Traumhauskataloge
What happened to the dream of the factory-made house?Eine ganze Architektengeneration träumte vom factory-made house[1], vom Haus aus der Fabrik. Im Serienbau sollte sich schnelle und preisgünstige Fertigung mit hohen gestalterischen Standards verbinden, damit qualitätvoller Wohnraum im Eigentum jedermann zugänglich, also normal werde. Doch stattdessen wurde das Fertighaus[2] in mehrfacher Hinsicht ex-zentrisch. Zunächst steht es, in unmittelbar räumlichem Sinne, in der Regel außerhalb der Zentren unserer Städte und trägt – als Produkt und Motor der Suburbanisierung – dazu bei, dass Baugebiete in immer größerer Entfernung zu Stadt- oder Subzentren ausgewiesen werden. Zum anderen spiegelt sich im Begriffspaar der ex-zentrischen Normalität die Dialektik von Individualisierung und Standard, in der sich der kommerzielle Eigenheimbau in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Die Gestaltungsspielräume, die sich dem Kunden heute durch die Potenziale der Mass Customization eröffnen, ermöglichen und erfordern eine jeweils individuelle, jedoch meist auf repräsentative Standards bezogene (Fassaden-)Gestaltung der Gebäude. Auf diese Weise oft exzentrisch anmutend, hat das Fertighaus heute keinen Platz mehr im Zentrum des Architektur- und Kulturdiskurses, dafür in Publikumszeitschriften, Traumhauskatalogen und Einrichtungsmagazinen.
Vgl. Herbert 1984: The dream of the factory-made house. Walter Gropius and Konrad Wachsmann. ↩︎
Die Begriffe Fertighaus, industriell gefertigtes Haus, Markenhaus etc. werden unter diesem Begriff zusammengefasst und in der Folge unabhängig von Leicht- oder Massivbauweise synonym verwendet für Ein- und Zweifamilienhäuser, die über einen hohen Vorfertigungsgrad verfügen und über ein Hausbauunternehmen vertrieben werden. ↩ ↩︎
Eine ganze Architektengeneration träumte vom factory-made house[1], vom Haus aus der Fabrik. Im Serienbau sollte sich schnelle und preisgünstige Fertigung mit hohen gestalterischen Standards verbinden, damit qualitätvoller Wohnraum im Eigentum jedermann zugänglich, also normal werde. Doch stattdessen wurde das Fertighaus [2] in mehrfacher Hinsicht ex-zentrisch. Zunächst steht es, in unmittelbar räumlichem Sinne, in der Regel außerhalb der Zentren unserer Städte und trägt – als Produkt und Motor der Suburbanisierung – dazu bei, dass Baugebiete in immer größerer Entfernung zu Stadt- oder Subzentren ausgewiesen werden. Zum anderen spiegelt sich im Begriffspaar der ex-zentrischen Normalität die Dialektik von Individualisierung und Standard, in der sich der kommerzielle Eigenheimbau in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Die Gestaltungsspielräume, die sich dem Kunden heute durch die Potenziale der Mass Customization eröffnen, ermöglichen und erfordern eine jeweils individuelle, jedoch meist auf repräsentative Standards bezogene (Fassaden-)Gestaltung der Gebäude. Auf diese Weise oft exzentrisch anmutend, hat das Fertighaus heute keinen Platz mehr im Zentrum des Architektur- und Kulturdiskurses, dafür in Publikumszeitschriften, Traumhauskatalogen und Einrichtungsmagazinen.
Für Le Corbusier war die Erarbeitung von Idealtypen für bestimmte Bauaufgaben und deren nachfolgende Verbreitung als Standardtypen eine der wichtigsten Aufgaben der Architektur: »Um an das Problem der Perfektion heranzugehen, müssen Typen entwickelt werden. (...) Einen Standard entwickeln heißt alle praktischen und vernünftigen Möglichkeiten erschöpfen, heißt einen als zweckgerecht erkannten Typ auf ein Höchstmaß an Leistung und ein Mindestmaß an aufzuwendenden Mitteln (...) zu bringen. (...) Typen (...) entstehen aufgrund eines richtig gestellten Problems. (...) Eine durch Ausleseprozesse entstandene Standardlösung ist eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit.« Aus der Verbindung einer solchen Kulturleistung mit sozialer Verantwortung erwachse, wie er am Bespiel des Parthenon belegt, wie von selbst alles überragende Schönheit – für ihn ein »lebensnotwendiger Luxus« (Le Corbusier 1991, S. 174).
