» Texte / Zuerst gleiche Rechte (dann sprechen wir über Integration)

Antonia Ramirez


Die Integration der Ausländer (ab jetzt hier weiblich verbal radical chic, auf p.c.-Wortendungen pfeifend, Tschuschinnen genannt) ist selbstverständlich ein aufgeklärtes Ziel moderner, demokratischer Staaten, für die frau sich heutzutage in Europa mit der ganzen Seele engagiert. Denn Tschuschinnen sind gut für die Wirtschaft.
Im Post-Sanktionen-Haider-Österreich quasseln alle, sogar die Freiheitlichen, von »Ausländerintegration«. Das heißt, sogar wenn die Einsatzmöglichkeiten der Tschuschinnen für die Wirtschaft nicht mehr so profitmaximierend sind wie üblich, dürfen sie, die lieben Tschuschinnen, unter uns bleiben.

Ausländerinnen raus ist out

»Integration« ist das geringere Übel in einem Europa mit akzeptierten radikalen, rechten Elementen, das die Tschuschinnen so sehr haßt wie es sie braucht. Die Schmerzgrenze ist aber da. Mehr Tschuschinnen, die wie krankheitserregende, hungrige Ratten aus den Schlupflöchern der militärisch geschützten Grenze zu unserem egoistischen Wohlstand eindringen, will frau nicht. Weder in Barcelona noch in Brno, geschweige denn in Bruck an der Leitha. In einem verhaiderten Europa wird sich der »Integrationsdiskurs« immer mehr entblößen als das was er eigentlich ist: eine Beruhigung des schlechten Gewissens, ein Feigenblatt der europäischen Nationalegoismen und vor allem ein demokratisch legitimierter Rassismus. Denn es geht um zwei komplementäre Maßnahmen:
Abschottung gegenüber der »Fremden« draußen (=bleib fremd draußen, du Tschuschin, damit wir drinnen »unfremd« zu einander bleiben können, damit wir uns »daham« fühlen). Reaktionäre Nationalisierung, d.h. Entfremdung, d.h. »Integration« (Abkürzung für »integrale Reaktion«) der »Fremden« drinnen (=du Tschuschin, bleib so wenig fremd wie möglich, damit wir uns hier drinnen wie »daham« fühlen, denn es gibt nur ein »daham« und das ist unseres).

Integrationsbeispiele:

