Peter Waldenberger


In den 1920er und 30er Jahren war Shanghai die siebentgrößte Stadt der Welt und einer der wichtigsten Finanzplätze. Old Shanghai, das war einmal die aufregendste und kosmopolitischste Stadt Asiens. Doch dann kam Mao Zedongs Kulturrevolution und der Fall der Stadt. Im 21. Jahrhundert will Shanghai zurück unter die Top Ten. Nicht irgendwann, sondern sofort. In den letzten sieben Jahren wuchs – östlich des Huangpu Flusses – in Pudong, die neue Skyline von Shanghai in den »Megahimmel«.

Keine Stadt der Welt verändert ihr Gesicht so schnell wie Shanghai. Wo gestern noch ein chinesisches, einstöckiges Haus war, kann schon morgen ein spiegelverglaster Turm mit Dutzenden von Stockwerken in der Sonne glitzern. 6000 Hochhäuser stehen bereits in der 16 Millionen Metropole. Rechnet man die drei Millionen WanderarbeiterInnen, die ständig in der Stadt sind und die das neue Shanghai in rasendem Tempo erbauen hinzu, fehlt nicht mehr viel zur 20 Millionen Grenze. In Bau ist der höchste Wolkenkratzer der Welt und ein Finanzzentrum, mächtiger als Manhattan. Die eigentliche Attraktion dieser chinesischen Megalopole sind aber nicht seine Gebäude. Es ist die zeitliche Dimension. Das Wissen darum, in wie kurzer Zeit sich die Stadt neu erfunden hat. Wer schon heute wissen will, wohin sich die Mega-Städte dieses Globus' entwickeln werden, der schaue nach Shanghai.

Zwischen Zukunft und Vergangenheit

Die Vereinten Nationen schätzen, dass es in 15 Jahren 27 Megalopolen auf der Welt geben wird: Städte mit mehr als zehn Millionen EinwohnerInnen, davon 18 in Asien. Mit knapp 29 Millionen wird Tokio die größte sein, vor Bombay, Lagos und Shanghai mit 23 Millionen EinwohnerInnen. Keine der Megastädte hat ihr Schicksal mit so bedingungsloser Begeisterung angenommen wie Shanghai. Doch das ist die junge Geschichte.
»In den letzten 150 Jahren«, so erzählt der Stadtplaner Zhiqiang Wu von der Tongji Universität in Shanghai, »lag vor allem eine Hürde der geographischen Expansion Shanghais im Wege: eine wässrige«. Der im Zentrumsbereich 400 Meter breite Huangpu Fluss, ein Nebenfluss des Jangtse, der die Ausdehnung der Stadt zum ostchinesischen Meer hin fast unmöglich machte.
Auch die britischen und französischen Kolonialherren, die bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. die Stadt dominierten, konnten diese natürliche Grenze der Stadt – den Huangpu – nicht überwinden. Zu groß wäre der finanzielle Aufwand gewesen.
Ein Jahr nach den Ereignissen am Tienanmenplatz in Peking 1989 kam Deng Xiaoping und erklärte Shanghai zur vorrangigen nationalen Aufgabe. Eine Sonderhandelszone im sozialistischen China sollte entstehen. Ein milliardenteures Vorzeige- und Wiedergutmachprojekt. Shanghai sollte auch Hongkong den wirtschaftlichen Rang ablaufen. »Deng wollte in Shanghai ein Signal setzen«, sagt Stadtplaner Wu, »er wollte, dass die Welt erfährt, ich bin ein Reformer, egal wie immer sie auch China sehen würde!«
Dann erhob sich ein Geräusch in Shanghai, das die nächsten Jahre nicht mehr aufhören sollte. Zigtausende Hämmer, Meisel, Kräne, Betonmischer, LKWs und Millionen ArbeiterInnen gingen daran, das alte Shanghai vom Erdboden zu tilgen und ein neues, viel größeres aufzubauen. Die Kulturrevolution und der sozialistische Einheitsbrei haben bis dahin das Wachstum der Stadt verhindert. »Die meisten Ausländer und ihre Firmen verschwanden«, erzählt Professor Wu. »Die Infrastrukturen waren katastrophal!« Der in Deutschland Ausgebildete lehrt am Institut für Architektur und Urbanismus an der Tongji Universität Shanghai. Er ist zudem Generalplaner von Pudong (= östlich des Flusses), des neuen Shanghai, das etwa eineinhalb mal so groß ist wie die alte Stadt westlich des Flusses (Puxi) und in dem schon heute annähernd zwei Millionen Menschen leben.