Le Corbusier argumentiert hier als Vertreter einer ganzen Generation von Architekten, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts – getragen von einem noch wesentlich positiv besetzten Fortschrittsdenken und vor dem Hintergrund einer noch stark handwerklich geprägten Bauwirtschaft – geradezu euphorisch auf die Potenziale der Industrialisierung blickten. Überzeugt von der Wirksamkeit künstlerisch-planerischer Eingriffe im Dienste einer sich freiheitlich entwickelnden Gesellschaft, bezieht er die Forderung nach Standards nicht allein auf technische und baukonstruktive Überlegungen, sondern auch auf wirtschaftliche, soziale und – ganz besonders – auf gestalterische Fragen. Durch den Serienbau endlich würde das Haus von ideologischem und sentimentalem Ballast befreit und »nicht mehr dieses schwerfällige Ding sein, das den Jahrhunderten trotzen will und das nur als Putzobjekt zum Prahlen mit dem Reichtum fungiert: es wird ein Werkzeug sein, so wie das Auto ein Werkzeug geworden ist.« Doch mehr denn je entstehen dank vorgefertigter Bauweisen in unseren Vorstädten Eigenheime, die der Visionär wohl als »Nachsommergedichte« verachtet hätte (Le Corbusier 1991, S. 174). Aus dem Traum vom factory-made house ist das Traumhaus aus dem Katalog geworden.
Das Ziel der Entwicklung hoher und zugleich erschwinglicher (technischer, konstruktiver und gestalterischer) Wohnstandards ist – nicht nur – im Fertighausbau dem derexzentrischen Individualisierung des Einzelbauherren gewichen. Die Möglichkeiten der Individualisierung richten sich dabei weniger auf plastisch-räumliche als auf formale Aspekte, und ihre Architektur bemüht, anders als von Le Corbusier angenommen, statt einer rationalen Formensprache ein vorzugsweise traditionsgesättigtes Stilrepertoire. Damit finden wir Le Corbusiers Annahme, der Serienbau würde den Hausbau von seiner Schwere und Pietät befreien, um neue, pragmatische, nüchterne Gebäude überragender Schönheit zu zeitigen, geradezu in ihr Gegenteil verkehrt.
Während in Bezug auf technische Faktoren längst hohe und teils normierte Qualitätsstandards erwünscht sind und geboten scheinen (kein Anbieter versäumt es, auf erworbene Prüf- und Gütesiegel seiner Produkte zu verweisen), wollten und wollen sich die HauskäuferInnen mit einer standardisierten Architektur der Gebäude, die Serialität und industrielle Fertigung auch gestalterisch ausdrückt, nicht identifizieren. Entsprechend konnten sich im Fertighausbau allein in technischer Hinsicht einheitlich hohe Qualitätsstandards etablieren, während in Bezug auf die Gestaltung eben nicht in die Entwicklung gestalterisch anspruchsvoller Typenhäuser investiert wurde, sondern vor allem in eine (scheinbar) größere Gestaltungsfreiheit der KundInnen. FertighauskundInnen können heute, so die Werbung der AnbieterInnen, ihr eigenes Heim frei nach ihren eigenen Wünschen gestalten.
Aus dieser Zielsetzung ergibt sich – in Verbindung mit einer Bauleitplanung, die der Isolation der Parzelle Vorrang einräumt gegenüber beispielsweise verdichteten Bauweisen mit entsprechend höherem Abstimmungsbedarf – eine Diskrepanz zwischen dem Gestaltungswillen des Einzelnen und einem gesamtgesellschaftlichen Interesse, demzufolge unsere gebaute Umwelt als Lebensraum und Bestandteil unserer Kultur definierte räumliche und gestalterische Qualitäten besitzen sollte. Genau dieses gesamtgesellschaftliche Interesse ist es, welches Le Corbusier in die Forderung nach einer nach seinen Vorstellungen gestalteten Umwelt selbstbewusst impliziert und auf eine Stufe mit wirtschaftlichen und sozialen Überlegungen stellt.
