Florian Huber

Florian J. Huber ist Lehrbeauftragter am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und forscht über Gentrifizierungsprozesse in Wien, Chicago und Mexiko Stadt.


10 Jahre nach Abschluss des Forschungsprojekts »Urban Catalyst« (2001-2003) legen Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer und Philipp Misselwitz ihren gleichnamigen Sammelband vor. Dieser erhebt einen hohen Anspruch: Einerseits werden die Erkenntnisse aus dem Projekt präsentiert und durch aktuellere Einblicke in die Welt der Zwischennutzungen ergänzt, wobei Initiativen in Städten wie Amsterdam, Basel, Berlin, Halle, Hamburg, Leipzig, London, Rom, Wien, Zagreb u. a. als Beispiele dienen. Andererseits sollen innovative Instrumente für die Stadtentwicklung herausgearbeitet werden.
Im Sinne einer Bestandsaufnahme behandelt der erste Teil des Buchs die verschiedenen »Formen des Temporären«. Dabei wird versucht, anhand von knappen Kurzporträts eine Typologie der Zwischennutzung zu erstellen. Diese reicht von eher »klassischen« Beispielen wie Clubs oder kreativwirtschaftlichen bzw. künstlerischen Nutzungen bis hin zum Typus »Parasit«, der dann auftritt, wenn eine temporäre Nutzung die Möglichkeiten einer dauerhaften Nutzung ergreift. So hat sich etwa in Berlin vor manchen Recycling-Stellen ein informeller Handel mit Elektroschrott etabliert: Die Händler nehmen die alten Geräte an, reparieren diese und verkaufen sie weiter. Die Kunden wiederum sparen sich die Gebühr für die Entsorgung, sodass letztendlich beide Seiten davon profitieren.
Anhand sogenannter »Muster des Ungeplanten« wird anschließend auf die Gründe, Orte bzw. Raumtypen, die ZwischennutzerInnen und die Bedeutung von Netzwerken und Strategien der Aneignung einge- gangen, bevor weitere relevante Akteur-Innen identifiziert werden. Diese (zweite) Typologisierung ist wiederum in eine Auswahl von Praxisbeispielen und Gast-beiträgen eingebettet.
Im zweiten Teil des Buches werden in mehreren Aufsätzen und Interviews mit (Stadt)ForscherInnen die »Potentiale des Informellen« diskutiert. Neben den Herausforderungen des ökonomischen Strukturwandels und der informellen Ökonomie setzt sich das Kapitel mit Fragen der Rechtsanwendung, dem Leitbild der »Kreativen Stadt« und dem »Urbanismus des Alltags« auseinander. Darüber hinaus wird die Idee des »Bottom Up«-Planens und -Bauens vorgestellt. Dabei werden Traditionslinien wie »Selbstbau« aufgezeigt und als anschlussfähig für Zwischennutzungen eingestuft. Den Abschluss der Auseinandersetzung mit den Potentialen bildet schließlich ein Aufsatz über »Digitale Urbanität«, in dem die Schnittstellen von realem und digitalem Raum thematisiert werden.
Der dritte Teil, der den Titel Planen des Ungeplanten trägt, beschäftigt sich mit Planung allgemein und insbesondere mit der Rolle der PlanerInnen. Das klassische Berufsprofil wird laut den Prognosen der Herausgeber durch das neue Paradigma des »Open Source Städtebaus« aufgeweicht, wodurch PlanerInnen zunehmend ökonomische, juristische und kommunikative Aufgaben wahrnehmen.
Im Hinblick auf diese neue Planungspraxis erfolgt eine Definition von Handlungsstrategien, die in den Schlagworten »Ermöglichen«, »Initiieren«, »Erobern«, »Coachen«, »Formalisieren« und »Instrumentalisieren« verdichtet und wiederum anhand von Zwischennutzungsprojekten exemplarisch abgearbeitet werden.
Den Abschluss des Kapitels bildet ein Plädoyer für einen sogenannten »Städtebau des Gebrauchs«. Dieses stellt zugleich das (angesichts des Buchumfangs) eher knappe Fazit des Sammelbands dar. Darin fordern die Herausgeber eine Neuorientierung des Städtebaus und machen dies an den Forderungen »Stadtentwicklung mit lokalem Kapital betreiben«, »vorhandene Ressourcen nutzen«, »Unfertiges schätzen«, »schrittweise Entwicklung ermöglichen«, »Koproduktion fördern, Werte verteilen« und »Top-Down und Bottom-Up Verfahren verbinden« fest. Basierend darauf plädieren sie dafür, »den Gebrauch von Stadt wieder zum zentralen Ausgangspunkt von Stadtentwicklung zu machen – im Gegensatz zu den paternalistischen Praktiken des klassischen Wohlfahrtsstaats und dem neoliberalen Konzept der unternehmerischen Stadt.«