Höllisches Bautempo

»Als hier vor fünf Jahren die ersten Gebäude fertig wurden, wollte niemand nach Pudong. Pudong war das Reisfeld, der Gemüsegarten Shanghais«, erinnert sich der deutsche Banker Joachim Fuchs von der Commerzbank. Er hat hier seinen Sitz, wie auch viele andere ausländische Konzerne und Banken. Fuchs hat es sich zum Hobby gemacht, hoch oben in seinem Turm, mit dem Feldstecher das Wachsen des neuen Shanghai zu beobachten. »Ich lasse dann ab und an nachfragen, was denn da drüben wieder aus dem Boden wächst!« Aus seinem Bürofenster blickt der Deutsche auf etwa 5000 neue Appartementgebäude, die in den letzten drei Jahren hochgezogen wurden und deren Wohnungen sich mittlerweile besser verkaufen. Auch wenn die Preise in den letzten zwei Jahren um 50% gestiegen sind.
Dort, wo also einst ein paar alte chinesische Dörfer in einem Niemandsland lagen, die Bauern und Bäuerinnen ihren Reis ernteten und Shanghai versorgten, genau dort wächst heute in rasendem Tempo das neue Shanghai, verdienen BankerInnen und ManagerInnen aus aller Welt ihr Geld.
Also auf nach Osten. In die chinesische Moderne. In die Zukunftsstadt des 21.Jahrhunderts. Wenn es nach den chinesischen Machthabern geht, wohl jene des 22. Jahrhunderts. Auf nach Ost-Shanghai. Im kilometerlangen Pulk der TouristInnen flaniert man über die alte Uferpromenade im Westteil, den Bund, zur Linken den renovierten Prunk der Kolonialbauten, zur rechten den brackig-braun-schmutzigen Huangpu Fluss. Ein Blick über den Fluss zeigt jenes Image Shanghais, das wir alle kennen: ein bizarres, megalomanes Gewimmel an Wolkenkratzern. Alles in weniger als sieben Jahren hochgezogen. Über eine Rolltreppe nach unten verlässt man das Terrain des Bunds, in eine chinesische Disney World.

Durch den Fußgängertunnel in die Zukunft

Für den durchschnittlichen Chinesen ist der Weg in die Zukunft – der Weg durch den futuristisch mit Laserlicht und Tonanimationen bestückten High Tech Tunnel wohl unerschwinglich.
Wenn man am Ende des dreiminütigen, technizistischen Trance-Trips in kleinen, gläsernen Waggons das andere Ufer des Huangpus betritt, kehrt nicht etwa der quirlige, chinesische Alltag wieder ein. Der Weg geht unvermittelt weiter in eine Zukunft aus der Retorte: die New Pudong Area ist ein riesiges Reißbrettprodukt aus Einkaufzentren, U-Bahnhöfen und achtspurigen Ausfallstraßen, das bis hinaus an den Jangtse Fluss, bis hinaus ans Gelbe Meer reicht. Dort, wo auch internationale Flüge am brandneuen Flughafen landen. Mehr als 100 km2 bestehen schon heute als funktionierendes Stadtgebiet und Siedlungsfläche.
Am Ausgang des Tunnels – in weiter Ferne – der Hafen von Shanghai, Schiffshörner gehören auch im Stadtinneren zum Stadt-Soundtrack.
Dann steht man inmitten eines Waldes glitzernder Wolkenkratzer, die einen förmlich erschlagen. Vorneweg, ein rosaroter Fernsehturm, in Sputnik Ästhetik, das Wahrzeichen Shanghais: der Oriental Pearl Tower. 468 m hoch, ausgestattet mit Express-Liften, die die BesucherInnen in Sekundenschnelle in den Himmel schießen. Das Design inspiriert durch ein zartes, chinesisches Gedicht, das der Poet über den Klang der Pipa schrieb, ein Saiteninstrument, so der Dichter, das klänge, als ließe man Perlen auf einen Jadeteller fallen. Nun steht das einzig chinesische Stück Architektur, hier im Finanzbezirk Lujiazui, auf seinen drei Stützen da und hält die elf Riesenkugeln, in denen Restaurants, Cafés, ein Hotel und jede Menge touristischer Schnickschnack Platz finden. Ein Wahrzeichen der Sozialistischen Marktwirtschaft.