Den Interessenskonflikt zwischen Individuum und Gesellschaft erläutert anschaulich Sigmund Freud in seinem Aufsatz Das Unbehagen an der Kultur von 1930 (vgl. Freud 1994). Freud benutzt den Begriff des Unbehagens als Synonym für Unruhe, Unglück oder Unzufriedenheit angesichts einer Kulturleistung, deren Erlangen unmittelbar an Verzicht und damit an einen Mangel an Glück gebunden sei. [3] Das so definierte Unbehagen wohne in jedem von uns. Es resultiere aus einem »untilgbaren Kern der Kulturfeindseligkeit«, darin begründet, dass »jede Kultur auf Arbeitszwang und Triebverzicht beruht und darum unvermeidlich eine Opposition bei den von diesen Anforderungen Betroffenen hervorruft« (Freud 1991,
S. 331). Damit ergibt sich für Freud die Frage, wie viel Individualität eine Kultur zulässt – und umgekehrt: in wie weit dem Einzelnen Zugeständnisse an die Kultur abzuverlangen sind. Analog stünden der Eigenheimwunsch und der individuelle Gestaltungswille des Bauherren uns der Bauherrin auf der Trieb-Seite gegen die Anforderungen der Gemeinschaft an die gebaute Umwelt auf der Kultur-Seite.
Standard-Träume
Der Erfolg des kommerziellen Eigenheimbaus ist nicht allein durch objektive Faktoren wie beispielsweise Kosten- und Terminsicherheit oder hohe baukonstruktive und bauphysikalische Standards erklärbar – hier hat die Branche im Gegenteil noch mit diversen Vorbehalten zu kämpfen.[4] Zusätzlich werden hier wohl Bedürfnisse angesprochen, deren Erfüllung ArchitektInnen nicht oder nicht mehr zugetraut wird. Und in der Tat erscheint die Sorge, letztere seien stattdessen primär an der Realisierungeigener Träume interessiert, nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Aufschluss über die Beschaffenheit dieser Bedürfnisse gibt die Betrachtung der Gestaltung und Vermarktung der Gebäude – und zwar aus kulturtheoretischer Perspektive, hat sich doch das Fertighaus spätestens seit den 1990er Jahren vom zweckmäßigen, preiswerten »Haus
für Jedermann« zu einem High-End-Produkt mit Statusangst kompensierender Ausstrahlung entwickelt. Mit dem Angebot des »Alles-aus-einer-Hand« gehorcht es umfassenden, am Konsumenten und der Konsumentin orientierten Marketingkonzepten: von der Möglichkeit des Hauskaufs im Supermarkt über Angebote wie Farb-, Stil- oder Feng-Shui-Beratung bis hin zu Werbeaktionen wie der wöchentlichen Verlosung eines Traumhauses in der ARD-Fernsehlotterie – mit freundlicher Unterstützung prominenter Werbeträger, seien es Sissi, der FC Bayern München oder Jette Joop.[5]
Die Entwicklung derartiger Strategien fußt auf der Erkenntnis, dass im»Kauf eines Hauses (...) unausgesprochen ein ganzer Lebensplan und Lebensstil inbegriffen sind« (Bourdieu 2002, S. 41). Folgerichtig geht es bei der Vermarktung von Fertighäusern immer weniger um ihren Gebrauchswert als vielmehr um nicht-käufliche, kaum quantifizierbare Glücksversprechen: Lebensqualität, Lebensfreude und Lebensstil. Damit verlieren dem Eigenheimbau zugrunde liegende Zielvorstellungen – beispielsweise selbst bestimmtes, naturnahes Wohnen, materielle Sicherheit und Ausdruck der eigenen Identität – an Rationalität und nehmen immer mehr den Charakter kompensatorischer Projektionen an. So erfolgt der Rekurs auf Sigmund Freud auch in dieser Hinsicht nicht zufällig. Im Spannungsfeld zwischen Bedürfnis und Projektion, Trieb und Kultur, Individuum und Gesellschaft interessiert, mit welchen Bildern die Kunden überzeugt werden.
Tatsächlich ist es die Erfüllung individueller Wohnträume, die in der Werbung der AnbieterInnen vordringlich kommuniziert wird, schon um den Ursprung des vorgefertigten Hauses aus serieller Produktion vergessen zu machen. So werden in der Fertigung die Spielräume, die sich durch die heutigen Anwendungen der CAD- und CNC-Technik eröffnen, genau in diesem Sinne entwickelt, sie ermöglichen eine Differenzierung des Angebots unter Beibehaltung der seriellen Produktion. Sie individualisieren Standardlösungen – und standardisieren Individualität. Dennoch erscheint das Hausangebot im Überblick seltsam uniform. Woran liegt das?
