprojekt. Die Bögen hätten diese Vereine eh fast geschenkt bekommen, aber gewisse Investitionen hätten sie selber bezahlen müssen, was ihnen ohne Förderungen, aber nicht möglich war. Aber, um noch einmal auf die Mittelzone zurückzukommen, will ich betonen, dass es allen Betrieben sehr wichtig war, dass sie diesen Bereich nutzen können und das Chelsea und das Rhiz machen ihre Haupteinnahmen mit den Schanigärten. Das B72 hat Probleme mit den Öffnungszeiten für den Schanigarten und deswegen im Sommer sehr zu kämpfen. Ich versuche gerade, dass die Öffnungszeiten für das B72 verlängert werden. Mir war es sehr wichtig, den Betrieben dieser neuen Kulturszene das ökonomische Überleben zu ermöglichen, indem sie die Mittelzone nützen können. Da spielt das Licht auch wieder eine wichtige Rolle.

dérive: Mir ist trotzdem nicht ganz klar, wieso ein Parkkonzept umgesetzt wurde. Es gibt sehr viele Rasenflächen, durch die Parkbänke wird der Schwerpunkt auf Sitzen und Schauen gelegt. Aktivitätspunkte gibt es ausschließlich vor den Lokalen. Die Dynamik die für den Gürtel typisch ist, wird in der Freiraumgestaltung nur peripher berücksichtigt. Die Grünflächen nehmen den Großteil der Fläche ein. Wieso wurden nicht mehr Aktivitätspunkte gesetzt?

Tillner: Es war eine Idee, der Dynamik und Geschwindigkeit des Gürtels die Mittelzone, welche zum Verlangsamen und Verweilen einlädt, entgegenzusetzen. Ich habe auch vor dem Umbau sehr viel Zeit am Gürtel verbracht und im Sommer gesehen, dass sich ausländische Familien, trotz der wenig einladenden Atmosphäre, auf die Bänke gesetzt haben und die Kinder zwischen den Autos Rollschuh gelaufen sind. Im 15., 16. und 17. Bezirk gibt es einen so eklatanten Grünraummangel, dass die Leute, die dort in den überfüllten Wohnungen wohnen, den Gürtel als Naherholungsraum nützen, so absurd das klingen mag. Das Sitzen und Schauen hat seine Berechtigung und die Bänke werden auch absolut angenommen. Jetzt sind sie halt bequemer als vorher und schauen schöner aus. Es war unsere Strategie, zuerst die Nachtnutzung zu ändern, weil das Nachtimage das Problem des Gürtels war, das jeder im Kopf hatte. Es war die Strategie mit der Tagesnutzung, erst zu beginnen, wenn sich die Nachtnutzung etabliert hat, und das passiert jetzt gerade. Wir haben also mit der Nachtnutzung, den Livemusiklokalen, angefangen, und mir war klar, dass die Tagnutzung viel schwieriger wird. Damit ein Geschäft überleben kann, braucht es eine gewisse Passantenfrequenz, und die gibt es derzeit nicht. Jetzt sperrt das erste Lokal auf, das auch tagsüber geöffnet hat, dann kommt ein Mountainbikegeschäft. Es wäre viel zu riskant gewesen, mit einem Geschäft zu beginnen, weil wenn das eingegangen wäre, hätten wir ein Image des Scheiterns gehabt. Deswegen sind tagsüber wenig Leute, in der Nacht sind sehr viele junge Leute unterwegs - es ist alles voll. Meine Vorstellung ist, dass das bei Tag auch einmal so sein wird. Es fehlt einfach noch die kritische Masse an Attraktoren.
Bezüglich der Grünzonen hat das Stadtgartenamt hat die Meinung vertreten, dass das ein Abstandsgrün ist und es ganz in Ordnung ist, so wie es ist, und man nichts machen braucht und soll. Es war ein langer Kampf für mich, zu den Nebenfahrbahnen und Grünflächen überhaupt ein Statement abgeben zu dürfen. Obwohl es sehr kleine Flächen sind, habe ich die Landschaftsplanerin DI Cordula Loidl-Reisch beauftragt sich mit diesen Grünzonen zu beschäftigen, und sie hat auch sehr schöne Vorschläge gemacht. Das Problem war halt immer die Finanzierung. Obwohl die Vorschläge auf die Gürtelproblematik eingegangen sind - z.B.. Hunderesistenz -, wurden sie nur marginalst in kleinen Bereichen verwirklicht. Man sieht es jetzt noch nicht, aber bei der Station Nussdorferstraße werden ihre Vorschläge umgesetzt. Dort gab es sehr viele unnütze Asphaltflächen und Straßenbahngleise, die alle wegkommen. Wir haben unzählige Gespräche über Bewegungsspiele wie z.B. Rollerbladebahnen geführt. Das Problem ist bei all diesen Dingen, dass es schwierig ist, Bereiche in denen z.B. das Rollerskaten jetzt möglich ist, als solche zu definieren, indem ein Tafel hingestellt wird. Die Wirtschaftsbetriebe haben darauf bestanden, eine ganztägige Ladezone zu haben. Wenn eine Fußgängerzone eine ganztägige Ladezone ist, dann kann ich sie nicht fürs Skaten adaptieren. In den Grünflächen hat die MA 42 (Stadtgartenamt) sämtliche Vorschläge in diese Richtung abgelehnt. Ich wollte z.B. auch mehrere Kiesflächen machen, wie es jetzt eine beim Rhiz gibt, weil sie sehr gut aussehen und auch funktionell sind, aber diese wurden wegen Schwierigkeiten beim Rasenmähen oder der Reinigungsproblematik abgelehnt. Meine Idee wäre gewesen, überall wo Wege zusammen kommen, Kiesflächen und nicht Rasenflächen zu machen, aber das war nicht durchzusetzen.