Tradition, chinesische Moderne und gebaute Visionen

Der größte Teil der gesamten Shanghaier Horizontlinie wird von Wolkenkratzern gebildet. Eine kristalline Welt aus Spitzen, Nadeln, Zylindern, Minaretten, mehrtürmigen Bastillen, Pfeilern, Türmen, die irgendwo am Himmel zusammenwachsen. Säulen mit Antennenfühlern, Gebäude, die aussehen wie gefiederte Pfeile, schwarzgoldene Marmor-Mausoleen.
Einer der gelungensten Türme in der Skyline von Pudong ist das Jin Mao Building des Chicagoer Büros Skidmore, Owings & Merrill. Ein spektakulärer Turmbau zu Shanghai mit hellgrauer und eleganter Fassade aus Naturstein und Edelstahl. Jin Mao bedeutet soviel wie »Golden Prosperity«. Das Gebäude ist 420 Meter hoch und die Pointe der Shanghaier Skyline.
Die 88 Etagen des Hauses in der Form einer Pagode verjüngen sich nach oben hin und bieten allein mehr Fläche als alle Geschäftsgebäude auf der gegenüberliegenden Flussseite. Die chinesische Glückszahl »8« spielt eine große Rolle. Der Grundriss des Jin Mao Gebäudes ist achteckig und hat acht Hauptstützen. Der Bau fusioniert die Pagoden - und Kolonialarchitektur Shanghais. Vor allem in der Nacht bietet dieses Wahrzeichen der Stadt die Möglichkeit über Shanghai zu schauen. Knapp unter seiner Spitze betreibt das Luxushotel Grand Hyatt eine Bar, »Cloud 9« - ein kühl inszenierter Ort in 400 Meter Höhe, der Schwindelgefühle garantiert. In der Wolke »Nummer Neun« spielt die Musik der Zukunft. Ein bisschen zu früh. Denn Shanghai ist noch keine Global City wie Sao Paolo oder Bombay. Bis elf Uhr abends glitzert und funkelt die Skyline von Shanghai. Dann allerdings können sich beim Panoramarundblick Unglücksmomente einschleichen. Um diese Zeit gehen auf Anordnung der Stadtverwaltung, zumindest im Großteil der Stadt die Lichter aus.
»Sie können hier eine Menge Banken sehen«, zeigt Architekt Xianguing Li vom Shanghaier Magazin »Time & Architecture«: die Bank of Communication, die Bank of China und viele internationale Banken haben in China ihren Sitz. Gleich daneben das gigantische Ausstellungs- und Konferenzzentrum. »Ein unglaublich hässliches Gebäude«, ärgert sich Xianguing Li. »Ein wilder Stilmix mit römischen Säulen und blauer Glasfassade. An den Außenseiten flankieren zwei riesige Globen aus Glas dieses hässliche Stück Architektur.« In Pudong herrscht ein Wettlauf zum Megahimmel, seit die Parteiführung ausgegeben hat, dass Shanghai Finanzmetropole Asiens und Global City werden muss. Noch vor Hongkong, noch vor all den anderen Megalopolis der Welt. Shanghai will hier in Pudong ein Exempel statuieren.

Die Shanghaier Zukunft im Modell

Mit welch eisernem Willen die Stadt das tut, lässt sich in der großen Shanghaier Ausstellungshalle, am Platz des Volkes, erahnen – The Great Exhibition Hall of Shanghai. Neben unzähligen, euphorischen Zukunftsvisionen aber ist die Attraktion ein 520 m2 großes Modell des neuen Shanghai. Eine weiche Stimme aus dem Lautsprecher erzählt den BesucherInnen von den großen Plänen dieser Zukunft. Jedes Gebäude innerhalb des Autobahnringes zwischen Ost und West Shanghai ist hier zu finden. Zigtausende von Quadern, Spitzen, Würfeln, Bauklotzketten. Keine Form, nur noch Masse, unendlich immer Gleiches aus rechtem Winkel und Reihungen. Das Schwindelerregende dieses Modells ist nicht seine Größe. Es ist die Tatsache, dass ringsum daran gearbeitet wird, die Welt dem Modell anzupassen, möglichst lückenlos und mit aller Kraft. Vor allem in der neuen Stadt Pudong.

