Judith Haslöwer

Judith Haslöwer studiert Kulturwissenschaften und Urbanistik.


Ein unmissverständlicher Imperativ auf einem roten Cover: ORGANISIERT EUCH! Das letztes Jahr erschienene Buch, genauer: Handbuch, herausgegeben von Urban Equipe und dem Kollektiv Raumstation will städtischen Veränderungswillen fördern. Dabei bietet es Unterstützung für die Bildung und Organisation von Kollektiven durch Anleitungen, Anekdoten, Vorlagen und Verweisen. Durch die Mitarbeit von über 30 Akteur*innen vielfältiger Initiativen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gewinnen die Erzählungen an Zugänglichkeit und Identifikationspotenzial. Mithilfe der Creative-Commons-Lizenz wird das Werk universell verfügbar und kann unkompliziert vervielfältigt, geteilt und diskutiert werden.
        Lebendige Demokratien sind wehrhafte Demokratien; im Angesicht zeitgenössischer Angriffe von rechts appelliert das Handbuch an den kritischen Umgang mit bestehenden Hierarchien und fordert mehr gemeinschaftliche Teilhabe an der Gestaltung unserer Städte. Doch wie überhaupt zusammenfinden? Gemeinsame Ziele identifizieren? Sowohl diesen, als auch Fra- gen der Administration, Organisation und Finanzierung von be- und entstehenden Gruppen begegnet das Buch mit der kondensierten Erfahrung diverser Kollektive. Diese treten dabei nicht als amorphe Masse auf, sondern berichten ausdifferenziert über Schwierigkeiten und Lösungen, Vor- und Nachteile konkreter Strategien und verweisen auf Beispiele durch Anekdoten. Die zugehörige Webseite stellt weitere, digitale Ressourcen zur Verfügung, die an zahlreichen Stellen des Buches Anknüpfungspunkte bieten.
        Entstanden ist das Handbuch aus einem Dreischritt qualitativer Methoden und gemeinschaftlicher, redaktioneller Arbeit. Interviews mit über 30 Menschen, ein dreitägiges Workshop-Festival in Zürich und das abschließende Zusammentragen der erhobenen Informationen fügen sich zu einer niederschwelligen und lösungsorientierten Lektüre zusammen. Mit der nahbaren Anrede per »Du«, verspielten Illustrationen und motivierenden Zusprüchen steht das Buch den Lesenden auf Augenhöhe mit Ratschlägen zur Seite.
        Es führt durch die mögliche Chronologie der Entstehung eines Kollektivs. Diese beginnt etwa mit der Suche nach Gleichgesinnten und der anfänglichen Formulierung gemeinsamer Ziele. Im zweiten Schritt unterstützt das Buch bei der Kommunikation nach außen und der Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen mithilfe einer Kurzeinführung in die öffentlichkeitswirksame Pressearbeit. Im dritten Teil wird Inspiration bei der Suche nach physischen Räumen geboten und es werden formelle und informelle, traditionelle und explorative Weisen des haptischen Raumgreifens skizziert. Am Ende geht es ums Geld: Was zu tun ist, wenn es fehlt oder wenn es kommt und wie es sinnvoll eingesetzt werden kann. Das Handbuch ziert sich nicht, die ehren- amtliche Arbeit als das zu benennen, was sie in den meisten Fällen ist: un(ter)bezahlt. Anknüpfend werden wertvolle Tipps zum Umgang mit Dynamiken von bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie alternativen Wegen der Entlohnung aktiver Mitglieder im Kollektiv gegeben.
        Die Kapitel mit konkreten, praktischen Anleitungen werden jeweils von Schwerpunktthemen begleitet, die sich unter anderem internen Hierarchien und urbaner Aufwertung widmen. Auf diese Weise erfahren relevante Sachverhalte eine nötige Vertiefung, die mit Verweisen auf Onlinequellen zusätzlich verdichtet werden. So setzen sich die Autor*innen mit dem Vermeiden und Entstehen von Hierarchien auseinander. Das Zulassen und Reflektieren dieser vorherrschenden Strukturen sei dabei ein zentraler Weg, diese dauerhaft zu dekonstruieren oder gemeinschaftsverträglich zu implementieren. Dies gelte auch für den Beitrag, den Kollektive zu einer lokalen, urbanen Aufwertung beitragen. Eine sensible und aufmerksame Auseinandersetzung mit den Motiven von Akteur*innen, die von der Präsenz kreativer Kräfte zu profitieren versuchen, sei dabei von großer Bedeutung. Die Autor*innen motivieren zu einer konstruktiven und emanzipierten Vermeidung unerwünschter Synergien, etwa, indem der Kontakt zur lokalen Zivilgesellschaft nachhaltig gepflegt wird und Entscheidungen für das Quartier in enger Abstimmung unter einer sozial inklusiven Prämisse getroffen werden.
        Über 350 Seiten gelingt es Organisiert Euch einen sinnhaften Bogen vom Initiieren bis zum erfolgreichen, gut strukturierten Kollektiv zu spannen. Dabei verliert es selten an Energie, nicht einmal bei Themen mit traditionell hohem Frustrationspotenzial wie etwa der Buchhaltung und dem Verfassen von Anträgen. Imperative sprechen Mut zu, inspirieren zur Bewegung, zum Beginnen, zum Dranbleiben und auch mal zum Feiern. Trotz der Veröffentlichung im Dezember 2020 gibt es allerdings keinen Hinweis auf die Bedeutung der Covid-Pandemie für das Arbeiten im Kollektiv. Das ist schade, im Angesicht der Perspektive einer vermutlich langjährigen Auseinandersetzung mit den Folgen und Implikationen des Virus für Gemeinschaft und gemeinschaftliches Arbeiten.
        Letztlich leisten die beteiligten Kollektive mit dieser anregenden und kurzweiligen Publikation einen existenziellen Beitrag zur Etablierung gesunder und belastbarer Strukturen, die genügend Raum geben, experimentierfreudig und flexibel zu bleiben.


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