Integrale Reaktion 1:Die rechtlich gesehen minderwertige Fremde möge fremde Gewohnheiten unterlassen, die den rechtlich gesehen vollwertigen Menschen stören könnten.
Integrale Reaktion 2: Die Fremde darf gegen kein Gesetz verstoßen (das dürfen nur kriminelle Österreicherinnen). Bei Freiheitsstrafe ist ihr Einkommen nicht gesichert und sie wird daher auslöschbar, abschiebbar.
Integrale Reaktion 3: Die Fremde möge immer freundlich zu ihren Gastgeberinnen sein. Freundlichkeit ist le must, auch wenn die Fremde einen schlechten Tag hat. Manche Österreicherinnen mögen etwas hinterfotzig sein. Dagegen kann frau aber nichts. Also, beim Putzen gefälligst immer lächeln.
Integrale Reaktion 4: Es wäre nicht schlecht, wenn die Fremde nicht nur Ihre Muttersprache mit ihren Kindern sprechen würde, sondern sich auch mit ihnen immer öfter in Tschuschinnendeutsch verständigen würde, damit die Kinder ihr Minderwertigkeitsgefühl überwinden könnten und sich nicht so fremd in der Schule fühlen.
Integrale Reaktion 5: Die Fremde möge Verständnis für die Angst der Österreicherinnen vor so vielen furchteinflößenden Menschen wie ihr zeigen, fremden Menschen, gegen die die Mehrheit der Österreicherinnen anscheinend nichts hat, aber...
Integrale Reaktion 6: Die Fremde möge endlich richtiges Deutsch (sogar mit der richtigen Konjunktivform) lernen. Schlampiges, unkorrektes und unsicheres Deutsch ist ein Privileg der Übermenschen im Lande, sonst »täten« sie sich diese Übermenschen unwohl fühlen.
Integrale Reaktion 7: Denn die Fremde ist gut beraten, ihren ursprünglichen Paß (symbolisch für ihre Vergangenheit, ihre Kindheit, die Gerüche in der ersten Heimat, den ersten Kuß) aufzugeben, wenn sie weniger Angst in diesem Land haben möchte.
Integrale Reaktion 8: Die Fremde darf auf keinem Fall eine Österreich-Vernaderin werden (das dürfen nur intellektuelle Österreicherinnen, die gut verdienen). Die Fremde möge mit Stolz allen sagen, daß sie eine Neo-Österreicherin ist, eine Wahlwienerin, sogar wenn es so sein muß, eine Wahlkärntnerin (das gibt´s auch!).
Herr Atalar, Taekwondo-Bundestrainerin von der in Sidney 2000 medaillenverdächtigen Taekwondo-Kämpferin Tuncay Caliscan (auch er eine männliche Österreicherin türkischer Abstammung) sprach in einem Interview für den »Standard« vom 13.9.2000 bezüglich der wahren Natur von der »Ausländerintegration« vielleicht mehr Wahres aus als das ganze, neue Integrationspapier der Wiener SPÖ, mit dem die SPÖ in Wien erst im Jahr 2010 verwirklichen will, was 1975 bereits notwendig war: »Wenn mehr Österreicher sehen würden, wie Österreicher Australier geworden und doch Österreicher geblieben sind, würden sie vielleicht weniger grantig von den Fremden in Österreich verlangen, sich anzupassen«.
Dieses prachtvolle (glaubt meinen geschmeichelten Augen!) Mannsbild scheint zu wissen, wie heuchlerisch der Integrationsdiskurs der Mehrheit von den Österreicherinnen ist, indem sie von den Tschuschinnen in Österreich eine Anpassung verlangen, vor der sie sich allzu gerne in anderen Ländern teutonisch wehren.