Standard-Bilder
Im Allgemeinen ergibt sich im Eigenheimbau aus der Kombination der stets ähnlichen Nutzungsvorgaben des Wohnens und der Notwendigkeit, entsprechend der Nachfrage [6] und den Vorgaben aus der Bauleitplanung [7] eine maximale Quadratmeterzahl Wohnfläche auf minimaler Grundfläche zu realisieren, eine beschränkte Anzahl typologischer Möglichkeiten. Deren formale Differenzierung muss sich innerhalb eines allgemeinverständlichen und damit schwerlich individuellen Vokabulars bewegen, will sie der Vielzahl abstrakter Wunschvorstellungen und zugleich dem allgemein adressierbaren Anspruch auf Repräsentation genügen, der mit dem eigenen Heim seit jeher verknüpft ist.
Das Wohnen im Eigenheim verbindet konkrete Vorzüge wie Anpassungsmöglichkeiten an individuelle Bedürfnisse, Schutz vor Vermieterwillkür und materielle Sicherheit, vor allem im Alter, mit Assoziationen an Eigenschaften wie Unabhängigkeit, Freiheit und Autonomie. Konnotiert mit konservativen Werten wie Konsumverzicht, Sparsamkeit, Disziplin, Arbeitseinsatz und langfristiger Planung wird es entsprechend als Ausdruck einer gelungenen Biografie gewertet, wie Studien belegen (Vgl. BBR 2001, S. 19f.). Damit veranschaulicht der Besitz eines Einfamilienhauses individuellen Lebenserfolg und gesellschaftlichen Aufstieg und erfüllt so die Funktion eines Statussymbols. Doch durch die zunehmende Verbreitung des Eigenheimes, für die das Fertighaus als deren Produkt und Motor wesentlich mit verantwortlich gemacht werden kann, relativiert sich diese repräsentative Funktion. Nun wird zur Darstellung von Rangunterschieden ein Sekundär-Mechanismus in Gang gesetzt: Das ursprünglich preiswerte Haus muss nun teurer und größer wirken, um über die Exposition finanzieller Potenz und die Prätention eines hohen Bildungsniveaus den sozialen Rang des Eigners zu behaupten (vgl. Bourdieu 1987, insbes. S. 120 – 125, 500 – 513).
Die Werbeversprechen der Hausanbieter, ihren Kunden zum maßgeschneiderten Traumhaus nach ihren individuellen Wünschen und Vorstellungen zu verhelfen, zielen vermehrt auf dieses Repräsentationsbedürfnis ab. Sie schmeicheln den BauinteressentInnen in ihrem Bedürfnis nach Außendarstellung der Einmaligkeit und Bedeutsamkeit ihrer Person. Gleichzeitig bietet ein in immer mehr Geschmacksrichtungen differenziertes Angebot dem Kunden zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Identifikation.
Dabei aktiviert die Bildsprache der Gebäude Vorbilder – ob alpin oder norddeutsch, mediterran oder skandinavisch, modern oder ökologisch –, die ihrerseits standardisiert, in allen Bereichen der Werbung unablässig reproduziert werden. Diese Bilder illustrieren Traumwelten: von Erinnerungen an gelebte Orte zwischen »mediterranem Flair« und »coolem Ambiente« bis zu Phantasien von Schlössern und Gärten der Schönen und Reichen (vgl. dazu den Beitrag von Saskia Hebert in diesem Heft). Einrichtungsmagazine, Möbelhaus-Kataloge, Boulevard-Presse, Reiseführer, Werbe- und Fernsehfilme sind gleichermaßen von ihnen bestimmt. Gegenwärtig wirksam sind hier populäre Fernsehproduktionen wie Inga-Lindström- und Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, der »Landarzt«, das »Schloss am Wörthersee«, oder Panoramen, die sich dem Leben kalifornischer, texanischer und italienischer Dynastien widmen. Kochshows, arrangiert um hochglanzpolierte Küchenblocks, setzen Maßstäbe für ein neues Wohlfühl-Zuhause. Zahlreiche Deko-Soaps, von verschiedenen Sendern mehrmals täglich ausgestrahlt, bedienen die so geweckten Wohnsehnsüchte: als Einrichtungsratgeber mit einer Portion Familienschicksal geben sie praktische Tipps und Anleitungen, wie diese Traumwelten in den eigenen vier Wänden zu adaptieren sind.