dérive: Warum sind vor dem Tageszentrum für Obdachlose keine Sitzmöglichkeiten bzw. sind sogar die Flächen, die nur wenig weiter beim Rhiz intensiv als Sitzgelegenheiten genutzt werden, so gestaltet, dass es das Sitzen verunmöglicht?

Tillner: Das ist wirklich interessant, weil es jemand Außenstehender so sieht. Es gibt da eine lange Geschichte dazu. Vorher waren ja diese äußerst gefährlichen, spitzen »Bischofskappen«, die dazu geführt haben, dass sich die Obdachlosen in die Erde setzen mussten und dadurch schmutzig wurden. Ich fand das furchtbar unmenschlich. Mein Vorschlag war, aus der Betoneinfassung eine Sitzbank zu machen, mit einem durchgehenden Lattenrost. Das war schon genehmigt und wir waren bereits am Bauen, da hat die MA 12, die Betreiberstelle des Tageszentrums, Briefe bis an den Bürgermeister geschrieben, dass das nicht gebaut werden darf, weil sie dann Schwierigkeiten bekommen. Sie sind schon so oft durch ganz Wien getrieben worden, und es kam immer zu Beschwerden von Anrainern, worauf sie gekündigt wurden. Nun seien sie endlich an einem Ort, wo es keine Schwierigkeiten gibt, und wenn es dort eine Sitzbank gibt, dann sitzen die Obdachlosen dort und die Bürger regen sich auf, und sie werden wieder vertrieben, weswegen wir das nicht machen sollen. Obwohl alles schon bestellt war, kam es zu einem Baustopp. Die MA 12 verlangte, dass diese Spitzen wieder angebracht werden sollten. Wir haben uns geweigert, diese Spitzen, nachdem wir sie gerade weggerissen hatten, wieder hinzubauen. Dann haben sie Stacheldrähte und ähnliches verlangt. Die dicke, runde Stange, die jetzt dort ist, konnten wir gerade noch durchsetzen, auf der man zumindest sitzen kann ohne sich weh zu tun. Das ist wirklich eine traurige Geschichte, die aber wirklich von den Betreibern des Tageszentrums ausgegangen ist. Am Gürtel werden sie jetzt so halbwegs geduldet, sodass sie jegliche Veränderung als Gefährdung ihrer Existenz sehen, so interpretiere ich das. Die haben mir gesagt, dass dadurch, dass sie täglich dort arbeiten, die Situation sehr gut kennen, und das muss ich dann auch akzeptieren. Sie haben auch dort sehr viele Beschwerden, und wenn sie wegen der Sitzbänke noch mehr Beschwerden bekommen, dann fliegen sie halt dort vielleicht auch wieder raus. Ich kann diese Angst auch nachvollziehen, weil ich im Rahmen meiner Arbeit sehr oft gefragt worden bin, ob wir die Nichtsesshaften »eh raushauen«. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich für die Nichtsesshaften eine Laube gebaut.

dérive: Steht damit auch die Tatsache, dass am Uhlplatz keine Sitzbänke sind, im Zusammenhang?