Die vielen Hungerratten aus Österreich und Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika emigrierten, sind im ganzen Subkontinent dafür bekannt, daß sie sich als Mitglieder von einer grundverschiedenen Kultur als die der südamerikanischen Völker ansehen (oft mit rassistischen Untertönen, die Deutschsprachige in Südamerika besonders »unsympathisch« immer gemacht haben und noch machen), und daß sie sich endogamisch mehr als andere Einwanderinnen vom Rest der Gesellschaft abschotten und sich nicht anpassen. Deutschsprachige sind aber sehr fleißig. Das muß frau ihnen in Südamerika doch lassen. Und auch sehr ordnungsliebend. Solche Menschen waren in Südamerika willkommen, sie waren wie Tschuschinnen jetzt in Österreich gut für die Wirtschaft. Frau gab Ihnen also relativ bald gleiche Rechte, die Staatsbürgerschaft in diesem Fall, ohne allzu sehr darauf zu pochen, daß die österreichischen Fremden sich unbedingt an die kulturellen Eigenheiten des jeweiligen südamerikanischen Landes anzupassen hatten (frau ließ in Südamerika die Österreicherinnen sein, so wie sie waren, auch wenn es besorgniserregend war, daß bei manchen von ihnen Hakenkreuze im Keller zu sehen waren, so daß manche Länder dort ein beliebtes Auswanderungsziel ehemaliger österreichischer Nazis wurden).
Anpassung kann frau von uns Tschuschinnen nicht verlangen. Anpassung bietet frau an. Anpassung wäre zu verhandeln, wie bei der Verhandlung von einem Vertrag, wo beide Vertragsparteien mindestens formell gleichberechtigte Verhandlungspartnerinnen sind. Solange die Tschuschinnen in Österreich viel weniger Rechte als die A-Paß-Inhaberinnen haben, kann frau von ihnen nicht erwarten, daß sie die Gesellschaft, die sie diskriminiert und in der Haß gegen sie geschürt wird, lieben- und schätzen lernt und Bereitschaft zeigt, sich als Teil dieser Gesellschaft zu fühlen, sich zu integrieren, und sogar sich »österreichisch« zu fühlen.
Das Gegenteil ist eher der Fall. Eine kleine oder große ressentimentgeladene Abneigung ist fast immer da unter Tschuschinnen, wenn wir untereinander über die Ösis sprechen. Die FPÖ hat recht: auch Inländerinnenhaß grassiert in Österreich. Das heutige Österreich wird besonders seit Haiders Start in 1986 auf verallgemeinernden Ressentiments über die »Ausländer«, aber auch über das »österreichische Volk«, auf gegenseitigen, gesellschaftlichen Haß aufgebaut. Die richtige »exit strategy« (wie es in Sanktionendeutsch heißt), um aus dieser Haßspirale rauszukommen, ist sicherlich nicht, von der diskriminierten Seite noch mehr Opfer zu verlangen, indem frau von den Diskriminierten, von den Menschen in Österreich verlangt, gegen die die österreichische Gesellschaft täglich Sanktionen verhängt, daß sie Respekt für die Art und Weise, für die kulturellen Besonderheiten, die Umgangsformen, die gesellschaftlichen Normen und Usancen der Diskriminierenden zollen (d.h. daß sie sich integrieren). Der erste Schritt ist von den Diskriminierenden zu machen, indem sie sich bewußt werden, daß eine totale rechtliche Gleichstellung der Tschuschinnen in diesem Land, sobald sie ihren fixen Lebensmittelpunkt hier haben, der unausweichliche Ausgangspunkt für einen Dialog ist.