Shanghai – das Tor zur Welt

Alles was neu ins Leben tritt, wächst unter Schwierigkeiten heran, hat Mao Zedong einst in einer Rede gesagt. Sprach der große Führer mit prophetischem Blick auf Shanghai? Über jene Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man eine Stadt von solch gigantischen Ausmaßen in weniger als 10 Jahren erbaut?
Jeder der Wolkenkratzer hier – seien es Banken, seien es Firmenniederlassungen – ist ein eigener Kosmos, eine Stadt in der Stadt. Viele der bekanntesten ArchitektInnen der Welt haben in Shanghai gebaut. Neben dem Fernsehturm etwa der amerikanische Shopping Mall Guru Jon Jerde, er hat die gigantische Super Brand Mall in sexy Farben hochziehen dürfen. Doch nicht alle Projekte internationaler ArchitektInnen wurden verwirklicht, viele haben nur geplant: 1992 wurden die internationalen Stars am Architekturhimmel, Massimiliano Fuksas, Richard Rogers, Dominique Perrault und Toyo Ito zur Masterplan-Beratung des Finanzbezirks Lujiazui geladen. Wie viele ihrer Vorschläge und Pläne in der konkreten Durchführung umgesetzt wurden, ist schwer zu sagen. Denn tatsächlich waren schon vor Beginn ihrer Tätigkeit 40 % der Projekte in Bau. Wenn das höllische Bautempo in Pudong anhält, wird hier in wahrscheinlich zwei Jahren – das Fundament ist bereits gelegt – das höchste Gebäude der Welt stehen: der Shanghai Global Financial Tower.
»Shanghai war immer eine Bühne für internationale Architekten«, sagt Pudongs Generalplaner Wu. »Shanghai war für die Chinesen ein Tor zur Welt. Für den Westen war die Stadt ein Tor zu China.« Das Tor zu Pudong bilden heute zwei riesige Hängebrücken über den Huangpu, beide über zwei Kilometer lang, und ein Autotunnel der unter dem Fluss verläuft. Ohne Auto geht in Shanghai eigentlich gar nichts. Zwei U-Bahnlinien fahren zwar bereits ins Zentrum von Pudong, nicht aber an die Ränder. Und es wird wohl noch dauern, bis die geplanten, weiteren 200 U-Bahn-Kilometer die New Area erschließen.

Mit rasendem Tempo zur Weltausstellung

Sollte Shanghai den Zuschlag für die EXPO 2010 erhalten, das bestehende Bautempo anhalten und alle geplanten Projekte bis dahin realisiert sein, wird die Stadt nicht wieder zu erkennen sein. Eines dieser unzähligen Projekte ist schon zum Teil in Bau. Die Betonpfeiler des sogenannten Transrapid, des Hochgeschwindigkeitszuges stehen bereits. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 430 km/h wird die Magnetschnellbahn die 30 km lange Strecke vom Flughafen Pudong in die City dahinbrausen. »Bereits im Dezember 2003 soll der Transrapid internationale Fluggäste transportieren,« sagt Rüdiger Fürst vom deutschen Transrapid International Konsortium. Mit dem Taxi dauert die Fahrt vom Flughafen am Meer heute etwa eine Stunde bis ins Zentrum. Am Ende der Fahrt erreicht man den Shu Xi Boulevard.
Den Boulevard des neuen Jahrtausends. Er ist die wichtigste Hauptachse hinaus Richtung Osten – hin zum Meer. Die urbanistische Umsetzung und auch Gestaltung des Boulevards und seiner abgehenden Straßen ist noch nicht lange fertig. Es wurde nicht das bei westlichen Straßen- und Kreuzungssystemen übliche Winkelmaß angewandt. Hier treffen eine Menge Straßen im 60 Grad Winkel aufeinander, was zu äußerst komplizierten Kreuzungssituationen führt. »Auch daran merkt man, dass die Planer Pudongs einen eigenständigen Charakter dieser neuen Stadt erreichen wollten«, sagt der Architekturpublizist Xianguing Li, »die Shanghai Identität.«