Tillner: Ja genau! Ich habe von Anfang an geplant, dort Sitzbänke zu machen, und jedes Mal, wenn ich dort bin, werde ich gefragt, warum da keine Sitzbänke sind. Ich war wegen dieser Sitzbänke inzwischen vier mal bei der Bezirksvorsteherin. Da gibt es eine Partei, ich glaube ich brauche nicht sagen welche, die befürchtet, dass die Obdachlosen vom Tageszentrum herüberkommen und sich am Ulmplatz hinsetzen. Ich habe dann gesagt, sie sollen es wenigstens versuchen, Bänke aufzustellen, es ist ja kein Aufwand, die Bänke wieder wegzustellen, falls es zu Problemen kommt. Aber ich glaube ja, dass die Obdachlosen gar nicht herüber kommen, weil die sind ja sehr schüchtern. Jetzt war wieder eine Abstimmung bei der Bezirksentwicklungskommission, die fünf zu fünf ausgegangen ist. Der Vorsitzende hat dann dagegen gestimmt. Insgesamt ist das ein Trauerspiel und ich wundere mich oft, dass überhaupt was passieren konnte. Der Gürtel liegt im Kompetenzbereich von zehn verschiedenen Bezirken und da gibt es dann nicht nur die Bezirksvorsteher, sondern auch noch die Bezirksentwicklungskommissionen und die Bezirksverkehrskommissionen, die bei jedem einzelnen Abschnitt mitentscheiden können. Ich finde, dass, so gesehen, doch sehr viel passiert ist, weil es so viele unterschiedliche Interessen gab, und jeder nur seinen eigenen Bereich sieht. Das war ja nicht nur ich, da hat ein ganzes Heer von Beamten an der Umsetzung gearbeitet. Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist halt eine interaktive, und die Interessen der einzelnen Gruppen sind ja auch berechtigt.

dérive: Hat es Möglichkeiten gegeben, diesen Diskurs zu beeinflussen?

Tillner: Es hat immer wieder große Diskussionsrunden gegeben, wenn wieder einzelne Themen lanciert wurden. Die hat der Senatsrat Brodesser, der die Leitung für die EU-Förderungen hatte, einberufen. Da wurden die Bezirksvorsteher und die jeweils Betroffenen eingeladen. Es hat z.B. einmal im Rhiz eine Diskussionsrunde mit den »alten« Mietern gegeben. Er hat versucht, als eine Art Mediator zu agieren, und die Wege zu den Problemlösungen zu ebnen. Nur das ist jetzt, mit dem Auslaufen des EU-Projekts zu Ende. Er ist zwar nach wie vor für EU-Projekte zuständig, aber nicht mehr für den Gürtel.

dérive: Ein großes Thema des Projekts war ja auch die Sicherheit im öffentlichen Raum. Mich würde interessieren, wie dieses Thema in der Analyse behandelt wurde, und wie sie persönlich das definieren.