Standard-Teile
Das handwerkliche und das industriell gefertigte Produkt unterscheiden sich vor allem in der Umwertung der Bedeutungshierarchie zwischen der jeweils primären, der eigentlichen Funktion und der jeweils sekundären, der Zeichenfunktion. Ein solcher Paradigmenwechsel ist auch kennzeichnend für die Kommerzialisierung im Einfamilienhausbau, die das Eigenheim in eine Ware und den Hausbau in eine Dienstleistung verwandelt – in den Augen der meisten HausanbieterInnen ein Schritt, auf den sie nicht ohne Stolz zurückblicken. Dieser zwingt sie allerdings zu einer zunehmend systematischen Verwertung der Produktgestalt, um innerhalb eines stetig wachsenden Marktes konkurrenzfähig zu bleiben (vgl. auch Baudrillard 2001, S. 16).
Voraussetzung hierfür ist die Annäherung der Bedingungen von Produktion und Vertrieb an die anderer Branchen, zum Beispiel der Automobil-, der Möbel- oder der Bekleidungsindustrie. Diese wurden ursprünglich unter dem Stichwort mass customization subsumiert. Hierin verbunden sind mass production und customization, was sich nur schwerlich etwa mit kundenindividueller Serienproduktion übersetzen ließe und bedeutet, dass mit Blick auf den Fortgang der technischen Entwicklung und unter Berücksichtigung bestimmter Parameter ein individualisiertes Kleidungsstück, Möbel oder Auto ähnlich schnell und preiswert herzustellen ist wie ein in Serie produziertes. Die Unterscheidbarkeit muss sich dabei oftmals auf Nuancen (vgl. auch Bourdieu 1987) konzentrieren. Aus diesem Grunde bieten beispielsweise AutoherstellerInnen eine schier unendliche Farbpalette an – in einfacher oder doppelter Lackierung – sowie verschiedenste technische Finessen und Varianten der Zusatzausstattung. Der Konsument wird mit der Illusion sediert, er erwerbe ein einzigartiges Modell.
Die Übertragung dieses Prinzips auf den Hausbau führt dazu, dass dank modernster Technik eine auf industrialisierten und rationalen Planungs- und Bauvorgängen basierende, preiswerte Fertigung nicht mehr im Widerspruch zur Verwirklichung scheinbar individueller BauherrInnenwünsche stehen muss. Die HausherstellerInnen bieten ihren KundInnen auf diese Weise angeblich maßgeschneiderte Produkte zu moderaten Preisen an, was die Attraktivität des Angebots steigert. Zugleich können sie die Informationen, die die KundInnen zum Konfigurationsprozess beisteuern, für die Entwicklung weiterer Produkte einsetzen, also Marktforschung betreiben, und damit schließlich doppelt profitieren.
Das Internet bietet hier die ideale Schnittstelle zwischen Kundschaft und Verkäufer/in: die Websites der Firmen informieren nicht nur stets aktuell über das Angebot. Interaktive »Hauskonfiguratoren« ermöglichen potenziellen HauskäuferInnen zudem, verschiedene Grundrissvorschläge durch Erker oder Wintergärten zu erweitern und wahlweise mit Sattel- oder Walmdach und der gewünschten Stilrichtung von »klassisch« bis »modern« zu versehen. Das Ergebnis kann unter Angabe des Festpreises ab Oberkante Bodenplatte innerhalb weniger Sekunden in 3D-Simulation perspektivisch in Augenschein genommen werden. Ergebnis ist nicht selten ein Eklektizismus unterschiedlicher Vorbilder, Stile und Elemente. Dieser kennzeichnet nicht nur die Architektur der Häuser selbst, sondern auch die Katalogsprache der Firmen, in der sich Aussagen zur Architektur allein auf das »Erscheinungsbild«, das »Flair« des Hauses, das »Ambiente« der Wohnung beziehen.