Insgesamt bietet das Buch eine umfassende Sammlung von sehr unterschiedlichen Praxisbeispielen, wobei auch die aufwendige und sehr gelungene grafische Gestaltung positiv hervorzuheben ist. Inhaltlich bleibt es jedoch zu sehr an der Oberfläche, und der Collage-Charakter der Themen-zusammenstellung geht oftmals zu Lasten einer stringenten Argumentationslinie. Obwohl sich etwa punktuell Kritik an rein profitorientierten Verwertungsinteressen und der Förderung von Gentrifizierung durch Zwischennutzungsprojekte findet, fehlt eine fundierte kritische Reflexion dieser Prozesse. Warum das Konzept der »Kreativen Stadt« vorgestellt wird, ohne die Problematiken, die bereits umfassend in der einschlägigen Literatur dargelegt sind, zu thematisieren, bleibt ebenso eine offene Frage.
Weiters erscheinen die vorgestellten Fallbeispiele teilweise losgelöst von den Versuchen, einen theoretischen Rahmen zu entwickeln, sodass die Verschränkung von Theorie und Praxis nur bedingt funktioniert. Es werden Typologien erstellt, die teilweise willkürlich oder widersprüchlich erscheinen und die Praxisbeispiele aufgrund ihres zu geringen Abstraktionsgrads bzw. ihrer unzureichenden theoretischen Verortung nicht einfangen können. Beispielsweise werden die ZwischennutzerInnen relativ eindimensional und entsprechend dem Kanon der Gentrifizierungs-Literatur als Personen mit wenig ökonomischem, aber umfangreichem sozialem und kulturellem Kapital beschrieben und kategorisiert. Die Typologie spiegelt jedoch nicht die unterschiedlichen AkteurInnen wider, die sich in den Praxisbeispielen finden. So sind etwa »Hausboot-BesitzerInnen« extra ausgewiesen, während MigrantInnen ausgeblendet bleiben. Darüber hinaus besteht ein Widerspruch, wenn den ZwischennutzerInnen insgesamt eine geringe Verfügbarkeit von ökonomischem Kapital attestiert wird, obwohl zumindest Teilgruppen zugleich in »etablierten gesellschaftlichen Strukturen« verortet werden.
Im Hinblick auf die soziale Dimension folgt die Argumentation also generell den bewährten Pfaden oder verbleibt eher schemenhaft. Beispielsweise werden Konflikte zwischen ZwischennutzerInnen und EigentümerInnen, InvestorInnen bzw. der Stadtverwaltung oder -politik zwar andiskutiert, doch Konflikte zwischen den ZwischennutzerInnen werden nicht angesprochen.
Angesichts des Erscheinungsjahrs 2013 erscheint es zudem überraschend, dass die Krise seit 2008 lediglich im knappen Abschlussplädoyer thematisiert wird. Die ernüchternde Diagnose der Herausgeber, dass sich trotz der Krise nur in den wenigsten Fällen neue Optionen für Zwischennutzungen ergeben haben, kann dabei nicht unhinterfragt bleiben. Von welchen Zwischennutzungen in welchen urbanen Kontexten ist eigentlich die Rede? Könnten sich nicht durch die Krise auch neue Möglichkeiten ergeben haben – vielleicht nicht für ClubbetreiberInnen, aber für einkommensschwache Teile der Bevölkerung? Ein entsprechender Zugang aus der Perspektive der Ungleichheitsforschung wird zwar in den Beiträgen von Saskia Sassen und Margaret Crawford angedeutet, jedoch anschließend nicht weiter verfolgt.
Auch wenn, wie hier skizziert wurde, am Ende viele Fragen offen bleiben, könnte das Buch dennoch dazu geeignet sein, der Stadtpolitik oder auch EigentümerInnen die »Angst« vor Zwischennutzungen zu nehmen. Der »Coffee Table Book«-Charakter des Sammelbands ist für dieses Unterfangen sicherlich hilfreich.


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