Tillner: In Wien ist Sicherheit im öffentlichen Raum ja keineswegs so ein Problem wie z.B. in amerikanischen Städten, sondern hat eher mit psychischem Wohlbefinden zu tun: gehe ich da gerne, fühle ich mich wohl. Es ist so, dass die Gürtelanrainerinnen ja fast alle die U6 benützen und oft weite Wege haben. Wir haben gemeinsam mit Mitarbeiterinnen vom Frauenbüro nächtliche Begehungen gemacht, und das war schon sehr unangenehm. Es war stockdunkel, die Bögen waren zugemauert, durch die Pfeiler sind dunkle Nischen entstanden und da sind sehr wohl irgendwelche Typen gelehnt und haben alles mögliche gemacht. Wir haben auch gesehen, dass sich Zuhälter mit ihren Handys in den Büschen versteckt haben und von dort, die vis-à-vis gelegenen Bars beobachtet haben. Ich habe bei einer dieser Begehungen Fotos gemacht, und als der Typ das gemerkt hat, ist er aus dem Busch herausgesprungen. Dieses Erlebnis hat dann sicher auch dazu geführt, dass wir nur beschnittene Hecken, die nicht höher als einen Meter sind, gepflanzt haben, wie z.B. bei der Thaliastraße. Die Beleuchtung der Fußwege war auch sehr wichtig, und die ist jetzt auch heller als auf irgendeinem anderen Fußweg in Wien. Die Strahler sind alle 10 Meter und dadurch ist das Licht wesentlich intensiver als bei anderen Wegen. Auch die Glasfassaden spielen da eine wichtige Rolle. Es ist eine soziale Kontrolle gegeben, dadurch dass die Leute aus den Lokalen hinaus sehen können und die Wege hell erleuchtet sind. Die Randzone ist ja nach wie vor problematisch, weil dort gibt es Peep-Shows und ähnliches, und wenn ich da nicht so gerne vorbei gehe, dann habe ich jetzt die Mittelzone als Alternative. Das war ein ganz wichtiger Faktor und beruht wirklich auf eigenen Erlebnissen bei nächtlichen Begehungen. In allen Bezirken gab es Beschwerden, vor allem von den Hundebesitzern, dass es in der Nacht so unheimlich und dunkel ist. Die Hundebesitzer waren die einzigen, die zwangsweise in der Nacht am Gürtel unterwegs waren. Das Licht war die erste Maßnahme bei der es ganz positive Reaktionen von der Bevölkerung gegeben hat. Es gab sofort in allen Bezirken positives Feedback.

dérive: Was ist z.B. mit dem Bereich zwischen Volksoper und dem neuen AKH, wo sich jetzt eigentlich noch gar nichts tut. In den Bögen stehen ja noch Autos. Wie gehen Sie mit der Situation dort um?

Tillner: Das ganze ist ein Phasenplan und es geht ja noch weiter bis zum Gaudenzdorfer Knoten. Das EU-Projekt dauerte von 1996 bis 1999, und es gab nur ein beschränktes Budget, weswegen es zu Beginn nur Interventionen in bestimmten Zonen geben konnte, die Aufgrund der Anzahl der leerstehenden Stadtbahnbögen ausgewählt wurden. Die Fragestellung beim Nutzungskonzept war, wo kann ich gleichzeitig in und vor den Bögen etwas machen. Das war zwischen Thalia- und Josefstädterstraße sehr gut möglich und zwischen Nussdorferstraße und Canisiusgasse. Weiters der Stationsbereich Währingerstraße / Volksoper, der Uhlplatz und der Urban-Loritz-Platz. Das waren die Bereiche, wo uns klar war, dass wir für die geringsten Investitionen den größten Effekt bekommen. Bezüglich Sicherheit kann ich noch sagen, dass mir die Leute vom B72, die sicher nicht sehr ängstlich sind, sagen, dass sich ihre Gäste und auch die auftretenden Musiker dort fürchten, weil es immer noch so dunkel ist. Die wollen unbedingt das Licht haben und versuchen alles, damit ihr Bereich auch hell erleuchtet ist. Das hat mich dann auch überrascht, weil ich dachte immer, das Unsicherheitsgefühl betrifft nur Frauen, aber es trifft eigentlich jeden. Wenn ich die Bögen beleben will, muss ich zuerst die Infrastruktur dafür schaffen. Es gibt keinen Kanal, kein Wasser, Strom gibt's nur genug für eine Glühbirne pro Bogen, das muß alles zugeleitet werden, und das kostet sehr viel Geld. ich nenne das halt den Lückenschluss, wo als nächstes etwas passieren sollte. Das kann ich als Planerin jetzt so locker sagen, aber da muss sich erst jemand dazu bekennen und auch die Mittel zu Verfügung stellen.

dérive: Danke für das Gespräch


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