Standard-Sprache
Eine Vermarktung des Produktes Eigenheim über Katalog oder Internet muss im Hinblick auf die dort noch anonyme Kundschaft notwendig allgemein gehalten sein. Hierzu gehört die Darstellung einer möglichst großen Bandbreite an Häusern, um möglichst viele InteressentInnen anzusprechen. Die meisten AnbieterInnen verweisen daher auf eine Fülle von Referenzprojekten, die sie jedoch auf keinen Fall als Typenhäuser verstanden wissen wollen. So werden die dargestellten Eigenheime gemeinhin auch nicht als »Haustypen«, sondern als »Hausbeispiele« oder »Vorschlagsentwürfe« bezeichnet, verbal in »Modellreihen«, »Hauswelten« oder »Stilrichtungen« untergliedert, während der Begriff »Typenbezeichnung« vermieden wird. Die systematische Auflistung dieser »Beispielhäuser« führt jedoch dahin zurück. Spätestens hier erwachsen Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Umsetzbarkeit des Werbeversprechens, jedem Kunden und jeder Kundin sein und ihr individuelles Traumhaus auf den Leib zu schneidern.
Dabei ist das Bestreben durchaus nachvollziehbar, KlientInnen Orientierungshilfen und Identifikationsmöglichkeiten im unübersichtlichen Häusermarkt bieten zu wollen. Allein auf den Internetseiten der im Bundesverband Deutscher Fertigbau organisierten HerstellerInnen sind derzeit über tausend Hausbeispiele aufgeführt. So ersetzen zunächst klangvolle Namen sachliche Bezeichnungen für die verschiedenen Gebäudekategorien: Doppelhäuser heißen beispielsweise Duett, Pasodoble oder Twin, der seniorengerechte eingeschoßige Bungalow wird unter dem Label Fifty5 verkauft. Damit diese Qualifizierungen sich in der Fülle des Angebots durchsetzen können, werden weitere Bezeichnungen bemüht, um den KlientInnen zusätzlich Informationen zu Preiskategorie und Gestaltungsrichtung zu bieten. Häufig verwendet werden Schlagworte, die verschiedene Lifestyle-Kategorien assoziieren lassen, so etwa* Esprit, Ideal* oder Sunshine im Gegensatz zu Diamant, Prestige oder Royal. Bemüht werden zudem geografisch-regionale Hinweise zwischen Smaland und Gomera, York und Tirol, Venezia und Florenz. Großes Assoziationspotenzial erhoffen sich die AnbieterInnen auch durch musikalische Bezüge, so durch Häusernamen wie Jazz oder Blues, Allegro oder Forte, Ideenhaus Belcanto oder schließlich Turandot, Othello und Don Giovanni. Solidität, Gediegenheit und Exklusivität sollen auf diese Weise ebenso vermittelt werden wie die mediterrane Leichtigkeit der Dolce Vita oder ein jugendliches Lebensgefühl, gepaart mit skandinavischem Pragmatismus. Mitunter führt dies zu Ergebnissen wie La Grande mit Wintergarten, Design Schupfholz oder Trendy Bielefeld.
Doch die Beliebigkeit der Bezeichnungen endet hier nicht, sondern schließt bewusst an die etablierte Begriffswelt des Konsumgütermarktes an. So können die verwendeten Hausnamen nicht nur völlig anderen Gebäuden, sondern auch ganz anderen Produkten zugewiesen werden, wie etwa Autos, Hometrainern oder Haushaltsgeräten, Deodorants, Kaffee, Weizenmehl und schließlich Toilettenpapier.[8]
What happened to the dream of the factory-made house?
Die kontextlose Konzeption und Präsentation der Gebäude in Katalog und Internet entspricht letztlich der Hierarchielosigkeit der agglomerierten Baukörper und -stile. Mit dem Wiedereintritt in die Sphäre baulicher Realität prägt diese über die jeweilige Architektur hinaus den Charakter ganzer Einfamilienhausgebiete und überführt Stadt und Land in die Agonie entropischer Zersiedelung. Zugleich schreitet die Kombinatorik konstruktiver und bauphysikalisch angepasster Bauteilfügung ungerührt fort. Sie fördert eine Bricolage der Träume – aus denen es kein Erwachen gibt.
