Bernd Hüttner

Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und Referent für Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


Jakob Schrenk, der sonst für die Süddeutsche Zeitung, die taz oder Neon arbeitet, beschreibt in seinem lesenswerten Werk den Horror der neuen Arbeitswelt und liefert damit das Gegenstück zum Buch Wir nennen es Arbeit von Holm Friebe und Sascha Lobo. Wer etwas über die Gesellschaft, in der wir heute leben, lernen will, sollte es lesen. Flexibilität, Einsatzbereitschaft und Unternehmergeist sind die neuen widersprüchlichen Tugenden, die im Postfordismus auch von den Arbeitenden verlangt werden. Schrenk möchte den damit verbundenen Versprechungen misstrauen.
Selbstausbeutung, bislang eher ein Thema von chronisch kapitalschwachen Betrieben der alternativen Ökonomie, ist nun nicht nur in den neuen Kultur-, Medien- und kreativen Berufen weit verbreitet, sondern auch im normalen Management angekommen. Drei Kerntugenden, so Schrenk, ergeben zusammengenommen die „Kunst der Selbstausbeutung“: Arbeit muss man sich andauernd erst verdienen, also muss die Erwerbstätige oder der „Selbständige“ immer mehr leisten. Arbeit und Freizeit gehen ineinander über, man ist vor allem dank der modernen Kommunikationstechnologien immer erreichbar und einsatzbereit. Drittens die Veränderung der Kontrollmechanismen: Man will immer mehr, was man soll, Techniken der Selbststeuerung werden wichtiger als solche der direkten Fremdkontrolle.

Diese soziologisch wirkenden Befunde veranschaulicht Schrenk anhand von einzelnen Erwerbstätigen und ihres Alltags. Dadurch wird allzu deutlich, wohin die Reise geht. Arbeit und Freizeit werden zunehmend ununterscheidbar, sie entgrenzen sich, denn die zeitliche und räumliche Trennung zwischen ihnen wird an vielen Punkten aufgehoben: Wer in der „Freizeit“ ins Fitnessstudio geht um der Norm des „Fit-und-Schön-Seins“ an seinem Arbeitsplatz zu genügen oder in der Kneipe oder anderswo nach der offiziellen Arbeitszeit Kontakte pflegt oder Networking macht, arbeitet der oder die eigentlich gerade oder nicht? Die schöne neue Arbeitswelt trifft aber nicht nur HochverdienerInnen, sondern auch HandwerkerInnen, die als WochenendpendlerInnen in Amsterdam arbeiten, aber in Zwickau wohnen. Emotionen werden zur wichtigen gnadenlos ausbeutbaren ökonomischen Ressource, Mobbing und Arbeitssucht sind alltägliche Phänomene des Klassenkampfes 2.0.

Weitere Themen sind der stellenweise wahnhafte Züge annehmende Trend zur frühkindlichen Bildung, der dazu führt, dass Vierjährige Englisch oder gar Chinesisch lernen, oder die Frage, wie ein halbwegs geordnetes Leben mit Kindern unter diesen Bedingungen überhaupt noch möglich sein soll.

Schrenk hat ein Alternativprogramm zumindest ansatzweise vor Augen. Die Rückkehr zum Fordismus mit Monotonie, Befehl und Gehorsam kann eindeutig nicht die Alternative sein. Aber die betroffenen Erwerbstätigen müssten der Arbeit und ihrer eigenen inneren Identifikation Grenzen setzen, sozusagen einen Gang runterschalten, sich Zeit für Hobbys, Familie oder simples Nichtstun nehmen. Moderne ArbeitskraftunternehmerInnen müssten auch - unter anderem von Gewerkschaften – lernen, für ihre Interessen einzustehen. Moderne Arbeitsverhältnisse erforderen aber auch neue Formen des Arbeitskampfes – und andere Gewerkschaften, so möchte man anfügen.


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