Daher, zuerst gleiche Rechte, dann sprechen wir über Integration

Viele behaupten, daß in der Postmoderne die Kampflinie nicht mehr leicht auszumachen ist. Für mich verläuft sie ganz klar an der von den Mehrheiten definierten Grenze, wo die Mehrheiten nicht mehr bereit sind, den Minderheiten gleiche Rechte zu gewähren. Es gibt aber Nuancen, weil Minderheit nicht gleich Minderheit ist.
Obwohl ich als Frau zu keiner Minderheit gehöre, werde ich absurderweise vom heutigen Gesellschaftssystem als solche wahrgenommen und als solche behandelt. Niemand würde aber auf die Idee kommen, von uns Frauen zu verlangen, daß wir unsere weibliche »Natur« ändern, daß wir »Wesenszüge« der diskriminierenden »Mehrheit« der Männer übernehmen sollten. Ja, die Frau soll (die Wirtschaft will es so) wenigstens im Berufsleben »männlicher« »denken«, obwohl niemand eigentlich genau versteht, was es heißt. Wir Frauen dürfen aber, im großen und ganzen, Frau sein. 10% der Bevölkerung sind tschuschig. Es gibt aber in Österreich genau so viele Tschuschinnen wie Schwule und Lesben.
Lesben und Schwule sind eine Minderheit, die de facto und de jure von der heterosexuellen Mehrheit diskriminiert wird. In diesem Aspekt gehören Schwule und Lesben zur gleichen Kategorie der Tschuschinnen, auch eine Gruppe, die de facto und de jure von der mehrheitlichen, österreichischen Bevölkerung benachteiligt wird. Unterschiede sind aber zu vermerken und sehr aufschlußreich.
Lesben und Schwule werden diskriminiert, aber die Mehrheit der Bevölkerung besteht heutzutage nicht mehr darauf, daß Lesben und Schwule beim »divergierenden Merkmal« ihrer Persönlichkeitsstruktur (daß sie eben Menschen des gleichen Geschlechts sexuell bevorzugen und viele von ihnen andere Lebensentwürfe haben) »Änderungen« bzw. »Anpassungen« durchzuführen haben. Nur geisteskranke österreichische Menschen (d.h. die Mehrheit des österreichischen Katho-Klerus und seine strengsten Anhängerinnen) halten es für gut, Schwule und Lesben »umzupolen«, indem das »divergierende Merkmal« der Norm angepaßt wird (d.h. aus Homos unsichtbare Homos oder sogar brave Heteros zu machen). Schwule und Lesben werden »toleriert«, sie dürfen schwul und lesbisch sein, solange sie nicht gleiche Rechte verlangen. Sie sollen sich mit der beschränkten Freiheit zufriedengeben und sich integrieren (d.h. kusch sein).
Bei Tschuschinnen hört sich in Österreich und jetzt in Haider-Europa der Spaß auf. Gleiche Rechte bekommen wir sowieso nicht. Die Diskriminierung ist aber unmenschlicher, weil sie bis ins Wesentliche geht. Von diskriminierten, minderwertigen Tschuschinnen mit weniger Rechten verlangt frau noch dazu, daß sie »Änderungen« und »Anpassungen« beim divergierenden Merkmal (=fremd zu sein, nicht österreichisch zu sein, eine andere Kindheit mit all ihren Einprägungen für die Persönlichkeitsbildung in einem anderen Umfeld gehabt zu haben) durchführen, indem frau von Ihnen erwartet, daß ihr Wesen entfremdet wird, daß sie sich anpassen, daß sie sich »integrieren«, sobald sie sich in Österreich niederlassen. Fremde mit weniger Rechten dürfen in Österreich nicht fremd sein.
Es geht um eine Ausweitung der Kampfzone: Frau gegen verharmlosende Männer, Homo gegen verharmlosende Heteros, Tschuschin gegen verharmlosende Österreicherinnen. Die Devise ist überall gleich: Zuerst gleiche Rechte, dann sprechen wir miteinander. Solange dies nicht passiert, ist jeder Aufruf seitens der Diskriminierenden nach einer (wie sie in ihrer Diktion formulieren) »Deeskalation des Verbalradikalismus und der gewalttätigen Protesten« als Täter-zu-Opfer-Umkehrung zu bewerten. Die Gewalt der Macht (die gesetzliche Diskriminierung und der Alltagsrassismus auf Österreichs Straßen) erfordert Gegengewalt (parlamentarischer Kampf und Protest auf der Straße).
Hier sind Frau, Homo und Tschuschin als Vertreterinnen von diskriminierten Minderheiten erwähnt. Sie stehen für viele andere: Menschen, die sich von der kapitalistischen Arbeitswelt ausschließen oder von ihr ausgeschlossen werden und über die lebensnotwendigen, finanziellen Mitteln nicht verfügen, behinderte Menschen, HIV-Positive, Euthanasiebefürworterinnen, Drogenkonsumentinnen, usw...
Im Grunde genommen sollten alle Unterschiede zwischen den verschiedenen Mehrheiten und Minderheiten ein bereichender aber nebensächlicher Faktor in einer demokratischen Gesellschaft sein, wie es im Leitbild der momentan für meinen Geschmack faszinierendsten österreichischen »Ausländergruppe«, TschuschenPower, homepage: http://www.topone.at/tschuschenpower.htm
email: tschuschenpower@hotmail.com
steht: »TschuschenPower« setzt sich für eine Gesellschaft ein, die auf Anerkennung und Respekt der Individuen basiert und die den Lebensstil einer bestimmten Gruppe nicht zur verpflichtenden Normalität erhebt. Kultur und Herkunft sind in diesem Verständnis Residualphänomene, im besten Fall erfreuliche Ergänzungen.« Wir sind noch weit entfernt davon. Diese Gesellschaft ist aber möglich. Die Mitteln sind klar: Zuerst gleiche Rechte, dann schauen wir weiter, d.h. ohne gleiche Rechte kann es keine wirkliche Integration geben und mit gleichen Rechten wird Integration und Anpassung eine Option aber kein Muß. Weil in einer wahren Demokratie niemand einen konkreten Lebensstil zur verpflichtenden Normalität umdefinieren darf.


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