So werden die gewonnenen Freiheiten in der Fertigung in einer Collage vorgefertigter Bilder neutralisiert – und dennoch teuer erkauft. Indirekt von Gesellschaft und Steuerzahler/in durch zersiedelte Landschaften und hohe Erschließungskosten, direkt von den HauskäuferInnen, in deren Interesse dies alles angeblich geschieht: Zum einen lassen sich die AnbieterInnen die Individualisierungswünsche durchaus bezahlen. Zum anderen trägt eine modische (Fassaden-) Gestaltung nur selten zu Werterhalt und Wertsteigerung des Gebäudes bei. Investitionen in möglichst große und auf (standardisierte) Wünsche und Vorstellungen maßgeschneiderte Eigenheime auf möglichst kleinen und günstigen Grundstücken zahlen sich selten aus: Je ex-zentrischer Architektur und Lage, desto geringer der Wiederverkaufswert. In den Musterhausparks werden aus der Mode gekommene Schau-Häuser ersetzt, wenn sie den aktuellen Trends nicht mehr entsprechen. Für HausbesitzerInnen gibt es diese Option nicht.
Fußnoten
Vgl. Herbert 1984: The dream of the factory-made house. Walter Gropius and Konrad Wachsmann. ↩︎
Die Begriffe Fertighaus, industriell gefertigtes Haus, Markenhaus etc. werden unter diesem Begriff zusammengefasst und in der Folge unabhängig von Leicht- oder Massivbauweise synonym verwendet für Ein- und Zweifamilienhäuser, die über einen hohen Vorfertigungsgrad verfügen und über ein Hausbauunternehmen vertrieben werden. ↩︎
In Übertragung seines Drei-Instanzen-Modells auf die Kulturgemeinschaft. ↩︎
Vgl. Allensbach 2005. ↩︎
Die schwäbische Firma Exnorm ging 1998 anlässlich des 100. Todestages der österreichischen Kaiserin Elisabeth mit zwei Sissi-Entwürfen auf den Markt. Hanse-Haus warb 2001 mit dem FC-Bayern-München-Haus in Vereinsfarben. Die Firma Viebrockhaus kooperiert seit Jahren mit Jette Joop. ↩︎
Die Nachfrage nach kleinen Grundstücken resultiert vor allem aus den hohen Baulandpreisen. Dadurch wird Wohneigentum für mehr Menschen erschwinglich, was im Interesse aller am Bau Beteiligten (EntwicklerInnen, BauträgerInnen, HausanbieterInnen, ArchitektInnen) und auch des Staates und der Gemeinden liegt. Vgl. BBR 2001. ↩︎
BauGB § 1a(2): Sparsamer und schonender Umgang mit Grund und Boden. ↩︎
Z. B. Auto: Vario, Cabrio; Hometrainer: Top Line; Geschirrspüler: Festival; Deodorant: Impuls; Kaffee: Harmony; Weizenmehl: Diamant; Toilettenpapier: Comfort u.v.m. ↩︎
Julia Gill hat Architektur in Venedig und Braunschweig studiert. Sie ist selbstständige Architektin, Architekturwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Braunschweig.
Allensbach Institut für Demoskopie (2005): Image und Potentiale von Fertighäusern, Allensbach am Bodensee.
Baudrillard, Jean (2001): Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt/Main: Campus.
BBR (Hg.) (2001): Forschungen. Heft 106: Hemmnisse der Wohneigentumsbildung, Bonn.
Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Freud, Sigmund (1994/1930): Das Unbehagen in der Kultur In: Lorenzer, Alfred; Görlich, Bernhard (Hg.) (1994): Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften. Einleitung von Alfred Lorenzer und Bernhard Görlich. Frankfurt/Main: Fischer S. 29 — 108.
Freud, Sigmund (1991/1927): Die Zukunft einer Illusion. In: Freud, Anna: Gesammelte Werke Bd. 14. Werke aus den Jahren 1925 — 1931. Frankfurt/Main, S. 325 — 380.
Le Corbusier (1991/1922): 1922. Ausblick auf eine Architektur. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg.
Weiterführende Literatur
Bourdieu, Pierre (2002): Der Einzige und sein Eigenheim. Hamburg: VSA.
Gill, Julia (2010): Individualisierung als Standard. Über das Unbehagen an der Fertighausarchitektur. Bielefeld: transcript.
Herbert, Gilbert (1984): The dream of the factory-made house. Walter Gropius and Konrad Wachsmann. Cambridge:
MIT Press.
Junghanns, Kurt (1994): Das Haus für alle. Zur Geschichte der Vorfertigung in Deutschland. Berlin: Ernst & Sohn.
Simon, Katja (2005): Fertighausarchitektur in Deutschland seit 1945. Oberhausen: Athena.