Trade Centers und Modern Housing

Neben dem Finanzbezirk Lujiazui am Fluss entstehen in Pudong mehrere, riesige Entwicklungsgebiete: eine Freihandelszone, draußen am Jangtse, Export-Zonen, riesige Wohnflächen mit so genannter moderner Architektur, Industrieviertel, touristische Gebiete – auch Disney drängt ins Land – dann noch Flächen für Landwirtschaft, denn Shanghai braucht Gemüse, viel Gemüse und Obst. Eine Mega Airport City soll entstehen. Draußen am Meer – als Draufgabe – die so genannte »Deep Water Front«, die den Hafen zum größten der Welt werden lassen soll. Dafür plant Shanghai eine 28 km lange Brücke über das Jangtse Delta auf eine vorgelagerte Insel.
Das Bruttosozialprodukt der New Pudong Area beträgt schon heute 15.000 Euro pro Kopf und Generalplaner Zhiqiang Wu ist stolz darauf, dass das Land, so gesehen, kein Entwicklungsland mehr sei. Alles in nur zehn Jahren geschafft. Das meiste realisiert mit gigantischen Investitionen aus dem Ausland. Aber auch mit Geld aus Peking. Der größte Teil der Einnahmen Pudongs wandert hingegen wieder nach Peking und dann vor allem in die restlichen Provinzen des 1,2 Milliarden EinwohnerInnenlandes.

Wo sind die alten Dörfer?

Noch ein bekannter Name der internationalen Architekturszene ist in Pudong am Werk: Das deutsche Architekturbüro Albert Speer & Partner. Am anderen, westlichen Ende der Stadt plant und arbeitet der Sohn von Hitlers Architekten einen Teil des so genannten Greater Shanghai, ein Satellitenstadtring rund um die Stadt für abertausende BewohnerInnen und ArbeiterInnen. Die »German City« ist ein kleines Bayern mitten in China. Zusammen mit dem deutschen Autogiganten Volkswagen haben die Europäer bereits ein Autowerk in die Peripherie gepflanzt. Sie werden in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass möglichst jeder Shanghaier einen günstigen VW in den Stadtverkehr kutschieren wird. Doch schon heute sind die neuen 50 Kilometer Stadt-Highways und die übrigen Straßen verstopft und die Luft verpestet. Doch für den Fortschritt nimmt die Stadtregierung einiges in Kauf.
Albert Speer & Partner haben auch den Zuschlag für den Masterplan des Zhang Jiang Hi Tech Parks im Herzen Pudongs erhalten. Doch Shen Jian, Logistiker und rechte Hand Albert Speers, führt BesucherInnen gerne auf den großen Platz zwischen dem Verwaltungsgebäude Pudongs und dem Forschungs- und Technologiemuseum im Shiji Park – ein Gebäude von unglaublichen Ausmaßen. Im High Tech Park selbst gäbe es noch nichts zu sehen, sagt er, erst eine Milliarde Euro sei auf dem 25 km2 großen Gebiet investiert und verbaut. Der Shiji Park hingegen hat etwa die Größe des Wiener Praters. Für ihn habe die Regierung alle Bauern Bäuerinnen, die hier gelebt haben, abgesiedelt, erklärt Shen Jian: »Es gibt einen ökologischen Fünf-Jahres-Plan der Shanghaier Regierung, der besagt, dass wir mehr und mehr Grünzonen zu bauen haben.«
Grünzonen für Menschen, die das neue Shanghai noch nicht angenommen haben. Nach Dienstschluss herrscht auch hier – wie überall in Pudong - auf dem betonierten Riesenplatz zwischen dem Rathaus und dem Museum absolute Stille. Ein paar Radfahrer tauchen auf, fahren rund, als würden sie ihre alten Dörfer und Häuser suchen, die der Stadt der Zukunft weichen mussten.
Und auch der smarte Shen Jian muss zugeben: »Die Entwicklungsgeschwindigkeit für ganz Pudong ist zu hoch!« Die Entwicklung der Industrie und High Tech Zonen gehe schneller voran als man Wohnbezirke baue, erklärt er. Die meisten Leute leben in Puxi, westlich des Flusses. Also kämen sie lediglich her um hier zu arbeiten, dann – nach 5 Uhr abends – fahren sie wieder zurück über den Fluss in ihre Wohnungen. Der Zhang Jiang High Tech Park wurde vor allem für biotechnologische Forschungsstätten und auch Firmen geplant. Zudem für Niederlassungen der Pharmaindustrie aus der ganzen Welt. Man baut hier auch Chips für Computer und Teile verschiedener Universitäten werden hier ihre Heimat finden. Aber es soll hier auch gewohnt werden. Wann, weiß keiner.
Zhang Jiang – so der Name des alten Dorfes, das hier war – sei die erfolgreichste High Tech Zone ganz Chinas, erklärt Shen Jian ganz stolz. 30 verschiedene Firmen hätten sich niedergelassen. Unter ihnen: Sony oder Boehringer Ingelheim. Das Albert Speer Büro liefert nicht nur das Konzept für die industrielle Infrastruktur, sondern eine ganze Stadt mit allem drum und dran. »Die wichtigste Maßnahme war«, erklärt Stadtplaner Jian, »die 2300 Jahre alten Dörfer im Gebiet in den modernen Plan zu integrieren.«

Unendliche Weiten in der neuen Stadt

Autofahren und Schauen. Staunen, was diese Stadt in etwa zehn Jahren zuwege gebracht hat. Bäume, so weit das Auge reicht, millionenfach, in Reih und Glied, entlang der Highways durch Pudong. Gezüchtet und importiert aus den verschiedensten Provinzen des Landes.
Und Häuser, hohe Häuser, so weit das Auge reicht, Plattenbauten, doch keine Menschen. Gebrauchsarchitektur in grauen und beigen Tönen. Dazwischen kaum ein Lebenszeichen. Architekt Xianguing Li: »Noch vor einigen Jahren, knapp vor der Öffnungspolitik, wollte niemand nach Pudong. Es gab einen Spruch in Shanghai, der lautete: Nur ein Bett in Puxi ist besser als ein ganzer Raum in Pudong.«
Aufgrund der großen Unzufriedenheit der Pudong Shanghaier mit ihren Wohngebieten und Gebäuden haben seine Planer vor etwa zwei Jahren eine ganze Menge einfach neu streichen lassen und den langweiligen alten und auch jüngeren Türmen neue Dächer verpasst. Überall im Gebiet prangen grotesk anmutende, rote Satteldächer auf den Türmen. Sie sollen an chinesische Traditionen erinnern. Pudong sollte wie eine internationale Stadt aussehen. Allein, die Lebensqualität stieg dadurch nicht wirklich.
Langsam tasten sich die Shanghaier an ihre neue Stadt heran. Denn zu tief saß auch der Schock, dass ummauerte alte Wohnhöfe hektarweise geschleift wurden. Teils, weil die Fachwerke zu morsch waren, teils weil der Baugrund zu wertvoll war, um Majongg spielende Rentner unterzubringen. Westliche Hochrechnungen ergaben, dass fast jedeR zweite BewohnerIn Shanghais in den letzten Jahren seine Wohnung verlassen musste.
Die Verstädterungsrate in China beträgt heute bereits 30%. Wenn Generalplaner Wus Berechnungen stimmen, wird sie in 15 Jahren über 50 % betragen. Dann werden in chinesischen Städten ebenso viele Menschen wohnen wie in den gesamten USA.

Buchtipps:
Kai Vöckler/Dirk Luckow (Hg.), Peking, Shanghai, Shenzen. Städte des 21. Jahrhunderts. Frankfurt, New York: Campus Verlag, Edition Bauhaus, 2000
Georg Blume, Zhikako Yamamoto, Modell China. Im Reich der Reformen, Berlin: Wagenbach Verlag, 2002 Stadt Bauwelt, Schwerpunktheft Shanghai, 25. Juni 1999
Christina Ching Tsao, Auf den Flügeln der Zeit. Mein Leben in Shanghai. Düsseldorf: Marion von Schröder, 2002
Nien Chengs, Leben und Tod in Shanghai. München: Ullstein, 2002
Peter Feldbauer, Karl Husa, Erich Pilz (Hg.), Mega Cities – Die Metropolen des Südens zwischen Globalisierung und Fragmentierung, Frankfurt: Brandes & Apsel, 1997


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